Frankfurt: STIFFELIO von Giuseppe Verdi. Premiere am 31.1. 2016
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Sara Jakubiak, Russell Thomas. Copyright: Monika Rittershaus
Stiffelio ist eine Oper aus Verdis mittlerem Opernschaffen, die aber erst seit Herausgabe einer Neuausgabe in den Neunziger Jahren wieder, selten genug, aufgeführt wird. Dabei hatte sie Verdi 1850, seinem vielleicht fruchtbarsten Jahr mit Rigoletto, Trovatore und Traviata, konzipiert. Und die Musik klingt sehr danach, natürlich mit einem dem Ambiente der exotischen Religionsgemeinschaft angemessenen Farbe. Dass ‚Stiffelio‘ doch so erfolglos blieb, ist der stark eingreifenden Zensur geschuldet, und dass die protestantische Religionsgemeinschaft, auch noch im Älplerischen angesiedelt, den Italienern doch einigermaßen befremdend anmutete. Später hat Verdi große Teile dieser Oper für eine neue Oper ‚Aroldo‘ über einen englischen Seefahrer verwendet, die sich aber noch weniger durchsetzte. Es ist nur konsequent, dass sich jetzt ein großes Opernhaus wie Frankfurt für diesen geheimnisvoll außenseiterhaften ‚Stiffelio‘ einsetzt, und dies auch erfolgreich mit guten Mitteln.
Schon im Vorspiel muten fast schräg anfänglich stockende Pizzicati in den tiefen Streichern an, es verirren sich seltsame thematischeTrompeten- und Posauenenfiguren, bis alle Instrumente endlich einen regelrechten rhythmischen Sog entfalten. Dann kommt es auch mal in die Nähe von ‚Traviata‘, denn hier geht es ja auch um eine ‚Gefallene‘, die ehebrüchige Lina. Jeremie Rhorer hat die Musik in ihrer oft befremdlichen, auch harmonischen Widerborstigkeit ernst genommen und lässt sie vom Museumsorchester ganz zurückgenommen, dann wieder wuchtig und knallig exekutieren. Sie ist wie ein dunkler Schatz, der noch seiner völligen Hebung wartet.
Davon ausgehend, dass ein Historismus für die Sekte, um die es hier geht, nicht so wichtig erscheint, hat Regisseur Benedict Andrews als Vorgabe die mennonitischen Gemeinden in Südamerika genommen, die sich nicht so radikal aufgespielt haben, und deren Gutmütigkeit in einer noch legeren Kleidung zum Ausdruck kommt. So tragen die Frauen bunte Blümchenkleider, teils sogar mit Rüschen, die Männer normale Anzüge auch ohne Sakko/ Kostüme: Victoria Behr. Gleichzeitig bringt Andrews zum Ausdruck, wie sich unter dieser spielerisch leichten Oberfläche bei ‚Vergehen‘ größte Abgründe auftun können. Und wo die Priesterehe erlaubt ist, wirkt ein Ehebruch viel schwerer. Graf Stankar, der das Verhältnis seiner Tochter zu Raffaele erfahren hat, vergreift sich selber an der ehrlos Gewordenen, deren Fehltritt er aber vertuschen und die Familienehre somit aufrecht erhalten will. In der Friedhofszene, in der später wieder auferstehende Jungfrauen unter durchsichtiger Plastikfolie neben ewigen Rotlichtern liegen, wendet sich Lisa an ihre jüngst verstorbene Mutter. Ihr nun vor Eifersucht toller Ehemann verlangt von ihr, die sich auf „Vergewaltigung“ herausredet, die Scheidung, und nun wendet sie sich an den Priester in ihm, um Vergebung bittend. Diese wird ihr aber nur durch Zufall zuteil, da bei Stiffelios Schlußpredigt wie eine ‚Losung‘ die Geschichte von der Ehebrecherin aus der Bibel auf der Kanzel (hier eine Leiter) aufliegt. Da erscheint Lina aber bereits verurteilt, was Ewans dadurch zum Ausdruck bringt, dass sie nach Abnahme ihres Schleiers in der Gemeinde quasi nackt erscheint. Vorher war sie durch ein dezentes schwarzes Faltenkleid herausgehoben. Das Bühnenbild stellt auf einer riesigen rechteckig weißen Drehbühne ein Gemeinde-Glashaus dar, das auf dem Friedhof nach oben gestülpt erscheint und dann wie ein Kreuz wirkt. Bei der Auseinandersetzung Lina -Stiffelio hebt es schräg nach oben ab, nichts erscheint mehr als geerdet (Bühne: Johannnes Schütz).
Der Chor unter T.Michael kommt zu potent klanglichen, wuchtigen Einsätzen, gedrängt im Gemeindehaus, oder aus unzähligen Türen aus dem Hintergrund auftretend. Die Dorotea wird in einem ockergelben Kleid von Maria Pantiukhova als Mezzosopran gestaltet. Federico ist als Gemeindemitglied Beau Gibson, Jorg als Geistlicher Alfred Reiter mit kurzen Baßintonationen. Auch der Liebhaber Raffaele hat nur einen Kurzauftritt in der Friedhofszene und wird von Vincent Wolfensteiner leidenschaftlich gezeichnet. Dario Solari ist ein stimmschöner Verdi-Bariton, hat aber als Graf Stankar nicht seinen besten Tag erwischt. Szenisch macht er sich auch als Überbringer des Kopfes von Raffaele unverzichtbar. Dies ist aber in dem sonst eher schlichten diskreten Ambiente ein ein allzu naturalistischer Schock, auch für Lina in Gestalt von Sara Jakubiak, die das blutige Haupt wie eine Salome vor sich halten und herzen muß. Die ganz gebrochen wirkende Figur kann sich stimmlich immer exquisit einbringen. Ihr wohllautend timbrierter voluminöser Sopran flutet auf die Szene wie ihre langen roten Haare. Eine weitere Ausnahmeerscheinung ist Russell Thomas als Stiffelio. Gedrungen und schwarz in engwirkenden braunen Anzug ist er der Außenseiter par excellence. Mit seinem äußerst kräftigen klangstarken, auch mal etwas starr wirkendem Tenor begleitet er seinen Schwenk in die totale Eifersucht, damit einhergehend das völlige Unverständnis für die erotisch liebe-betonte Gattin. Somit wirkt er, nicht nur wegen der schwarzen Hautfarbe, ganz wie ein vorweggenommener Otello, der hier mindestens ebensoviel gesanglich und als Priester abzuleisten hat.
Friedeon Rosén