Richard Strauss: »DER ROSENKAVALIER«
11. Dezember 2015
366. Aufführung in der Inszenierung von Otto Schenk
Chen Reiss, Stephanie Houtzeel. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Aus den nie geschriebenen Briefen des Hugo von Hofmannsthal
Wien, 12. Dezember 2015
Lieber Herr Dr. Strauss!
Vielen Dank für Ihre Fürworte bei Fürstner wegen der Karten für die gestrige Aufführung, über welche ich Ihnen nachstehend Bericht gebe! Es ist immer wieder erhebend, Ihre schöne Musik zu hören. Ich schmeichle mir, daß wir hier gemeinsam etwas Großes geschaffen haben. Der Rosenkavalier hat sich, soviel getraue ich mich zu behaupten, neben der Hochzeit und dem Don Juan seinen Platz auf den internationalen Bühnen erobert. Und er wird dort verbleiben, dessen bin ich mir gewiß! Alwin zitierte mir einmal die Ziffern, daß der Rosenkavalier im ersten Jahr gar keine so sehr guten Häuser hatte.
Die Aufführung gestern war gut, aber nicht vortrefflich. Der brave Meyer gibt das Werk ja auch jedes Jahr in einer oder zwei Serien, zumeist gut bis sehr gut besetzt. Aber können Sie nicht einmal bei Fürstner intervenieren, damit man in Wien wieder Daphne und die Ägyptische Helena auf den Spielplan setzt? Und die Frau ohne Schatten, welche mir nach dem Schmerzenskind Adriane die liebste ist unter unseren gemeinsamen Werken? Das Wiener Institut als ein weltweit erstes sollte diese Opern eines Richard Strauss schon im Repertoire führen!
Auch wenn Heinrich und Schenk nicht Roller und Reinhardt sind: Ihre Scene illustriert das Wien der frühen Regierungsjahre Maria Theresias sehr schön und erlaubt es den Sängern zu spielen; nicht wie so viele Inszenierungen in der — vor allem — deutschen Provinz, welche sich über meine Zeitangabe hinwegsetzen. Das Publikum hat das die längste Zeit verstanden, nur die Musik-Kritiker nicht. Sie faseln von einem »vergangenheitsseligen Wien«, einem »vergangenheitsseligen Wiener Opernpublikum« und von Sentimentalität! Als ob das Publikum andernorts kenntnisreicher wäre! Aller Witz, alle Ironie — auch im Musikalischen — entgehen ihnen völlig. Und dennoch scheuen sie nicht davor zurück, mit zweierlei Maß zu messen und sich darob der Lächerlichkeit preiszugeben: Wem käme es in den Sinn, Wagner seines Lohengrin oder Tannhäuser wegen als »vergangenheitsselig« zu tadeln? Denn darauf kommt es ja im Rosenkavalier gerade an, daß es das richtige Wien des Rokoko ist, mit seinen italienisch- und französischsprachigen Ausdrücken! Können wir das nicht bei Fürstner einfordern? Hier geht’s schließlich um’s Ganze, hier darf ich keinen Spaß verstehen.
Des seligen Heinrich parodistisches Bühnenbild des zweiten Aufzugs ließ uns gestern abend wieder schmunzeln. Man sollte das Institut verpflichten, diese Produktion so lange zu spielen, bis alle im Publikum die darin versteckten Anspielungen verstanden haben.
Zwar hätten wir Sie gerne wieder einmal am Pult gesehen, aber Fischer machte seine Sache gut, obwohl er die zum Teil bereits am Nachmittag unter Thielemann im Einsatz gewesenen Philharmoniker mit seinem Tempo im Vorspiel überraschte. Da holperte es ein wenig, bis man wußte, wer auf welchem Polster zu liegen kam. Während ein Kleiber mit Aquarell malte, verwendet Fischer Ölfarben. Aber auch da können, wir wissen es nicht erst seit Klimt, weltberühmte Kunstwerke entstehen. Kurz und gut, ohne die üblichen Wiener Schlamperein ging’s auch diesmal nicht ab.
Leider gibt es ja heute kaum mehr entsprechende Dirigenten. (Mögen da Bachler und Flimm auch behaupten, sie verfügten über die besseren Leute!) Stellt man also Vergleiche mit München, Berlin oder London an, hat das Wiener Institut immer noch die Nase vorne. Auch das Orchester klang gut. Die bei schlechter Exequirung immer an der Grenze zur Parodie dahinschrammende und dann nur schwer auszuhaltende Süße Ihrer Walzer liegt den Wienern eben doch im Blut wie niemandem sonst (auch den Bayern nicht, selbst wenn ein Petrenko oder — Sie werden Ihrem Librettisten diese seine Ansicht nicht übelnehmen — Sie am Pult stehen).
Die Harteros als Marschallin gefiel uns vor allem dank jener Noblesse, welche sie über alle anderen Figuren stellt. Stimmlich — aber da spricht selbst nach Jahren Ihres Vorspielens der Laie — entsinnen wir uns, sie in besserer Verfassung gehört zu haben. Vor allem im ersten Akt hinterließ sie bis zum Zeit-Monolog den Eindruck, als sei ihr alles zuwider und wolle sie jeden Moment abgehen. Dann allerdings gab Frau Harteros eine Marschallin von beeindruckender Bühnen- und fast ebensolcher stimmlicher Präsenz. Immer wieder bewundern wir, welche zu Herzen gehende Musik Ihnen da im Terzett zugeflogen ist! Es ist ja doch immer ein Unterschied zwischen der Dichtung und der Umsetzung in die Musik. Wie ich hörte, versucht Meyer ja immer wieder, Frau Harteros zu engagieren, aber gleich der Jeritza geriert sich die Dame manchmal als Primadonna und sagt schon einmal trotz aufrechter Verträge ab, wenn sie zwischen dem Wiener Institut und einem Engagement in Rom wählen kann.
Die Houtzeel als Octavian hält zwar stimmlich keinem Vergleich mit einer Koch oder Garanča stand, aber was soll man tun, wenn die eine anderswo engagiert ist und die andere die Partie partout nicht mehr singen will? (Ob die Garanča wohl eines Tages als Marschallin wiederkehren wird? Damit in Wien zu debutieren wäre freilich ein Coup. Können Sie nicht einmal mit Meyer ein Wörterl darüber plaudern?) Rank und schlank und somit dem Bild des verliebten Jungen entsprechend, erfreuten wir uns an Frau Houtzeels Spiel, auch wenn Quinquin überzeugender dargestellt werden müßte. Wie soll das Publikum eine Hosenrolle überzeugen, wenn die Sängerin derselben sich wie eine Frau bewegt? Ein leichtgewichtiger Octavian stand da auf der Bühne und kämpfte mit seinem Degen, der vor dem Duell partout nicht aus der Scheide wollte, sodaß Improvisation aller Beteiligten gefragt war. Aber schließlich nahm alles ein gutes Ende und dem Ochs wurde die Stichwunde am Oberarm rechtzeitig beigebracht.
Leider leben wir heute in einer Zeit, wo viele Marschallinnen schlank und die Octavians pummelig daherkommen. (Was bei Frau Houtzeel nicht der Fall war!) Dann fordert man Toleranz ein und wundert sich darüber, daß das Publikum den gedachten und auch musikalisch ausgearbeiteten Reiz der Jugend auf die mitten im Leben stehende Frau nicht versteht und wegbleibt! Und in der Folge argumentiert man dann mit schlechten Häusern und schreibt das Musiktheater tot, anstatt sich um die besten Kräfte zu bemühen und entsprechend zu probieren!
Rose war noch reconvalescent und ließ dies dem Publikum nicht nur vor der Vorstellung mitteilen, sondern es bis weit in den zweiten Aufzug hinein hören. Er war sichtlich damit beschäftigt, sich zu schonen, und spielte den Ochs mit jener Zurückhaltung, welche den Engländern zu eigen ist. Auch ihn erlebten wir in Dresden und Wien schon besser disponiert. Trotzdem mag man der Ansicht zuneigen, daß er im Bewußtsein der Intendanten und des Publikums der Nachfolger eines Mayr, Weber oder Moll ist.
Die Reiss war wieder einmal als Sophie zu erleben, doch verstand sie es nicht, sich die Partie zu eigen zu machen. Was könnte man als naive Fünfzehnjährigen alles ausdrücken, und mit welch schöner Musik haben Sie sie nicht bedacht! Allein die Rosenüberreichungsszene im zweiten Aufzug böte Möglichkeiten zum vokalen Glanz ohne Zahl! Doch herrschte hier Blässe vor, wo doch die Wangen glühen sollten. Schade auch, daß Frau Reiss’s Wortdeutlichkeit zu wünschen übrig ließ. Wie soll da das Publikum den Text verstehen?
Schmeckenbecher sang einen braven Faninal. Nach einer sehr guten Leistung als Musikmeister und einer ebenso enttäuschenden als Pizzaro fanden wir ihn anständig, aber auch vom Spiel her nicht überragend. Was wußten doch ein Berry oder ein Grundheber mit diesen Partien anzufangen!
Leute vom Fach, mit welchen ich auf die Sänger-Arie im ersten Aufzug zu sprechen kam, vertraten die (pointierte) Ansicht, hier sei Ihnen die italienischste aller italienischen Arien gelungen, extremes legato fordernd und jede stimmliche Unsicherheit sofort decouvrierend. Gestern abend fanden wir diese Auffassung bestätigt: Herr Xiahou mühte sich, aber mit schwerer, breit geführter Stimme kommt man »Di rigori armato il seno« eben nicht bei. Bei Gelegenheit erbitte ich ein paar aufklärende Wörterl hierüber!
Ansonsten das gewöhnliche Bagagi…
Werden Sie zum Jahreswechsel nach Wien kommen? Jansons dirigiert das Neujahrskonzert und macht, wie wir hörten, seine Sache sehr gut. Wir wissen ja, daß er mit C.K. nicht mithalten kann, aber man muß sich heute nach der Decke strecken, und etwas Besseres ist momentan nicht zu bekommen. Außerdem er nimmt die Musik ernst, was vor allem die Walzer jener Süßlichkeit entkleidet, welche einem mittelmäßige Wiedergaben so unerträglich macht. Falls Sie sich also dazu entschließen können nach Wien zu fahren, bitte um kurze Nachricht vier bis fünf Tage im voraus, damit wir uns richten können. Wir werden draußen den Jahreswechsel in Rodaun zubringen, um dem Lärm der Stadt zu entfliehen.
Mit den besten Wünschen von Haus zu Haus,
Ihr Hofmannsthal
Thomas Prochazka
MerkerOnline
11. Dezember 2015