Kammeroper Wien Tommaso Traetta ANTIGONE 15.12.2015
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Foto: Barbara Zeininger
Dem Theater an der Wien in seiner Dependance der Wiener Kammeroper ist eine gelungene Wiederentdeckung von Traettas „Antigona“, wie die Oper richtig heißt, und nicht „Antigone“, wie sie das Programmheft anführt, gelungen. Der Komponist Tommaso Traetta (1727-70) war ein Vertreter der neapolitanischen Schule. Über Zwischenstationen Neapel und Parma gelangte er auch an den Hof Maria Theresias, wo anlässlich des Namenstages von Franz I. Stephan seine Oper „Ifigenia in Tauride“ uraufgeführt wurde. Er ging dann nach Venedig und folgte schließlich 1768 einem Ruf als Hofkapellmeister an den russischen Zarenhof in St. Petersburg. Eben dort fand am 11. November 1772 die Uraufführung seiner dreiaktigen Oper „Antigona“ nach einem Libretto von Marco Coltellini (1719-77) statt. Übrigens komponierte auch sein wenig jüngerer Zeitgenosse Josef Mysliveček (1737-81) eine „Antigona“, die ihrerseits am 26. Dezember 1773 im Teatro Regio in Turin uraufgeführt wurde.
Weshalb der Librettist Marco Coltellini ein Happyend für seine „Antigona“ schrieb könnte seinen Grund darin haben, dass die Oper in St. Petersburg eben zu Beginn des Karnevals uraufgeführt wurde und ein letales Ende, wie bei Sophokles vorgesehen, völlig unpassend war. Bei Coltellini/Traetta besinnt sich also König Creonte, der seinen Sohn Emone für tot hält, begnadigt Antigone, die nun wieder glücklich mit Emone vereint ist.
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Viktorija Bakan, Jake Arditti, Christoph Seidl, David Birch. Foto: Barbara Zeininger
Inszeniert hat diese Oper der junge russische Regisseur Vasily Barkhatov. Gemeinsam mit seinem Ausstatter Zynovy Margolin wird der Einheitsbühnenraum einer Familiengruft mit den Tafeln der Vorfahren von den Protagonisten bevölkert. Noch während der Ouvertüre erscheint der Stammbaum von Antigone, wie er sich nach den Sagen aus dem Thebanischen Zyklus darstellt, auf einer Leinwand. Daran anschließend sehen wir die Trauergäste über einen Friedhof Richtung des Familiengrabes zur Beisetzung von Antigones Bruder Eteokles schreiten. Freilich liegt dort auch sein Bruder Polyneikes aufgebettet, dem König Kreon aber die Beisetzung bei Androhung der Todesstrafe, für den Fall der Missachtung seines Gebotes, verwehrt. Für Antigone aber ist die Beisetzung ihres Bruders, ungeachtet des Gebotes ihres Onkels Kreon, ein sittliches Gebot.
Es ist durchaus legitim, wenn sich das Theater des 21. Jhd. solcher medialer Ausdrucksmittel bedient, wenn man das Genre Oper doch als ein Gesamtkunstwerk betrachtet. Und da reichen heute in unserer Smartphone beherrschten Zeit die althergebrachten Ausdrucksformen von Musik, Gesang und Schauspiel einfach nicht mehr aus, um ein Publikum zu fesseln und zu packen. Freilich kann man darin auch eine Parallele zur Entwicklung des antiken Theaters sehen, welches schließlich in den blutrünstigen Schauspielen in der Arena ihren perversen Höhe- und Schlusspunkt fand.
„Geschichten aus der Gruft“, so könnte das Motto dieser Inszenierung lauten. Da werden Tote hin- und hergeschoben, in offene Wandnischen verfrachtet, Wandtafeln in Raserei zerschlagen und schließlich legt sich Antigone freiwillig in eine solche Nische, um sich von ihrem Oheim einmauern zu lassen. Das alles erzählt der Regisseur mit bitterbösem schwarzem Humor. Um die Personen jeweils rasch umzugruppieren, verdunkelt sich die Bühne auch während kurzer Orchesterzwischenspiele, um danach einen etwas anderen Blick auf die gleiche Szenerie zu bieten. Auch kann die Hinterwand der Gruft gedreht werden, sodass man darin Antigone in einer doch recht geräumigen Kammer sitzen, hocken und liegen sieht. In diese Kammer gelangt dann auch – wieder nach einem kurzen Blackout – der tot geglaubte Emone – und dann noch der vom alten Diener Adrasto mit einem Plastiksack über den Kopf erstickte König Kreon. Sie alle trinken nun überglücklich Champagner und sind wieder vereint. Freilich nur in der Fantasie der erstickenden Antigone, denn – nach einem neuerlich Blackout – liegen alle tot auf dem Fußboden der Gruft und werden von der einzig Überlebenden, Ismene, der Schwester von Antigone, betrauert. Die raschen Szenenwechsel mittels Blackouts ermöglichte übrigens noch Franz Tscheck, der für die Lichtregie verantwortlich zeichnete.
Attilio Cremonesi trug gemeinsam mit dem Bach Consort Wien maßgeblich zu dieser Erfolgsproduktion bei. Vieles in Traettas Musik erinnerte dabei an Gluck und den jungen Mozart und es wäre zu wünschen aus seinem reichen Kanon von über 40 Opern noch der einen oder anderen szenischen Aufführung beiwohnen zu dürfen.
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Natalia Kawalek, Viktorija Bakan. Foto: Barbara Zeininger
Den stärksten Eindruck hinterließ für mich gesanglich wie darstellerisch der junge britische Countertenor Jake Arditti als Emone, der der Figur Profil verlieh und seine Stimme in allen Gefühlsschattierungen perfekt zum Ausdruck brachte. Die litauische Sopranistin Viktorija Bakan entsprach der Titelfigur mit ihrem nervösen dunklen Sopran, Manche Koloraturen gelangen ihr nicht so perfekt, was aber im Hinblick auf ihre Gesamtleistung nicht weiter ins Gewicht fallen sollte. Ihre Schwester Ismene war in der Kehle der polnischen Mezzosopranistin Natalia Kawalek gut aufgehoben. Ihr Outfit in Lederjacke gab ihr zusätzlich noch einen sehr burschikosen Touch. Der australische Tenore Thomas David Birch sang stellenweise in recht polterndem Italienisch, baritonal gefärbt. Vielleicht trug daran aber nur eine leichte Verkühlung Schuld? Einen schweren Stand hatte Christoph Seidl als alter Diener Adrasto, trotz seines profunden Basses, weil seine einzige spektakuläre Bühnenaktion in der Ermordung von Creonte bestand, sonst blieb die Figur äußerst eindimensional. Das gesanglich ausgewogene Chorquartett rekrutierte sich aus den Gästen des jungen Ensembles des Theaters an der Wien: Iva Martinčević (Sopran), Dymfna Meijts (Mezzosopran), Martin Schranz (Tenor) und Ivan Zinovyev (Bass).
Meiner Meinung nach war der starke Applaus für diese Produktion sowohl in musikalischer als auch in der szenischen Umsetzung völlig berechtigt und dazu stehe ich!
Harald Lacina