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BERLIN/Staatsoper/ Werkstatt: SATIESFACTIONEN – Klamauk auf höchstem Niveau

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Klamauk auf höchstem Niveau in Berlin:

„Satiesfactionen“ in der Werkstatt der Staatsoper (Vorstellung: 11. 1. 2016)

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Szenenfoto: Stefan Kurt, Jan Josef Liefers und Klaus Schreiber (Foto: Thomas Bartilla)

Unter dem Titel „Wissen Sie, wie man Töne reinigt? Satiesfactionen“ nahm in Berlin die Staatsoper im Schiller-Theater auf ihrer etwa hundert Personen fassenden Werkstatt-Bühne eine Produktion aus dem Jahr 2011 wieder auf, wobei sie in ihrer Vorschau aus der damaligen Kritik der „Berliner Morgenpost“ zitierte: „Die Inszenierung hat zweifellos alles, um ein Publikumsrenner zu werden: Virtuose Darsteller, Tempo und Witz.“

 Bei diesem „Publikumsrenner“ – auch heuer sind bereits alle Vorstellungen ausverkauft – handelt es sich um den im Jahr 1913 von Erik Satie komponierten Einakter „Le piège de Méduse“. Er ist eine Comédie lyrique mit Tanzmusik, über die sich Erik Satie (1866 – 1925) mit den Worten äußerte: „Ein Scherz. Sehen Sie darin nichts anderes“. Er selbst nannte sich nicht Musiker, sondern „Phonometrograph“, wobei er diese Bezeichnung ganz gezielt in Anspielung auf seinen Freund Man Ray verwendete. Rund um diesen Einakter kamen noch viele kurze Stücke von Erik Satie – u. a. Sylvie, Je te veux, Poème d’amour Nr. 1, Élégie – zur Aufführung.

Saties Haus in Arcueil bei Paris wurde ab 1898 zu einem Zentrum der modernen französischen Musikbewegung. Debussy zählte zu seinen besten Freunden, Ravel und Poulenc wurden von ihm stark beeinflusst. 1918 stellte sich die Gruppe „Les Six“ unter seine Leitung – und 1923 schlossen sich Sauguet, Milhaud und Desormière zur „Ecole d’Arcueil“ zusammen. Ein treffliches Zitat zum Komponisten aus dem Programmheft: „Das Werk von Erik Satie ist winzig klein wie ein Schlüsselloch, aber sobald man ihm mit dem Auge oder dem Ohr näherkommt, ändert sich alles …“

Im Einakter „Le piège de Méduse“ (deutscher Titel: „Die Falle des Qualle“) entwarf Erik Satie in der Figur des Baron Qualle das Porträt eines uninspirierten Mannes, dessen größtes Anliegen sein Geld zu sein scheint. Rechnen und Zählen bedeuten für ihn jedoch Lust und Last zugleich. Ein Schicksal, das er mit seinen Besuchern, dem Diener Polycarpe, mit Astolfo, dem Bräutigam seiner Tochter Frisette, und seinem Affen Jonas teilt.

Jürgen Flimm, der Intendant der Staatsoper Berlin, inszenierte die Komödie selbst, wobei es ihm gelang, Klamauk auf höchstem Niveau in der Werkstatt des Schiller-Theaters darzubieten. Von der ersten bis zur letzten Minute der knapp 80-minütigen Vorstellung lachte sich das Publikum krumm. Wer wie ich das „Pech“ hatte, zwischen einem Zuschauer und einer Zuschauerin zu sitzen, die wahre Lachwurzen waren, dem entging durch das herzhafte, aber geräuschvolle Lachen seiner Nachbarn so manche Pointe. Für großartige Komik sorgten auch die Tänze des Affen, wobei es den Schauspielern gelang, das Publikum mit einzubinden, sodass nicht wenige Paare – auch Frauen mit Frauen und Männer mit Männern – zu den reizvollen Melodien von Erik Satie das Tanzbein schwangen.

Die zum Teil witzigen Kostüme entwarf Birgit Wentsch, für die Lichteffekte sorgte Sebastian Alphons.

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Jan Josef Liefers als „Baron Qualle“. Copyright: Thomas Bartilla

„Star“ des Abends war der aus Dresden gebürtige Schauspieler Jan Josef Liefers, dem Fernsehpublikum seit Jahren aus dem Münsteraner „Tatort“-Krimi bekannt, in dem er den zynischen Rechtsmediziner Prof. Boerne auf köstlich-humorvolle Art darstellt. Er spielte die Rolle des Baron Qualle einfach umwerfend! Mit jeder Geste, jedem Schritt, jedem Wort gelang es ihm, das Publikum zum Schmunzeln, aber auch zu Lachsalven zu reizen, wobei auch die Situationskomik nicht zu kurz kam. Ein Beispiel: In der letzten Szene wird ein Herr General Posthum im Publikum angesprochen. Möglicherweise durch eine Assoziation an Moishe Dayan, der stets mit einer Augenbinde in der Öffentlichkeit zu sehen war, trat Jan Josef Liefers vor mich hin (durch meine Thrombose im linken Auge seit Monaten mit einer Augenbinde unterwegs) und begrüßte mich unter dem Gelächter der Zuschauer als Herr General Posthum.

Dass der großartige Schauspieler auch seine musikalischen Qualitäten zeigen konnte, war ein zusätzlicher Gewinn für den Abend. Er gilt als leidenschaftlicher Musiker und sang in Saties Stück Verse in französischer Sprache.

An Komik standen ihm die zwei anderen Darsteller Stefan Kurt und Klaus Schreiber sowie der Pianist Harry Lyth kaum nach. Der Schweizer Schauspieler Stefan Kurt hatte zudem noch die Aufgabe, Qualles Tochter Frisette und deren Bräutigam Astolfo zu spielen und sich auch des Öfteren als Affe zu verkleiden. All das bewältigte er mit komödiantischem Geschick, ohne in pure Klamauk zu verfallen. Ihm ebenbürtig zeigte sich Klaus Schreiber, der auf verschiedenen deutschen Bühnen in klassischen Rollen bereits sehr erfolgreich war und sich auch als Musical-Darsteller einen Namen machte. In Saties Stück spielte er Qualles Diener Polycarpe. Dabei konnte er in dieser Rolle seine komödiantische Begabung mit voller Lust ausspielen und die Lachmuskeln des Publikums immer wieder reizen.

Dies gelang sogar dem britischen Pianisten Harry Lyth, der die musikalische Leitung des Abends innehatte, mit seinem Gang, seiner Mimik, seinem Aussehen. Ebenfalls eine Idealbesetzung! Zum Klingen gebracht wurden neben dem Konzertflügel auf der Balustrade unter anderem Vibraphon, Celesta, Harmonium, Xylophon, Marimbaphon, Singende Säge, Miniklavier, Gläser, Maultrommel und eine Wasserflöte.

Im Programmheft, in dem das von Erik Satie verfasste Libretto des Einakters Le piège de Méduse zur Gänze abgedruckt ist, kann man auch das Rezept der zum Schluss der Vorstellung von den Darstellern verzehrten Speise „Omelette à la Polycarpe“ nachlesen.

Das begeisterte Publikum belohnte alle vier Darsteller mit nicht enden wollendem Applaus und vielen Bravorufen. Einige Zuschauerinnen und Zuschauer nutzten nach der Vorstellung die Gelegenheit, noch anregende Gespräche mit den Schauspielern zu führen. Mein Resümee: Ich habe noch nie einen Abend in einem Musiktheater erlebt, in dem so viel und so herzlich gelacht wurde.

Udo Pacolt

PS: Der Titel des Satie-Abends „Wissen Sie, wie man Töne reinigt?“ ist ein Zitat aus Erik Saties Memoiren „Was ich bin“, aus denen einige Absätze in das Stück „Le piège de Méduse“ eingebaut waren. Die Antwort dieser Frage: „Das ist eine ziemlich schmutzige Angelegenheit. Das Spinnen der Töne ist sauberer. Sie einzuordnen ist sehr knifflig und verlangt gute Augen.“

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