BONN: JĂRUSALEMÂ Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Premiere am 31.Januar
WILL HUMBURG entfĂŒhrt mit dem BEETHOVEN ORCHESTER in die MailĂ€nder Scala. Realiter dirigiert er Verdis âJerusalemâ freilich an der Bonner Oper. Seit letzter Spielzeit GMD in Darmstadt, ist Humburg hĂ€ufiger Gast an diesem Haus wie auch im benachbarten Köln. Dort wird er demnĂ€chst mit âParsifalâ (WA) zeigen, dass sein Repertoire ĂŒber die italienische Oper entschieden hinaus geht, fĂŒr die er allerdings ein besonderes HĂ€ndchen besitzt, wie immer wieder erlebt. Verdis âJĂ©rusalemâ, die Neufassung der âLombardiâ, dirigiert er zum ersten Mal, musste das Werk also neu fĂŒr sich entdecken. âIch verliebe mich in jeder Probe mehr in das StĂŒckâ, hat er in einem Interview zu Protokoll gegeben und findet, dass die Bearbeitung fĂŒr Paris (Premiere dortselbst 1847) das Original weit ĂŒberflĂŒgelt.
Der Transfer ins Französische hatte nicht nur sprachliche Modifikationen zur Folge, auch in die Partitur griff Verdi so massiv ein, dass âJĂ©rusalemâ im Grunde als ein völlig neues Werk angesehen wird. Der Komponist war mit dem Ergebnis sehr zufrieden und wies seinen Verleger Ricordi an, die Oper nur ohne KĂŒrzungen fĂŒr AuffĂŒhrungen frei zu geben. Die ihm abgerungene Ballettmusik hielt er allerdings bei Bedarf fĂŒr entbehrlich. Auch Will Humburg ist der Meinung, dass diese zwanzig Minuten bei einer szenischen Widergabe nur unnötig ritardieren. Als separate Nummer im Konzertsaal aber gerne.
Die WertschĂ€tzung des Dirigenten fĂŒr âJĂ©rusalemâ ist unschwer nachvollziehbar, nicht zuletzt deswegen, weil es dem Dirigenten gelingt, Verdis musikdramatische Sprache bis ins letzte Detail auszureizen und in flammenden Klang umzusetzen. Unter seinen HĂ€nden gewinnt jede melodische Floskel, jede dynamische Finesse essenzielle Bedeutung. Die BlechblĂ€ser trumpfen machtvoll auf, die HolzblĂ€ser kolorieren farbenfroh (manchmal, wie in dem âNabuccoâ-nahen Chor âO Signore, dal tetto natioâ, sogar naiv und drastisch), die Streicher spannen groĂe, vibrierende Bögen. Humburgs Interpretation ĂŒberfĂ€llt den Zuhörer förmlich. Nicht von ungefĂ€hr war die Reaktion des Premierenpublikums enthusiastisch wie selten. Der verstĂ€rkte Chor der Bonner Oper wurde in den Beifall gebĂŒhrlich einbezogen.
Auch die SĂ€nger rangieren auf höchstem Level. ANNA PRINCEVA (vor kurzem noch als Teresa in âBenvenuto Celliniâ zu erleben, davor in âGiovanna dâArcoâ) weiĂ mit Kantilenen und Koloraturen gleichermaĂen sicher umzugehen, singt die HĂ©lĂšne zudem mit groĂer emotionaler Passion, die sich auch in der Darstellung niederschlĂ€gt. Ihr Geliebter Gaston (Graf von BĂ©arn) ist mit SĂBASTIEN GUĂZE besetzt, den Bonnern bereits als Hoffmann vertraut (in einer Spezialfassung des Werkes, die sich der junge SĂ€nger binnen weniger Tage aneignete). Seinem Vokalstil könnten sichern noch einige Finessen zuflieĂen, aber er ĂŒberzeugt mit vokaler Verve und Leidenschaft im BĂŒhnenspiel. Und da er seine Rolle vom dritten Akt an mit nacktem Oberkörper zu spielen hat, kommt ihm sein attraktives ĂuĂeres zugute.
FĂŒr Roger, welcher vom (Fast)Mörder zum BĂŒĂer im Heiligen Land wird, steht FRANZ HAWLATA zur VerfĂŒgung. Vor Jahren verkörperte er im gleichen Werk an der Wiener Staatsoper (unter Zubin Mehta) noch die Comprimario-Partie des Papstlegaten AdhĂ©mar de Monteil. Sein Wotan-gestĂ€hlter Bassbariton besitzt nach wie vor reiches Fundament und kraftvollen Ausdruck. Der Graf von Toulouse, Rogers Bruder, rabiat als Christ wie als Vater (von HĂ©lĂšne) liegt CSABA SZEGEDI sicher in der Kehle (auch er war schon im âCelliniâ zu erleben). Erstklassige Leistungen kommen weiterhin von PRIIT VOLMER (Legat), CHRISTIAN GEORG (Raymond, Gastons Knappe), GIORGOS KANARIS (Emir von Ramla) und CHRISTIAN SPECHT (dessen Offizier). Zu ergĂ€nzen sind BRIGITTE JUNG (Isaure), EGBERT HEROLD (Herold !) und Nicholas Probst (Soldat).
Die Bonner Produktion (zusammen mit dem Theater von Bilbao) mĂŒsste der Rezeption von âJĂ©rusalemâ eigentlich einen wichtigen Impuls geben (ob die âLombardiâ Version dies auch verdient, wĂ€re erst noch zu prĂŒfen). FĂŒr eine vertiefende BeschĂ€ftigung mit dem Werk stehen derzeit eine DVD-Aufzeichnung aus dem Teatro Felice in Genua (Dirigent: Michel Plasson), die erste Studioproduktion der Oper (Dirigent: Fabio Luisi) sowie eine Aufnahme von RAI Torino (Katia Ricciarelli, JosĂ© CarrĂ©ras, Sigmund Nimsgern, Dirigent: Gianandrea Gavazzeni) zur VerfĂŒgung. Die letztgenannte Veröffentlichung wird ergĂ€nzt durch Liveszenen aus dem Teatro Fenice von 1963, ebenfalls unter der StabfĂŒhrung von Gavazzeni (mit Leyla Gencer, Giacomo Aragall, Giangiacomo Guelfi).
 Erst jetzt auf den szenischen Anteil der Bonner AuffĂŒhrung zu kommen heiĂt nicht, diesen als weniger bedeutungsvoll einzuschĂ€tzen. Eher im Gegenteil. Bei allem Respekt vor Giuseppe Verdi: die Sujets vieler seiner Opern, der frĂŒhen zumal (in Bonn als nĂ€chstes âAttilaâ), haben Patina angesetzt, enthalten Partien, die emotional nachvollziehbar, aber von einer heute zu erwartenden psychologischen Stimmigkeit ziemlich entfernt sind. Bei der Kreuzfahrer-Geschichte von âJĂ©rusalemâ, versetzt mit Mord und Totschlag, RachegelĂŒsten und BuĂbereitschaft, lĂ€sst sich â vorsichtige Behauptung â freilich kaum etwas âkorrigierenâ. Die fraglos mit Herzblut angegangene Geschichte sollte deswegen aber nicht mit interpretatorischem Hauruck-Ehrgeiz ĂŒberfrachtet werden.
 FRANCISCO NEGRINs Inszenierung gibt den manchmal plakativ sicher etwas ĂŒbersteigerten GefĂŒhlen der Protagonisten ganz einfach Raum. Davon lĂ€sst man sich als Zuschauer auch bei anfĂ€nglichem intellektuellen Widerstand zuguterletzt anrĂŒhren. SĂ€ngerposen unterdrĂŒckt der Regisseur nicht prinzipiell, doch wirkt das nie als szenische Kapitulation. Auch beim Chor gelingen ihm schlĂŒssige Wirkungen.
 Mit unglaublich starker Suggestionskraft wirkt die BĂŒhne von PACO AZORIN: ein steingrauer, geschlossener Raum mit groĂen Ăffnungen, dessen Architektur nach hinten ins Unendliche zu verlaufen scheint. Die WĂ€nde sind eben so beweglich wie der BĂŒhnenboden, fĂŒr zusĂ€tzliche Lebendigkeit sorgen Videoeinblendungen. Gegen Ende setzen nicht ganz deutbare LeuchtstĂ€be Farbakzente. Die KostĂŒme DOMENICO FRANCHIs finden eine sinnvolle Mischung von Historie und moderater ModernitĂ€t. Szenisch also ein absolut runder Drei-Stunden-Abend. Sein eigentlicher Sieger heiĂt gleichwohl Will Humburg.
Christoph Zimmermann