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STUTTGART/Schauspiel Nord: DIE ANMASSUNG von Carsten Brandau. Uraufführung

Die Anmaßung“ von Carsten Brandau als Uraufführung/Premiere im Schauspiel Stuttgart

ABSCHIED AUF RATEN

Uraufführung von „Die Anmaßung“ von Carsten Brandau im Schauspiel Nord am 21. Januar 2016/STUTTGART

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Manuel Harder. Copyright: Julian Marbach

Der versierte Schauspieler Manuel Harder spielt hier in virtuoser Weise sich selbst. Und die einfühlsame Regie von Florian von Hoermann (Bühne: Julian Marbach; Kostüme: Cinzia Fossati) hilft ihm dabei. Dabei soll er nicht nur so tun, sondern die Rolle wirklich und wahrhaftig sprechen und ausfüllen. Das Spiel, das Echte, die Kunst und das Leben vermischen sich zu einer suggestiven Erfahrung, die Harder auf der recht großen Bühnenoberfläche auskostet. Sein Name prangt in riesigen Buchstaben im Vordergrund. Er wird sie später wie Säulen wegstoßen und damit ein großes Chaos hinterlassen. Dieser Theatertext über die Trennung, das Weg-Gehen und den Abschied gestaltet der Schauspieler wie aus einem Guss, er spricht die Zuschauer ganz direkt an. Es ist auf einmal nicht mehr so, wie es mal gedacht war.

Harder hat kurzfristig die Entscheidung getroffen, eine persönliche Beziehung abzubrechen und zu beenden. Liebe und Hass liegen dabei nah beieinander. „Ist ja alles nur Theater!“ stellt er ernüchtert fest. Langsam fällt Manuel Harder an diesem Abend in ein bodenloses Nichts, das ihn nicht mehr auffängt. So gerät aber auch sein wahnwitziger Monolog nie ins Stocken, sondern entführt das überraschte Publikum in eine groteske Welt voller Widersprüche. „Heute abend gehört die Bühne ganz mir“, stellt Harder ernüchtert fest. „Was erwarte ich mir denn?“ ergänzt er hin- und hergerissen. „Ich war nie dabei, es war immer nur eine Möglichkeit“, fährt er weiter fort. Er will sich in einem hoffnungslosen Zustand beklemmenden Wahns den Brustkorb öffnen und das Herz herausreissen. Schließlich übergießt er sich mit schwarzer Farbe und erscheint als Gekreuzigter wie Christus („Mein Gott, warum hast du mich verlassen?!“). „Mein Herz schlägt in deiner Brust“, stellt Harder fest. Zuletzt telefoniert er mit der 75jährigen Elisabeth, die sich dann jedoch während des Telefonats vorzeitig verabschiedet. Manuel Harder philosophiert über Gott und die Welt, hinterfragt die letzten Dinge und findet dennoch keinen Ausweg.

Der Schluss ist sehr melancholisch und verzweifelt: „So ein Leben, das gibt dir niemand zurück.“ Es wird deutlich, wie wenig der Protagonist in seiner bisherigen Existenz erreicht hat. Da er kein besseres Leben bekommt, begehrt er dagegen auf und möchte sich in eine höhere Welt versetzen lassen. Aber das gelingt ihm natürlich nicht. Zuletzt vernimmt man einzelne Stimmen im Publikum, die sich unter der Leitung von Wilhelm Bäuml zu einem großen Chor formen. Es erklingt „Wenn ich einmal soll scheiden“ von Johann Sebastian Bach. Und auf der Bühne wird es dunkel. Die visuelle Wirkungskraft dieser Schluss-Szene ist beträchtlich. Und der ausdrucksvoll und sphärenhaft durchsichtig singende Chor (Egon Bässler, Christiane Burgmann, Hilmar Friedel, Daniela Krol-Zenkowitz, Annette Kuppler, Iska Leibssle, Roland Möll, Edmund Ortwein, Ingrid Schönleber, Eugen Völlm, Regina Weber, Detlev Wolf) transportiert in diesem besonderen Moment irgendwie eine Friedensbotschaft zu den Zuschauern, die das gesamte Ensemble zuletzt ausgiebig feiern.

Das Fazit ist klar: Man soll Ruhe bewahren, denn jede Anmaßung ist immer auch eine Zumutung. Es lohnt sich also letztendlich nicht, sich darüber aufzuregen. Dies gilt sicherlich auch für die Christus-Darstellung, an der vielleicht der eine oder andere Anstoß nehmen könnte.

Alexander Walther        

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