WIEN /TadW: PETER GRIMES 14.12.2015
Nach seinem Bühnenerstling, der Operette „Paul Bunyan“, ist Benjamin Brittens „Peter Grimes“, op. 33, seine erste Oper. Sie wurde am 7. Juni 1945 im Londoner Sadler’s Wells Theatre uraufgeführt. Das Libretto dieser dreiaktigen Oper samt Prolog verfasste Montagu Slater (1902-56) nach der Verserzählung „The Borough“ (1810) von George Crabbe (1754-1832).
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Copyright: Monika Rittershaus
Ein kleines Fischerdorf irgendwo an der Ostküste Englands erinnert in der Inszenierung von Christof Loy in der minimalistischen Ausstattung von Johannes Leiacker und den Kostümen in zwangloser zeitlicher Mixtur von Judith Weihrauch ein wenig an die Filme des dänischen Kultregisseurs Lars van Trier. Über den Rand der schräg geneigten Bühne ragt symbolträchtig ein Bett, als Ort der Flucht, der Sehnsucht und der angedeuteten wie ausgelebten sexuellen Begierde, bedrohlich, denn der tiefe Orchestergraben versinnbildlicht zugleich die Gefahr des Absturzes. Das Thema unerfüllter homosexueller Liebe schwingt in dieser Oper natürlich mit, Christof Loy drückt es aber in den expressiven Orchesterzwischenspielen direkt aus. Was gewöhnlich der Fantasie des Publikums überlassen bleibt, denn Britten bezog zeitlebens dazu nicht Stellung, war doch Homosexualität zum Zeitpunkt der Uraufführung der Oper noch ein strafbarer Tatbestand in England, wird in Loys Inszenierung zum zentralen Thema. Peter Grimes ist bei ihm ein Zerrissener, auf der Sucht nach dem, was er als sein Lebensglück erträumt: Ein wenig Wohlstand, um dann endlich zu heiraten und eine Familie zu gründen. Der aufopferungsbereiten Lehrerin Ellen Orford gelingt es aber nicht, dem sich in seiner Einsamkeit Verzehrenden körperliche Zuneigung und Geborgenheit zu schenken. Darüber hinaus hat Peter Grimes bereits einen Gehilfen während eines Fischzugs verloren und das gesamte Dorf begegnet ihm nun mit großem Misstrauen, bis auf den ehemaligen Kapitän Balstrode, der sich dem Ausgestoßenen zugetan fühlt. Dessen Zuneigung wird aber von Peter Grimes nicht erwidert. Stattdessen nimmt er sich trotzig einen neuen Gehilfen und auf der Suche nach Selbstverwirklichung wehrt er die zärtlichen Annäherungsversuche des jungen Mannes nicht zurück. Ein Happy End kann es freilich nicht geben. Nachdem auch dieser Gehilfe ertrinkt, versenkt Peter Grimes sein Boot in der rauen See
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Josef Kaiser beeindruckt als zerrissener Außenseiter Peter Grimes mit prächtigem Heldentenor. Ein Höhepunkt an Darstellung wird ihm bei dem kurzen Pas de Deux mit seinem zweiten Gehilfen John (Gieorgij Puchalski) in der Choreographie von Thomas Wilhelm abverlangt. Zärtlich hält er den bereits Toten umarmt, der in seiner Fantasie wieder zum Leben erwacht, um schließlich seinen Händen für immer zu entschwinden. Andrew Foster-Williams als Kapitän Balstrode wird von der Ausstrahlung des Gehilfen ebenso angezogen und erliegt ihr. Mit seinem warmtimbrierten Bariton gelang ihm eine berührende Studie eines traurigen Pierrot, der sich nach Liebe verzehrt.
Die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz gefiel im schicken Hosenanzug als emanzipierte Lehrerin Ellen Orford mit stimmlicher Opulenz. Ein Wiedersehen gab es auch mit der Bayreuth Legende Hanna Schwarz, deren Brangäne, Waltraute, Erda, aber vor allem ihre Fricka im Chereau-Ring unvergessliche Abende bereitete. Die skurrile Rolle der Kneipenwirtin „Auntie“, die hier freilich mehr wie eine Puffmutter in körperengem rotem Hosenanzug, fallweise in Begleitung ihrer rosagekleideten Nichten, Kiandra Howarth und Frederikke Kampmann, auftrat. Damit gab Regisseur Loy seiner Inszenierung einen pointierten Anstrich, durch den die düstere Tragödie ins Fahrwasser der Tragikomödie rutschte, was durchaus berechtigt war.
Erfreulich war auch ein Wiedersehen mit Rosalind Plowright in der Rolle der Witwe Mrs.Sedley im Hippieoutfit des legendären Woodstock-Festivals. Eine ihrer zahlreichen Sopran- später Mezzosopranrollen war gleichfalls die Fricka, die sie in der Saison 2003/04 am Royal Opera House Covent Garden gesungen hatte. Auch sie sorgte durch ihre Darstellung für die komische Seite des Abends.
Die übrigen Rollen wurden zu höchster Zufriedenheit ausdrucksstark gesungen und in bester Spiellaune rollengerecht dargeboten von Andreas Conrad als Methodist Bob Boles und Erik Årman als sein Gegenspieler, der biedere Reverendder anglikanischen Staatskirche Horace Adams. Stefan Cerny als Rechtsanwalt Swallow mit mächtigem Bass,Tobias Greenhalgh als Apotheker Ned Keene und Lukas Jakobski als Fuhrmann Hobson trugen das ihre zum großen Erfolg dieses Abends bei.
Das ORF-Radio-Symphonieorchester Wienunter Cornelius Meister sorgte für eine spannungsgeladene Umsetzung der ausgefeilten Partitur Brittens, die für mich an manchen Stellen eine scheinbar enge Berührung zu Carl Orffs Carmina Burana und Alban Bergs Wozzeck, vor allem im Schlussgesang von Peter Grimes, aufweist.
Der Arnold Schoenberg Chor unter seinemLeiter Erwin Ortner war dieses Mal auch choreographisch von Thomas Wilhelm gefordert. Als bedrohliche Masse kommt ihm bei Britten eine ähnliche, kommentierende Funktion zu wie im antiken griechischen Drama. Gleich zu Beginn schrecken sie mit ihren aufgedrehten Taschenlampen Peter Grimes aus dem Bett auf und am Ende der Oper mit den gleichen Drohgebärden den im Bett von Peter Grimes zusammen gekauert liegenden Balstrode.
Das Publikum war von dieser Interpretation Loys in der vollendeten musikalischen Umsetzung durch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Cornelius Meister und den Solisten sowie dem Chor und den Statisten begeistert und applaudierte lange und ausdauernd, wobei Joseph Kaiser für seine Interpretation des tragischen Titelhelden mit Bravo-Rufen zu Recht bedankt wurde.
Harald Lacina