WIEN / Staatsoper: „TRISTAN UND ISOLDE“ am 17.12.2013
Dritte Vorstellung der dritten Serie in dieser Inszenierung mit fast komplett geänderter Besetzung – so unterschiedlich kann diese Liebesgeschichte musikalisch gestaltet werden!
Der Zufall hat diesmal kräftig Regie geführt. Durch die Absage von Myung-Whun Chung kamen auch wir hier in Wien – wie schon die Essener (Aalto – Theater) im November in den Genuss der Tristan – Interpretation des routinierten Wagner – Experten Peter Schneider. Schon im Vorspiel wurde klar, dass wir eine feinfühlige, fast kammermusikalisch detaillierte Variante dieser wohl zweitberühmtesten Liebesgeschichte erleben werden. Beeindruckend war die konzentrierte Kommunikation eines beseelten Kapellmeisters mit dem hochkarätig besetzten Staatsopernorchester. Das Blech klang makellos schön, die Holzbläser zeichneten einfühlsam jede Stimmung; die Streicher glänzten und die Soli berührten die Seele. Mehr noch als in den ersten Vorstellungen wurde in den Orchestersequenzen die Dynamik gesteigert, dass die ganze Tragik und Leidenschaft dieses einzigartigen Werkes eindrucksvoll zur Geltung kamen.
Gerade bei dieser aussergewöhnlich differenzierten Interpretation merken wir, wie störend manche – meist selbsttherapierende – Sichtweisen dieses vielschichtigen Meisterwerkes im „modernen regiedominierten Musiktheater“ sind. Zum Glück hat uns David Mc Vicar davor verschont und gibt uns in der esthätischen Ausstattung von Robert Jones die Möglichkeit, die verschiedenen Ebenen des Werkes – die erzählte Handlung, die transzendente Sehnsucht der beiden unglücklich Liebenden nach einer höheren Bewusstseinsebene und nicht zuletzt die Selbstreflektion von Richard Wagner nach seiner leidenschaftlichen, aber nicht erfüllten Beziehung zu Mathilde Wesendonck. Übrigens; wen die Frage: „Haben sie oder haben sie nicht“ beschäftigt sei empfohlen, aufmerksam die Musik zu hören. Man stellt fest: „Sie haben nicht“ – diese leidenschaftliche Sehnsucht ist nur im unerfüllten Zustand mit einer verwundeten Seele möglich.
Hauptprofiteur der feinfühligen musikalischen Gestaltung war Robert Dean Smith, der den Tristan besonders im zweiten Akt schönstimmig und technisch sehr gut, aber von der stimmlichen Präsenz gerade noch ausreichend bewältigte – ein echter Gegenpol zum „Stimmriesen“ Peter Seiffert, der die beiden vorhergehenden Serien mitbeherrschte.
Die dritte Isolde ist in dieser Serie Violeta Urmana, die uns schon in der Vorgänger – Regie von Günter Krämer – gemeinsam mit Robert Dean Smith überzeugte. Mit ihrer großen, in der Mittellage und im Mezzo herrlich strömenden Stimme erfreute sie uns auf dem gewohnt hohen Niveau. Die wenigen – bei ihr unüblichen – schrillen Höhen am ersten Abend waren in den Folgevorstellungen nicht mehr zu hören. Wir erlebten eine Isolde in stimmlicher Hochform, die die irische Prinzessin selbstbewusst und leidenschaftlich präsentierte.
Es ist jedenfalls toll und ein Kompliment an die Wiener Staatsoper, dass man hier innerhalb eines halben Jahres drei unterschiedliche – aber jede für sich einzigartige – Isolden auf Weltklasseniveau genießen kann.
Eine perfekte Leistung durften wir auch beim Rollendebut von Elisabeth Kulman als Brangäne genießen. Ihr warmer, wunderbar tönender Mezzo klingt klar, geradlinig und unmaniriert – einfach wunderschön. Das „Habet acht“ geht unter die Haut und die souveränen Höhen – dank ihrer Vergangenheit als Sopranistin – erlaubten einen denkwürdigen Auftritt in dieser musikalisch so wichtigen Rolle.
Die Szene „Oh sink hernieder“ gehört – von allen Beteiligten in dieser Qualität dargeboten – zu den ergreifendsten Momenten der Opernliteratur.
Albert Dohmen überraschte uns mit einem dominanten, selbstbewussten König Marke und bewältigte die tief liegende Partie ohne Problem. Matthias Goerne zeigte uns einen nüchternen (im Sinne von nicht besoffenen) Kurwenal und sang alle Töne richtig. Da uns seine Stimmfärbung und seine gaumige Art zu singen nicht gefällt, können wir keine objektive Beschreibung abgeben. Der Melot hingegen war mit Clemens Unterreiner hervorragend besetzt. Sein klarer, technisch hervorragender Bariton ließ uns bedauern, dass diese Rolle so klein ist – vielleicht kommt jemand auf die Idee, ihn das nächste Mal mit dem Kurwenal zu betrauen.
Die kleinen Rollen – Carlos Osuna als Hirt, Marcus Pelz als Steuermann und Sebastian Kohlhepp (den wir in der Fidelio – Serie als Jaquino auf der Bühne erleben werden) als Seemann – waren aus dem Ensemble wieder sehr gut besetzt.
Ohne das Dirigat von Franz Welser-Möst gering zu schätzen – seine dynamische Interpretation hatte auch ihre großartigen Momente – betrachten wir das Einspringen von Prof. Peter Schneider bei den „Dezember – Tristanen“ als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.
Nachsatz in eigener Sache: „Man soll die Feste feiern wie sie fallen“ – deshalb sind wir, das kleine Grüppchen der „zufällig“ anwesenden Merker – Rezensenten im Mahlersaal zusammengekommen, um unserer hochgeschätzten Chefredakteurin des Merker – Heftes – Frau Dr. Sieglinde Pfabigan – zu ihrem persönlichen 175. „Tristan“ zu gratulieren. Diese unglaubliche Zahl kann nur zusammenkommen, wenn man so leidenschaftlich für ein Thema brennt. Eine Reise nach Essen zum Tristan mit „ihrem“ Peter Schneider ist für sie genauso selbstverständlich wie ein „Urlaub“ von einem stationären Krankenhausaufenthalt im AKH. Wir – ihre Leser und Helfer sind die Nutznießer ihrer liebevollen, informativen und klugen Beiträgen – dafür danken wir herzlich.
Maria und Johann Jahnas