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WIEN / Akademietheater: HOTEL EUROPA ODER DER ANTICHRIST

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Foto: Burgtheater

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
HOTEL EUROPA ODER DER ANTICHRIST
Ein Projekt frei nach Joseph Roth
Premiere: 11. Dezember 2105

Es ist nicht das „Hotel Savoy“, der oft dramatisierte Roman von Joseph Roth, den sich Regisseur Antú Romero Nunes vorgenommen hat, sondern ein weiter greifendes Projekt „frei nach Joseph Roth“ (zur Sicherheit so formuliert, weil ein Großteil der Texte nicht von Roth ist, sondern von Regie, Dramaturgie oder Ensemble), und ein Titel wie „Hotel Europa“ zielt nicht nur auf Roth selbst – so lange „auf der Flucht“, dass er notorischer Hotelbewohner war – , sondern natürlich auf das Europa heute, dessen Gastlichkeit nicht garantiert ist.

Die Bühne von Matthias Koch ist schwarz, mit einigen vertikalen Lichtschranken, später gibt es mal Spiegeleffekte, Rauch oder Projektionen. Und wenn da vier Herrschaften mit Bart, Hoteluniform und den Käppchen von Hotelpagen auftreten, könnte man das für eine Einleitungsszene halten. Doch nein, es bleibt die mehr als zwei pausenlosen Stunden so, ganz selten wird eine Uniform aufgeknöpft oder ein Rock darüber gezogen. Die durchwegs bärtigen Gesichter unter den Glatzköpfen gehören zwei Damen und zwei Herren, aber um Gender-Genauigkeit bemüht sich keiner, Fabian Krüger etwa mag noch einen so schönen Franz Joseph-Bart tragen, er darf doch auch als Dame quietschen…

Ja, ein Kabarett, eine Komödienklamotte, so hat es lange den Anschein, auch wenn gleich der erste Text ernst genug ist. Der Essay vom „Antichristen“ hat nichts mit Religion zu tun, Roth sah klarsichtig, dass der Untergang vom Kleinbürger ausging (der Dichter, stets in finanzieller Beengtheit, konnte schließlich nicht die Kapitalistenschweine anklagen, wenn Leute wie Stefan Zweig ihm immer wieder helfend unter die Arme griffen). Ja, so konnte man befürchten, man würde nun den Rest des Abends mit Roth-Texten belehrt.

Doch die Collage aus allem und jedem, die szenisch bei aller anerkannter Brillanz der Umsetzung notgedrungen einförmig bleibt, ergeht sich in einer Vielfalt von Formen und Themen, man fällt auch immer wieder aus der Rolle, und vier Darsteller, die alle keine Österreicher sind, malträtieren bei vielen Gelegenheiten das Österreichische auf das Schlimmste und zur Erheiterung des Publikums (obwohl das Gewitzel in seiner Primitivität nicht so lustig ist). Immerhin, in einer Sache gingen die Zuschauer nicht auf den Leim: Da mochten sich die vier Darsteller auf der Bühne noch so bemühen, beim „Radetzkymarsch“ zum Mitklatschen aufzufordern, niemand hielt das Gebotene für das Neujahrskonzert…

Von einiger Fragwürdigkeit ist die Zusammenstellung der Texte, zumal bei einem Mann wie Joseph Roth, der so viel geschrieben hat. Die Glocken, die zu Kanonen geschmolzen wurden, sind für einen Abend, der so auf unsere Gegenwart zielt, kein besonders sinnfälliges Beispiel, selbst wenn am Ende des Abends von den Darstellern gewaltig drei große Glocken geläutet werden… Und ausgerechnet Szenen aus dem „Stationschef Fallmerayer“ zu nehmen (die man, aus dem Zusammenhang gerissen, vermutlich gar nicht versteht, wenn man die Novelle nicht kennt), ist gänzlich uneinsichtig. Nur weil es einmal „Fliehen wir nach Europa!“ heißt?

Dass Roth der modernen Welt misstraute, und modern waren für ihn Kino (über das er ausführlich philosophierte) und Telefon, bedeutet uns als Denkanstoß wenig.

Und dann kommt man, gegen Ende, zu jener Szene, um derentwillen der ganze Abend wohl veranstaltet wurde. Nun darf Michael Klammer – angeblich – in die Gestalt des Fabrikanten (bei Roth „Neuner“, hier „Polterer“ genannt) aus dem „Hotel Savoy“ schlüpfen und einen langen Monolog über die derzeitige Situation halten – wo das „Hotel Europa“ nicht nur von Europäern beansprucht wird. Für deren Rechte hat er allerdings nichts übrig – es sei genug Platz, es gäbe auch genug Geld, und wegen der so genannten „Werte“ solle man sich gewissermaßen nicht „aufpudeln“, ist doch ohnedies alles gelogen… Das wird so scharf wie windschief formuliert und als brillante Anklage in den Zuschauerraum geschleudert. Kurz, dass all jene im Publikum, die Flüchtlinge in beliebiger Zahl nicht bedingungslos mit offenen Armen aufnehmen, wahre A-löcher sein, wurde so nicht ausgesprochen, aber zweifelsfrei impliziert. (Man kann auch annehmen, dass Alvis Hermanis nicht mehr im Burgtheater inszenieren darf).

Wie gesagt, Antú Romero Nunes lässt mit wenigen Mitteln eine Mords-Show abziehen, die allerdings nie zum Punkt kommt (was Joseph Roth betrifft), und vier Schauspieler verrenken sich nach allen Regeln der Kunst, sind auch sehr brillant, allerdings nie als sie selbst erkennbar: Aenne Schwarz, Katharina Lorenz, Fabian Krüger und Michael Klammer, der Schauspieler, den Karin Bergmann sich so gewünscht und bekommen hat, sind brav im Dienst des Konzepts tätig und können doch nicht verhindern, dass der Abend über weite Strecken langweilig war.

Das war es also. Joseph Roth – der nicht einmal gelegentlich bei der Kulisse hereinguckte – als Vorwand, um dem Publikum in der Flüchtlings-Frage die Leviten zu lesen. Keiner sagt, dass das Theater dies nicht darf. Wie immer, so werden diejenigen, die hier ohnedies übereinstimmen, jubeln. Für sie müsste man das eigentlich gar nicht tun. Und die anderen? Die werden auch nicht tief ergriffen in sich gehen, reuig ihren Verstand abgeben und ihre Meinung ändern, schon gar nicht angesichts so billiger Argumentationen. Also?

Ach ja, Joseph Roth. An diesem Abend vermisst. Wer ihn will – auf in die Buchhandlung!

Renate Wagner

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