Alle Fotos: Barbara Zeininger
WIEN / Theater an der Wien:
DIE DREIGROSCHENOPER von Kurt Weill / Bertolt Brecht
Premiere: 13. Jänner 2016
Die „Dreigroschenoper“ war immer eine zwiespältige Sache, schon in ihrer ersten Form, der „Beggar’s Opera“ von John Gay aus dem Jahre 1728, damals die „Billig“-Parodie der überteuren, überüppigen Händel-Opern in London. Als Brecht und Weill sich das Stück in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hernahmen, warf der Autor dem Publikum ein sarkastisches kapitalistisches Lehrstück hin, der Komponist seinerseits parodierte alte Opernformen und mixte mit neuen Rhythmen, all das durchaus unliebenswürdig gemeint (und teils auch absichtlich so anzuhören), mit dem Ergebnis, dass „Die Dreigroschenoper“ alles andere als ein Stück aus einem Guß ist.
Sollte es auch nicht sein. Und eine „Oper“ auch nicht, wenn die Gattungsbezeichnung schon exakt das aussagt, was es ist: „Ein Stück mit Musik“. Bei der Uraufführung 1928 bereits wurde es Schauspielern (etwa Rudolf Forster) und Diseusen (Weill-Gattin Lotte Lenya) in die Kehle gelegt. Seither hat man die „Dreigroschenoper“ nicht nur in Wien, aber auch hier, weit öfter in Theatern (mit Schauspielern auf Sprechgesang-Modus) als in Opernhäusern gesehen.
Nun nahm das Theater an der Wien – in der wichtigen ersten „Jubiläums-Saison“– gerade dieses Werk in den Spielplan. Und der um seinen Job nicht zu beneidende Regisseur Keith Warner musste sich überlegen, was er daraus macht. In einem Opernhaus gibt’s schließlich Oper, das Klangforum Wien klingt diesmal eigentlich nicht kammermusikalisch, der Dirigent Johannes Kalitzke nicht unbedingt auf einen durchgehenden „Sound“ gepeilt, der stilistisch weiter helfen würde. Stückwerk, wie es nun einmal ist.
Die Bühne (Boris Kudlicka) zeigt einen riesigen Bühnenaufbau auf Gestänge, der sich dauernd dreht, ein Auf und Ab auf Treppen ermöglicht, viele Szenen auf einer Bühne auf der Bühne postiert, kurz, das ist mit lebhaftem Hin und Her bespielbar. Unleugbare Tatsache bleibt doch, dass der Abend vom Anfang bis zum Ende in müder Schwerfälligkeit verharrt, so gut wie nie Tempo aufnimmt, nicht nur Witz und Frechheit vermissen lässt, sondern auch Schärfe. Es funktioniert einfach nicht.
Da stehen Opernsänger auf der Bühne, die singen, aber nicht unbedingt spielen können, und Schauspieler, bei denen es beim Singen hapert. Bringe man es hinter sich, den Star des Abends, der sich hier zu viel vorgenommen hat. Wie angestrengt Tobias Moretti mit dem Gesangspart des Macheath (sprich Mackie Messer) überfordert ist, das schmerzt. Nun tut man sich das in nicht mehr ganz jungen Jahren (wo man das Singen mit ein paar Wochen Gesangsunterricht – oder wie viel es war – ja nicht mehr erlernt) nur an, wenn man geradezu darauf brennt, diese Rolle spielen. Sicher, sie ist berühmt bis legendär genug, wenn auch Wien in den letzten Jahrzehnten nie auch nur einen wirklich überzeugenden Interpreten des ironischen Banditen gesehen hat. Auch diesmal nicht. Ein bisschen Schärfe und Härte wäre angesichts des Brecht’schen Zynismus schon angebracht. Tobias Moretti ist ein schier unglaublich farbloser Softie, der sicher keine Gangsterbande führt, mit der Polizei souverän mauschelt und alle Damen ins Bett holt. Der Mann ist im weißen Anzug nahezu nicht da, und dass er einmal kopfüber im Käfig singt… nicht einmal dieser versuchte Zirkusakt brachte das gähnende Publikum dazu, in Szenenapplaus auszubrechen.
Sagen wir, wer noch fehlt: Erstaunlicherweise Florian Boesch als Peachum (da hat man wahrlich noch Fritz Muliar im Ohr): So selbstverständlich er sich fühlt, wenn er singen und singend spielen darf, so spürbar unsicher wird er in den Sprechpassagen, und die sind ja nicht gering. Das ist keine „Entführung“, wo auch deutschsprachige Sänger künstlich sein dürfen, das ist ein Stück, ein Theaterstück, wenn auch mit Musik.
Manche können beides – voran natürlich Angelika Kirchschlager, eine Mama Peachum mit rosa Perücke (einmal darf sie, in Blond und im roten Abendkleid, richtig elegant sein und die Parodie einer echten Opernarie singen), die auch als Schauspielerin trumpft, stark, komisch, unübersehbar. Auch die Steirerin Nina Bernsteiner, die man noch kaum je in Österreich gehört hat, kann’s: Sie ist, trotz leisen S-Fehlers, eine verdammt energische Polly, die die Hausbackenheit ihrer Erscheinung ironisch überspielt. Für ihre Szene mit Lucy (die wirklich köstliche Gan-ya Ben-gur Akselrod – ginge es vielleicht einmal ein bisschen einfacher mit dem Namen?) hat sich der Regisseur übrigens eine historische Referenz ausgedacht: Da steigen die beiden im Gezanke auch in hochbarocke Kostüme mit dazugehörigen Perücken, um zu zeigen, wie einst die Händel-Primadonnen ihre Gesangs-Schlachten auf der Bühne ausgefochten haben.
Leider ist die große Anne Sofie von Otter die denkbar lebloseste Spelunkenjenny, an die man sich erinnert (das kann nur der Regisseur verbockt haben), und auch auf Markus Butter als in keiner Weise interessanten Polizeichef Brown wird man erst aufmerksam, wenn er als „reitender Bote“ am Ende im Gewand der zu krönenden Königin vom Schnürboden herunter gelassen wird…
Die letzte Szene mit Macheath im Gefängnis vor der Hinrichtung hat Keith Warner sehr „brechtisch“ inszeniert, werden dem Publikum doch hier besonders viele kapitalismuskritische Wahrheiten des Autors entgegengeschleudert. Wie man es schafft, dennoch so unspannend zu sein, ist ein Rätsel für sich. Der ganze Abend scheint nur den Beweis anzutreten, dass die „Dreigroschenoper“ als Werk gröblich überschätzt wird – und das kann ja wohl das Ziel nicht sein. Geklatscht wurde heftig, aber es gab (bedenkt man die zahlreichen Einwände eines sich langweilenden Publikums in der Pause) schon ehrlicheren Applaus.
Renate Wagner