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WIEN / Josefstadt: TOTES GEBIRGE

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
TOTES GEBIRGE von Thomas Arzt
Uraufführung
Premiere: 21. Jänner 2016 

Uraufführungen schmücken ein Theater ungemein, und wenn es gar eine heimische ist… Den Handke kann sich zwar nur das Burgtheater leisten (demnächst), aber der Oberösterreicher Thomas Arzt, erst 33 Jahre alt, hat schon einen Namen. Und der Pressetext des Hauses verkündet zu seinem Stück „Totes Gebirge“ vollmundig: „Die Suche nach Gründen für die Erkrankung der Hauptperson weist über die individuelle Geschichte des Patienten hinaus auf eine Gesellschaft, die selbst erkrankt ist – perspektivenlos gestrandet zwischen ökonomischem Dauerstress und politischem Stillstand. Ein Stück über die österreichische Seele, die hier – laut Thomas Arzt – kein weites Land mehr ist.“ Wäre sie es nur – als sie es noch war, wurden bessere Stücke geschrieben.

Es klingt also nach einer geballten politischen Aussage, aber wenn – dies nur am Rande bemerkt – der Autor zu einer Österreich-Beschimpfung ansetzt, wozu er als Thomas Bernhard-Kollege quasi verpflichtet ist, fällt diese so kraftlos aus, dass sie in der Aufführung resonanzlos unter dem Tisch landet. Und das „politisch Lied“ bekommt man auch nicht – dafür reichen ein paar banale „Weisheiten“ über die heutige Welt nicht aus. Was sich da in einer undefinierten, höchst seltsamen, scheinbar halb „offenen“ Psychiatrischen Anstalt abspielt (nein, nix mit „Einer flog über das Kuckucksnest“, so viel Power wird man hier vergebens suchen), hat kaum „Handlung“.

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Es ist wohl auch nicht als realer Ort gemeint, mit einer Ärztin und einem ach so bemühten Pfleger und den drei Patienten: einer mit schwerem Gehirnschaden, einer, der wohl nur „spinnt“, und einer, der sich selbst einweist, weil er zu verwirrt ist, das Leben zu ertragen. Seine gefühlsarme Schwester, die in der Anstalt erscheint, offenbar um das „Problem Bruder“ per Entmündigung zu erledigen, steht für eine nicht sehr anheimelnde Außenwelt.

Ist doch „eh klar“, was gemeint ist, oder? Die Krankheiten – die einen, die nur noch auf den Untergang warten; die anderen, die kraftlos auf die Gesellschaft schimpfen und sich in ihre Lebenslügen vergraben; die wieder anderen, die in ihrer Resignation paralysiert sind. Dazu gezeigt, wie gefühl- und anteillos damit umgegangen wird (Ärztin) und wie die Gesellschaft dies alles nur los sein möchte, zumal es Geld kostet (Schwester). Dazwischen wieselt ein unermüdlicher Gutmensch, der nur ein unscheinbares bißchen helfen kann. Ist doch klar, oder?

Doch die Schilderung der einzelnen Figuren fällt einerseits nur absichtsvoll schräg und noch absichtsvoller unappetitlich aus (angepißt und angeschissen), was da andererseits einen Abend lang geredet wird, macht keinen wie immer gearteten Sinn. Ja, muss es das denn, wird die Dramaturgie fragen, wenn es sich doch offensichtlich um eine Metapher handelt, um ein Gleichnis des verwahrlosten, geistlosen, beschimpften Hauses Österreich von heute?

Verziert freilich nach und nach (häßlich ist es in der Psychiatrie, Bühnenbild: Miriam Busch) mit Bildern derer, die irgendwie zitiert oder ins Gespräch gebracht werden sollen: Eine der Figuren heißt Raimund, und Ferdinand Raimund in seiner Menschenfeind-Rolle findet man auf einem Bild. Eine andere heißt Nepomuk, wie Johann Nepomuk Nestroy, und er wartet auf den Kometen: Ein Bild von Nestroy als Knieriem entdeckt man auch. Und von Schikaneder als Papageno. Und von Maria Theresia und Joseph II. (hat nicht irgendwer die Aufklärung zitiert?). Ja, und da ist einer, der heißt Loser, und das ist bekanntlich ein Gipfel im Toten Gebirge, das zwischen Oberösterreich und der Steiermark liegt. Andere Namen sind „Priel“ und „Woising“ (gleichfalls Gipfel im Toten Gebirge). Wie sich das Kärntnerische Mölbing in das Namen-Ratespiel schlich… wer weiß?

Was diese Quiz allerdings soll, bleibt so vage wie die ganze Angelegenheit, die sich mit mühevoll-sinnfreiem Szenenwechsel durch zweidreiviertel Theaterstunden schleppt. Das hat Regisseurin Stephanie Mohr weder witzig noch tragisch, weder unterhaltend noch eindrucksvoll gestaltet, da spürt man die willkürliche Suche nach irgendwelchen Aktionen, nur damit sich das Werkel weiterdreht.

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Sicher, Susa Meyer, als Anstaltsärztin kaum zu erkennen und folglich neu in ihrem schauspielerischen Ansatz, ist eine gute Schauspielerin. Übrigens sieht sich auch Maria Köstlinger optisch kaum gleich (heißt sie „Schönberg“, weil ihre Figur so dissonant ist?). Bei Ulrich Reinthaller fragt man sich, warum er auf die Bühne zurückkehrt, um eine Rolle zu spielen, deren Bedeutung zumindest das Publikum nicht erkennen kann, und Roman Schmelzer sowie (mehr noch) Stefan Gorski müssen substanzlose Kunstfiguren geben. Peter Scholz wieselt als Gutmensch-Pfleger herum. Sechs Personen und so gar kein Autor.

Sie alle tragen Kopfmikrophone (!) und brechen (vielleicht, weil in österreichischen „Volksstücken“ gern gesungen wird?) immer wieder in kollektiven Chorgesang aus, der (Musik: Andreas Schett, Markus Kraler, Musikzuspielung durch Musicbanda Franui) wir Brecht aggressiv frontal ins Publikum geschleudert wird, allerdings streng in bundesländischem Dialekt. Gelegentlich setzt man dazu auch Perchten-Masken auf. Nicht fragen, warum, das darf man heutzutage nicht.

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Am Ende haben alle Silvester-Scherz-Mützchen auf und singen: „Wenn der Wahnsinn wie ein Lercherlschaas vergeht…“ – und auf einmal ist es aus. Vergangen der Wahnsinn. Man glaubt es nicht, ist aber dann dankbar. Wunderbar, es ist aus.

Bloß dass alle Enden offen geblieben sind, die Suche nach irgendeinem Sinn des Gebotenen sinnlos, das Publikum echt grimmig: „Eine Zumutung.“ Mit der verärgerten Beifügung: „Und es wird wieder keiner sagen.“ Hier sei’s gesagt: „Totes Gebirge“ ist eine Zumutung – nicht nur für ein Josefstädter Publikum.

Renate Wagner

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