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MANNHEIM: LA JUIVE – Besprechung der A-Premiere und der B-Premiere

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Mannheim: „LA JUIVE“
                     A-Premiere 10.01.2016
                     B-Premiere 12.01.2016

Zurabishvili-Ha-Kessler (c) Hans-Jörg Michel
Zurab Zurabishvili, Sung Ha, Astrid Kessler. Copyright: Hans-Jörg Michel

Vor 91 Jahren wurde „La Juive“ (Jacques Fromental Halévy) letztmals am Nationaltheater Mannheim aufgeführt, nun hat man die Produktion vom März 2015 aus Antwerpen/Gent übernommen. Die Grand Opéra beinhaltet die Vorgänge während des Konzils in Konstanz um 1414. Die titelgebende Rachel und ihr Vater Eléazar, der Goldschmied werden zu vier Anklagepunkten mit dem Tode bedroht:

handwerkliche Arbeit an einem religiösen Feiertag,

verbotener Aufenthalt auf den Stufen der Kathedrale,

unerlaubte Liebe einer Jüdin zu einem Christen dem Fürsten Léopold und schließlich

Falschaussage gegen jenen Ehebrecher.

Soweit die Handlung im „Opernführer“, doch Peter Konwitschny wusste es besser, verlegte die Handlung in unsere Gegenwart und band ein  Sträußlein der besonderen Art! Doch davon später, denn vorerst gibt es Wichtigeres zu berichten:

Zweifellos hat das NT mit dieser „Juive“ einen musikalischen Trumpf im Repertoire und daran hat ganz speziell neben den teils großartigen Sängern, Alois Seidelmeier am Pult einen gewichtigen Anteil. Der Dirigent verlieh der Partitur eine gewisse Tiefenschärfe, Spannung, dramatischen Impetus, das Werk erklang effektvoll, farbig als exzellente Grand Opéra.

Vortrefflich diszipliniert folgte das Orchester des NT in federnder Rhythmik den Anweisungen des stellvertretenden GMD´s. Die Partitur erblühte unter seiner Stabführung feinnervig mit Esprit, das Instrumentarium spielte großformatig auftrumpfend, doch nie zu laut während der dramatischen Kontraste und wahrte stets den innigen, transparenten Klang  der  lyrischen Passagen.

Großartig präsentierte sich der von Francesco Damiani bestens vorbereitete Chor des NT in klanglicher Formation und leistete zudem Hervorragendes in punkto anspruchsvoller Bewegungsregie.

Rollenkonform, vokal sehr ansprechend glänzte Astrid Kessler in der Verkörperung der Titelpartie. Ihr Sopran war der hohen Tessitura souverän gewachsen, zeichnete sich durch Leichtigkeit in der Tongebung, einem Reichtum an dynamischen Nuancen aus. In meinen Ohren wirkte das Timbre der Sängerin jedoch zuweilen weniger einschmeichelnd regelrecht kühl.

Ganz anders hingegen verleiht Ludmila Slepneva der Rachel eine mädchenhafte Ausstrahlung, spielte überzeugend engagierter, ihr Timbre ist weich, fraulich, lyrisch. Selbst zur  dramatischen Attacke mit dem enormen Höhenpotenzial verliert der Sopran nicht an Schönheit und Wohlklang. Eine absolute Glanzleistung – Bravo!

Wenig damenhaft, dem Alkohol zugetan musste sich Estelle Kruger als Prinzessin Eudoxie präsentieren und meisterte die koloraturreiche Partie mühelos mit Bravour und Noblesse.

Prägnant, in zwiespältiger Verzweiflung, unnachgiebiger Entschlossenheit portraitierte Zurab Zurabishvili in erschütternder Darstellung den Juden Eléazar und Pflegevater Rachels. Blieb mir die phantastische Gesangsleistung des jungen Georgiers in John Dews genialer Inszenierung in Darmstadt vor 7 Jahren noch immer gegenwärtig, erlebte ich heute den Tenor kraftvoller und eindrucksvoller. Es ist einfach frappierend  mit welcher Intensität  Zurabishvili dieser Rolle begegnet, sie rückhaltlos auslebt, in ihrer Existenz regelrecht verbrennt. Vokal prächtig disponiert, flexibel in der Mittellage, stark im Höhenpotenzial, beachtlich zur dramatischen Attacke, herrlich timbriert mit innigen Piani versehen gestaltete Zurabishvili den Eléazar unvergleichlich. Leider forderte die Regie-Action zur Cabaletta ihren Tribut.

Von ganz anderem Kaliber präsentierte sich Roy Cornelius Smith, auch er agiert äußerst spielintensiv und wächst in seiner ausweglosen Verzweiflung, seinem unversöhnlichen Hass über sich hinaus. Der Tenor von Smith hat mehr heldisches Potenzial, gewaltige Kraftreserven im Mittelbereich und eine fundamentale Höhenstrahlkraft. Kleine Brüche im Registerwechsel sind allerdings nicht zu überhören.

Sonore Bassqualitäten bietet Sung Ha (Kardinal Brogny) mit klangvollen Differenzierungen, welche allerdings im  extremen Tiefenbereich weniger voluminös über die Rampe kommen.

Das Bassorgan von John In Eichen  wirkt schwärzer, flexibler, voluminöser, sein Brogny gewinnt dadurch mehr an glaubwürdiger Persönlichkeit.

Weshalb sich allerdings zwei rivalisierende Damen um Léopold, einen derart (regielich deklarierten) labilen Bonhomme bemühen bleibt unverständlich. Nicht frei von Höhenkieksern  singt Juhan Tralla unter seinem sonstigen tenoralen Niveau. Randall Bills hingegen hat mit seinem schlank geführten, lyrischen Tenor keinerlei Probleme.

Etwas blasse, konturlose Bariton-Töne verlieh Joachim Goltz dem Ruggiero. Dagegen wirkte Jorge Lagunes mit seinem Prachtorgan wie eine Luxusbesetzung in dieser relativ kurzen Partie.

Imposant wirkt die Bühnenausstattung in ihrer Gitter- und Neonröhrenoptik sowie dem im Hintergrund dominierenden, monumentalen Kirchenfenster in Kombination zum reizvollen Lichtdesign (Manfred Voss). Gleichwohl zeigte sich Johannes Leiacker für die zwar einheitlich aber dennoch eleganten schwarzen Kostüm-Créationen des Ensembles verantwortlich, lediglich bei Rachel blitzt eine weiße Bluse hervor und Eudoxie erscheint im grauen Sackkleid und Pelzmantel. Zur religiösen Ethnographie verpasste man den Juden gelbe, den Christen blaue, grüne und rote (???) Hände.

Nun bietet das Libretto der „Juive“ genügend Details zur realen Umsetzung, Peter Konwitschny gelingen auch durchaus spannende Momente zur Personen- und Massendramaturgie, doch überdosiert er die Rezeptur der Einfälle wesentlich. Frei nach Altkanzlers  Kohl Zitat: wichtig ist, was hinten raus kommt! Das Ergebnis war hier eindeutig.

Der Regisseur bündelt in Inkonsequenz zu viele Ideen, hängt jedoch immer noch seinen längst überholten, nostalgischen  Brecht-Ideologien nach, verliert dabei den Überblick für das Wesentliche und lässt den Betrachter ratlos zurück. Zu viele Fragen bleiben offen und hängen unbeantwortet im Raum. Fähnchen schwenkende Choristen im Publikum, ebenso die dort störenden Aktionen der Solisten, die Sprengstoff-Fabrikation, die Verurteilten als Brautpaar etc., alle auch unfreiwillig komischen Regie-Details aufzulisten sprengen  den Rahmen,  eigentlich schade ums gedruckte Papier.

Das einst so kritische Mannheimer Premieren-Publikum feierte die musikalische Komponente leistungsgerecht sehr herzlich, reagierte jedoch beim Regie-Team unspektakulär ohne Pro und Contra. Die Sängerbesetzung der B-Premiere in ihrer intensiven, geschlossenen Einheit durfte  sich allerdings verdienterweise,  mehr der Publikumsgunst erfreuen.

Fazit: Akustisch ist der Besuch beider Besetzungen sehr empfehlenswert, optisch jedoch und halbwegs störungsfrei genießbar, nur auf Logen- oder Balkonplätzen.

Gerhard Hoffmann

 

 

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