Premiere „Der Sturm“ von William Shakespeare im Schauspielhaus Stuttgart
DIE BÜHNE IST DER ANGELPUNKT
Premiere von Shakespeares „Der Sturm“ im Schauspielhaus am 11. Dezember 2015/STUTTGART
Manuel Harder, Sandra Gerling. Foto: Ju_ostkreuz
Raub von Fürstenkronen, hinterhältiger Verrat, Liebessehnsüchte und eine randalierend-unheimliche Unterwelt – dies alles packt Armin Petras trotz mancher Durchhänger recht geschickt in seine Inszenierung von William Shakespeares letztem Schauspiel „Der Sturm“ aus dem Jahre 1613. Manuel Harder beschwört in seinem Monolog als Prospero und rechtmäßiger Herrscher von Mailand die elementare Geisterwelt herauf, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass der falsche Zauber sich schnell in Luft auflöst. Und am Ende des Stückes werden dann alle „Verbrechen“ verziehen. Das Bühnenbild von Kathrin Frosch unterstreicht die Tragik des kenternden Schiffes, das sich rettungslos auf sturmgepeitschter See befindet. Armin Petras lässt dieses Bild in suggestiver Weise immer näher und bedrohlicher an die Zuschauer heranfahren. Und die Bühne wird zwischen Nebelschwaden als große schwarze Fassade zum Angelpunkt des Geschehens. Zuletzt wird der vertriebene Prospero wieder Herzog von Mailand und erhält seinen tot geglaubten Sohn zurück. Den Sturm aus Rebellion, Mord und Willkür würzt Armin Petras mit einer gehörigen Portion Klamauk und Humor, die dem Publikum aber auch stellenweise den Boden unter den Füßen wegziehen.
Manolo Bertling, Julischka Eichel. Foto: JU_ostkreuz
In den einzelnen Rollen brillieren insbesondere Sandra Gerling als wilder und missgestalteter Sklave Caliban, Horst Kotterba als lustiger Spaßmacher Trinculo sowie Peter Rene Lüdicke als betrunkener Mundschenk Stephano in grotesken Ritterrüstungen und Narrenmasken. Gelegentlich sprüht sogar ein Konfettiregen aus den Kleidern, was der Aufführung mehr Farbe gibt. Paul Grill mimt den Luftgeist Ariel als spleenigen Transvestiten, der seine Umgebung regelrecht verrückt macht und einen Herrn im Publikum küsst. Prosperos Insel wird hier wirklich zum wirren Exil. Bei der Reise durch alle Stadien des Wahnsinns und der Verwechslung folgen ihm in teilweise atemloser Hast Robert Kuchenbuch als wandlungsfähiger Alonso (König von Neapel), Manja Kuhl als sein temperamentvoller Bruder Sebastian sowie Abak Safaei-Rad als unrechtmäßiger Herrscher von Mailand Alonso, sein Bruder. Manuel Harder macht sehr glaubwürdig deutlich, wie müde und enttäuscht er als Prospero vom Aussteigerleben ist. Er will in die alte Welt zurück. Der Luftgeist Ariel erscheint plötzlich mit einem Hund („Stitch“) und scheint diese alte Welt wieder heraufzubeschwören. Unerfüllte Träume und Selbstvorwürfe gipfeln dabei zwischen Harfenklängen und dem Chanson „La mer“ in wütenden Selbstanklagen. Die Personen geraten außer Rand und Band, jagen schon zu Beginn in einem atemlosen Kreis über die Bühne, die sich zu drehen beginnt. Die Zeit schreitet hier unaufhaltsam vorwärts. Im zweiten Teil fesseln zahlreiche Filmsequenzen das Publikum – in flirrenden Szenen erkennt man tanzende Paare und japanische „Geishas“, die die Männer betören. Es ist immer wieder ein Spiel mit dem Feuer. Schwarze Skulpturen machen sich selbstständig, eine davon wird plötzlich angezündet. Die winzige Attrappe eines Hauses steht ebenfalls in Flammen. Zwischen den alptraumhaften Bildern mit „Voodoo“-Anklängen und Ku-Klux-Klan-Masken erscheinen im schwarzen Halbrund Tiere auf der Bühne. Man denkt sogar an den Sommernachtstraum. Sandra Gerling leitet als Caliban höchst cholerisch eine „Probe“, die zuletzt richtig schief läuft.
Dieses „Theater im Theater“ besitzt durchaus reizvolle Momente, die immer intensiver werden und das Publikum ratlos zurücklassen. Armin Petras‘ Inszenierung kann verdeutlichen, wie sehr Caliban hofft, mit Hilfe Stephanos Prospero zu ermorden. Da gewinnt die Personenführung psychologisch zuweilen scharfe Konturen. Prospero kann sich jedoch offenbaren und wird vom König wieder in seine Ämter eingesetzt. Julischka Eichel spielt facettenreich Prosperos Tochter Miranda, die sich mit ihrem Vater freuen kann und zusammen mit dem von Manolo Bertling nuancenreich verkörperten Ferdinand (Sohn des Königs von Neapel) glücklich wird. Calibans Strafe fällt bei der Inszenierung ebenfalls eher mäßig aus, zuletzt steht doch wieder die allgemeine Versöhnung im Mittelpunkt. Prospero kann selbst den Luftgeist Ariel in den wohlverdienten Ruhestand entlassen. Die Gruppe der italienischen Adligen, der beiden Trinker und Prospero selbst fahren zurück in die „Alte Welt“. Was bei der Inszenierung fehlt, ist zuweilen die eher leise Poesie, die an die Sonette Shakespeares gemahnt und den märchenhaften Charakter dieses Werkes eher unterstreicht. Manche Passagen kommen doch zu oberflächlich und lärmend daher. Erst ganz am Schluss, wenn sich die Bühne teilt und die Insel mit den Protagonisten langsam zurückfährt und hinter dem eisernen Vorhang im Nichts verschwindet, wird der poetische Charakter dieses „Märchenspiels“ deutlich unterstrichen. Da erreicht die Inszenierung von Armin Petras ihre stärksten Momente. Man begreift auch, welch blutige Geschichte diese Insel hat. Prospero möchte tatsächlich eine andere Gesellschaft errichten – und dieser Traum ist längst zerbrochen. Das ist der melancholische Nachhall dieser Aufführung. Und Calibans Mutter ist als ehemalige Inselbeherrscherin Sycorax als Hexenweib dämonisiert. Ganz an den Rand gedrängt ist zudem der Büchertisch, der an Prospero als Philosophenkönig erinnert. Als undurchsichtiger Ratsherr Gonzalo gewinnt Thomas Halle Profil.
Für die Schauspieler gab es bei der Premiere begeisterten Schlussapplaus, das Regieteam musste teilweise heftige „Buh“-Rufe einstecken (Kostüme: Patricia Talacko; Musik: Jörg Kleemann; Video: Robert Seidel).
Alexander Walther