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WIEN/ Theater an der Wien: LAZARUS

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Theater an der Wien:  LAZARUS 20.12. 2013

Lazarus Streit x
Kurt Streit. Foto: Theater an der Wien

Wenn schon Schuberts Opern trotz intensiver Wiederbelebungsversuche kein bleibender Platz im internationalen Opernbetrieb beschieden ist, so versuche man es mit seinem Oratorium. Und was Claus Guth 2008 mit Händels Messias gelang, das könnte auch auf den fragmentarischen „Lazarus“ von Franz Schubert (D689) zutreffen. Das Libretto stammt von August Hermann Niemeyer (1754-1828) und wurde zunächst von Johann Heinrich Rolle (1716-85) für seinen „Lazarus“ von 1778 vertont.

Schubert übernahm dieses Libretto für sein 1820 komponiertes Fragment, das von der Auferweckung des biblischen Lazarus von Bethanien durch Jesus nach dem Johannes-Evangelium (Joh 11,1-45) erzählt, und übernahm auch die Gliederung in drei Handlungen anstelle von Akten. Der überlieferte Teil der Musik bricht jedoch mitten in der Arie der Martha bei der Grablegung während der zweiten Handlung ab. Der russische Komponist Edison Wassiljewitsch Denisov (1929-96) vervollständigte schließlich Schuberts Lazarus für eine CD-Einspielung.

Von Carl Loewe (1796-1869) stammt noch ein weiteres Oratorium „Die Auferweckung des Lazarus“ von 1863 und schließlich gelangte der biblische Stoff auch zu Opernehren durch den spanischen Komponisten Cristóbal Halffter (1930*), dessen „Lázaro“ 2008 im Opernhaus Kiel uraufgeführt wurde.

Claus Guth schuf für seinen Lazarus eine, mit dem biblischen Geschehen nur rudimentär verbundene, lose Szenenabfolge. Verortet hat Ausstatter Christian Schmidt die Handlung in die Abflugshalle eines Flughafens mit einer weißen Treppe in der Bühnenmitte, die symbolhaft die beiden Welten des Unten und Oben, des Dies- und Jenseits, gleichsam als poetische Klammer, zusammenhält. Das Personal auf der Bühne trägt  Alltagskleidung der Gegenwart.

Eine Auferweckung des Lazarus findet bei Guth freilich nicht statt. Vielmehr zeigt er das Sterben eines krebskranken Mannes, das lediglich von seinen beiden Schwestern wahrgenommen wird. Es geht um die Einsamkeit des Individuums in diesem letzten Moment, seine Sinnsuche und Rechtfertigung vor sich und einer transzendenten Macht. Guth verliert sich aber nicht in religiösen Spekulationen, sondern überlässt es der Betroffenheit des Publikums sich allenfalls mit in das Geschehen hinein ziehen zu lassen. Der Regisseur huldigt dabei seinem eigenen Stil, den er bereits bei seinen Da Ponte-Operninszenierungen für die Salzburger Festspiele „Le Nozze di Figaro“ (2006), „Don Giovanni“ (2008) und „Così fan tutte“ (2009), erfolgreich demonstrierte, in immer wieder kehrenden Abwandlungen. Handelnde Personen, hier Lazarus, werden gedoppelt und einer Treppe kommt mehr als nur funktionale Bedeutung zu. Typische Accessoires in diesem Ambiente, wie Smartphones, Aktenkoffer und Damenhandtaschen, könnten ebenso aus seinen beiden Monteverdi-Inszenierungen für das Theater an der Wien, „L’Orfeo (2011) und „Il ritorno d’Ulisse in Patria“ (2012), stammen. Tablettenabhängigkeit und Zigarettenkonsum sollen wohl einen Gegenwartsbezug zu unserer schnelllebigen inhaltsleeren und egomanischen Welt versinnbildlichen. Rosenblüten auf dem Körper des toten Lazarus verstreut, scheuen dabei auch nicht das Attribut des rührseeligen Kitsches.

Im zweiten Teil des Abends wird die Sache schon spannender. Charles Ives „The Unanswered Question“ in der Fassung für Trompete, Holzbläser-Quartett und Streicher kann als ideale Musik für das Unaussprechliche, Unfassbare des Übergangs vom Leben zum Tod und des Danachs gedeutet werden. Zu der eindringlichen Musik tritt der Pantomime Paul Lorenger graziös auf und erinnert dabei entfernt an eine Performance des Countertenors Klaus Nomi (1944-83).

Es folgen nun zwei Chöre von Schubert à capella „Dreifach ist der Schritt der Zeit“ D69 für Damen und „Grab und Mond“ D893 für Herren. Der Transitraum am Flughafen wich einer weißen Halle, in die der tote Lazarus verhüllt auf einem Rollwagen liegend geschoben wird. Ein Mann mit Putzwagen (Jan Petryka) singt von der Estrade Schuberts „Nachhelle“ D892, begleitet von einem vierstimmigen Herrenchor. Soll er Petrus symbolisieren, der den Eingang zum Paradies hütet? Danach kommt noch einem Charles Ives mit seinem The „Saint-Gaudens“ in Boston Common aus seinen „Three Pieces in New England“ in einer Version für Kammerorchester und Klavier zu Wort.

Nun tritt auch Lazarus Freund Simon (Florian Boesch), von Todessehnsucht erfüllt, auf und stimmt den „Wegweiser“ aus Schuberts Winterreise D911, in einer Version für Kammerorchester von Anton Webern, an. Langsam schreitet er als Spiegelung von Lazarus die symbolträchtige Treppe hinauf.

Das Finale dieses „Opernabends“ beschließt das „Sanctus“ aus der Es-Dur Messe von Franz Schubert D950.

Kurt Streit zeigte einen mit Röntgenbild herumgehenden totkranken Lazarus mit solidem würdevollem Tenor, gerade ideal für dieses Oratorium. Florian Bösch gefiel als äußerst dramatischer Simon mit seinem markanten voluminösen Bariton. Stephanie Houtzeel als Martha ließ einen in der Höhe etwas schrillen Sopran vernehmen, während Annette Dasch als Maria mit ihrem fülligeren, reifen Sopran auch in den lyrischen Momenten den Schubert’schen Sound ideal traf. Der tschechische Tenor Ladislav Elgr als Nathanael mit Priesterkragen wirkte gelegentlich in der Höhe angestrengt. Wen wundert es, wird doch ein Großteil der Bevölkerung Wiens derzeit von einer hartnäckigen viralen Grippewelle heimgesucht.

Die türkische Sopranistin Çiğdem Soyarslan, Mitglied des Jungen Ensembles des Theaters an der Wien,  versprühte als Stewardess Jemina nicht nur gesanglich aufreizenden Charme. Erwähnenswert noch das gefühlvoll vorgetragene Tenorsolo „Nachthelle“ des Polen Jan Petryka.

Der von Erwin Ortner „schubertiadisch“ konsequent einstudierte Arnold Schoenberg Chor belebte als Reisende die Abflugshalle. 

Michael Boder pflegte gemeinsam mit dem Orchester der Wiener Symphoniker einen weihevollen Schubert, passend zu den von Claus Guth in seiner Inszenierung aufgeworfenen existenziellen Fragen. Die durchgängig depressive Grundstimmung brachte aber auch so manche Länge des Abends mit sich, die erst durch das finale „Sanctus“ aufgehoben schien. Trotz mancher Schwächen blieb der Abend für jene, die Schuberts Lazarus nicht kannten ein interessanter Abend, den man aber bald wieder aus dem Gedächtnis streichen wird.                               

Harald Lacina

 

 

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