Berlin/Philharmonie: Christian Thielemann mit Maurizio Pollini, 15.01.2016
Christian Thielemann, Maurizio Pollini, copyright Peter Adamik.
Nach der Pause bleiben einige Sitze leer, nach Maurizio Pollini mit Frédéric Chopins „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-Moll op. 11“. Denn wegen des Grandseigneurs sind wohl alle gekommen, und der spielt das, womit er berühmt geworden ist. Mit 18 hat er den Chopin-Preis in Warschau gewonnen, eine der renommiertesten Auszeichnungen bis auf den heutigen Tag. Die Klarheit des Spiels, die Pollini danach zu einem Star der besonderen Art gemacht hat, bestimmt auch diesen Abend.
Chopin, der bei der Uraufführung1830, als 20Jähriger selbst den Klavierpart spielte, hat sich zunächst auffällig zurückgehalten. Fast ungewöhnlich lange spielt nur das Orchester – hier die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Christian Thielemann – ehe der Solist an der Reihe ist. Pollini scheint das Abwarten auch als nervig so empfinden, und adjustiert mehrfach seinen Klavierstuhl, ehe er sich in die ersten Akkorde werfen kann.
Da gehen anfangs im Eifer des Gefechts mal 1 bis 2 Töne daneben, doch dann perlen die Läufe des 74-Jährigen in der ihm eigenen Perfektion. Dabei unterstreichen die heftigen Teile, ohne dass Pollini besonders auftrumpft, Robert Schumanns Eindruck. Der hatte Chopins Klavierwerke „als unter Blumen eingesenkte Kanonen“ bezeichnet. Die Politiker empfanden das, spätestens bei der „Revolutions-Etüde“, ganz ähnlich. Nach dem gescheiterten Novemberaufstand 1830/31 lebte Chopin in Paris.
Pollini spielt das höchst anspruchsvolle Werk weiterhin auswendig, und wie sehr er sich dabei konzentriert, ist ihm anzumerken. Gefühliges war und ist ohnehin nicht sein Ding. Doch in den melancholischen Passagen leuchtet der Romantiker Chopin wunderbar auf, beim Larghetto lauschen die Hörer atemlos.
„Es ist ein Traum in schöner Frühlingszeit, aber bei Mondschein,“ so hatte Chopin selbst diesen Satz charakterisiert. Ein Gefühl, dass sich in der ausverkauften Philharmonie auch im Januar beglückend einstellt. Schließlich das putzmuntere, schalkhafte Rondo mit seinem Vivace, das Pollini mit Verve darbietet. Ein „Viva“ für ihn und auch für Thielemann, der ihn mitsamt den Philharmonikern so aufmerksam unterstützt hat. Langanhaltender Jubel.
Auch der Anfang des Konzertabends war mit Schumanns „Ouvertüre zur Oper Genoveva op. 81“ gut gewählt. Ein glanzvolles Orchesterwerk, mal melancholisch, mal voller Leidenschaft. Die Oper hat nicht überzeugt, doch diese Ouvertüre – ein romantischer Reißer mit allen Farbfacetten – hat die Zeiten überdauert und wird raffiniert und volumig von Thielemann und den Instrumentalisten in den Saal geschleudert.
Nach der Pause – vor Aribert Reimanns „Sieben Fragmente für Orchester in memoriam Robert Schumann“ – macht Thielemann eine kleine Einführung und lässt die Blechbläser das Hauptthema aus Schumanns „Geistervariationen“ anspielen, seine letzte als gültig eingestufte Komposition vor dem Ausbruch der Geisteskrankheit. Wenn Schumanns Wahnsinnsattacken Reimanns Musik geähnelt haben, müssen sie für ihn fürchterlich gewesen sein. Doch die schöne Schumann-Melodie schwebt in dem 14-minütigen Stück wie eine Erlösung über dem Chaos. Starker Beifall auch dafür.
Wer, wie erwähnt, nach Pollini gegangen ist, hat einen Fehler gemacht. Thielemann stürmt aufs Podium und lässt die „Vier symphonische Zwischenspiele aus Intermezzo op. 72“ von Richard Strauss glitzern und funkeln. Als heiter und fröhlich bezeichnete Strauss die Teile 1 und 4.
Die Berliner Philharmoniker – kaum zu glauben – spielen das zum ersten Mal und mit sichtbarem Spaß. Eindeutiger Höhepunkt wird der Walzer im 1. Zwischenspiel, von Strauss überbetont schwelgerisch und auch mal schräg abdriftend komponiert. Genau so bringt es Thielemann als auf dem Podium tanzender Entertainer zusammen mit dem super aufgelegten Orchester. Ein Werk, in dem vor allem die Blech- und Holzbläser imponieren können, und sie tun es! Ein Ausklang mit Pepp, belohnt mit Riesenapplaus.
Ursula Wiegand