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WIEN / Burgtheater: KÖNIG LEAR

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King_Lear_Brandauer sitzt
Fotos: Burgtheater /  Reinhard Werner

WIEN / Burgtheater
KÖNIG LEAR von William Shakespeare
Premiere: 21. Dezember 2013 

Der letzte „Lear“ des Burgtheaters liegt gar nicht so lange zurück: Im Mai 2007 inszenierte Luc Bondy das Stück mit Gert Voss, der Narr war mit Birgit Minichmayr weiblich besetzt, der Erfolg groß. Damals war Voss der Star des Hauses. Sechs Jahre später galt es, eine Rückholaktion einzuleiten, die sich schon rund um den 70. Geburtstag von Klaus Maria Brandauer abgezeichnet hat: Österreichs Weltstar, der es auch in Hollywood geschafft hat, ein vielfach Ambitionierter zwischen Theaterregie und Filmemacher, wenn er nicht als Darsteller in allen Medien aktiv war, hat (nach Anfängen an der Josefstadt) zwar immer wieder am Burgtheater gespielt, aber möglicherweise nicht so viel, wie er selbst gewollt hat. Nun, mit 70, die berühmteste Altersrolle der Theaterliteratur, Shakespeares „Lear“, zu verkörpern, muss allen wie eine Krönung vorgekommen sein – ein programmierter Erfolg bis Triumph, wie er sich auch einstellte.

Wer auf dem Theater „Brandauer“ sagt, muss allerdings seit einigen Jahren auch „Peter Stein“ sagen, denn die beiden haben sich gefunden – für den Wallenstein, für Kleist, Sophokles, Beckett. Das realisierte sich bisher allerdings in Berlin oder Salzburg, und wenn die spektakuläre Zusammenarbeit nun am Burgtheater zu sehen ist, dann handelt es sich doch tatsächlich – kaum zu glauben – um Peter Steins Debut an diesem Haus. Nun, er hatte anderswo zu tun, war einst die Legende der Berliner Schaubühne… und damals noch einer der fortschrittlichsten Regisseure der Deutschen.

Mittlerweile teilen Brandauer und Stein ein Theaterverständnis, das man nicht als „altmodisch“ oder „gestrig“ bezeichnen will, denn der respektvolle Umgang mit dem Original muss neben der heute auf den Bühnen vorherrschenden Demontage von Stücken auch noch seine Berechtigung haben. Also geht „König Lear“ (im Gegensatz zu anderen Klassiker-Verstümmelungen, – Kürzungen und –Verballhornungen) in viereinviertel Stunden über die Bühne. Und ganz ohne Schnickschnack. Höchstens mit einigen – Eigenwilligkeiten.

Das Stück ist kompliziert, nicht zuletzt deshalb, weil es neben der Handlung von Lear und seinen drei Töchtern noch die parallele und eigentlich ebenso wichtige des Grafen von Gloster und seiner beiden Söhne aufzeigt. Außerdem ist das Werk einerseits Haupt- und Staatsaktion, Beispielfall für rücksichtsloses politisches Verhalten, andererseits ein Gleichnis, abgehoben von der Welt, der Absurdität nahe, wenn die Verlorenen und Ausgestoßenen hier unter Gewitter und Sturm als ewiges Paradigma über die Heide irren…

Peter Stein, auch er auf leerer Bühne wie so viele heutzutage (Ferdinand Wögerbauer brauchte praktisch nur für Lears Thron, die Versenkung und ein Zelt sorgen), geht die Geschichte ganz gerade an (wobei die Kostüme von Annamaria Heinreich „historisieren“). Leider in der von ihm bearbeiteten Übersetzung von Graf von Baudissin, die nicht gerade durch Verständlichkeit glänzt – und das Stück hat so viele Sprünge, dass man für jede Hilfe dankbar wäre. Zu Beginn verteilt Lear also sein Königreich Britannien (auch das ein Beispielfall: An Lears Schicksal lernt jeder Mächtige und Reiche, sich ja nicht zu Lebzeiten seiner Macht zu begeben…) – nicht unter die drei Töchter, wie ursprünglich beabsichtigt, sondern nur unter zwei, weil die dritte seinen Anforderungen an Schmeichelei und Schleimerei nicht entspricht. Man hätte hier deutliche psychologische Ausfeilung erwartet, aber sie findet nicht statt. Gute Schauspieler bieten ihren Text.

Erst im Laufe des Abends werden sie deutlicher, akzentuierter. Stein drückt sich nicht vor Shakespeares „Theater der Grausamkeit“ (wenn Gloster die Augen „ausgetreten“ werden), aber er spielt es auch nicht übertrieben aus. Die „bösen Schwestern“, zwei der dankbarsten Hexen der Theatergeschichte, kippen erst mit der Zeit exzentrisch um. Am Ende nimmt sich Stein mehr Zeit für das Duell der feindlichen Brüder, als es gut ist (inklusive langen Trompeten-Einleitungen), denn ein Kampf mit Riesenschwertern ist das, was ein Publikum von heute aus Science-Fiction-Filmen (mit wahren Musikfluten) gewohnt ist – auf der Bühne macht sich dergleichen, so gut es immer einstudiert sein mag, immer ein bisschen lächerlich aus.

Diese Gefahr der Lächerlichkeit besteht auch an anderen Stellen – nicht nur bei den so schreiend simplen Intrigen, die Menschenschicksale zerstören (ein gefälschter Brief, und schon zweifelt ein Vater, den man für einen klugen Mann halten möchte, an seinem Sohn und verstößt ihn), sondern auch am Ende, wenn dann beim Sterben noch die Geständnisse herausgestoßen werden… Da müsste man gegensteuern, doch Stein konnte Lacher aus dem Publikum nicht verhindern.

Kurz, es war keine gänzlich runde Sache, vor allem keine, die es dem Publikum mit „Seht her, das meine ich mit dieser Inszenierung!“ umweglos leicht gemacht hätte. Die Interpretation muss man suchen, ob man sie findet, ist vielleicht der Begabung des einzelnen Zuschauers überlassen (aber war es bei dem Berliner „Wallenstein“ beispielsweise nicht ähnlich?). Am Ende steht das große Ganze gewaltig da, man vergisst Durststrecken, hält sich an Höhepunkte.

Erstaunlich und bemerkenswert, wie sehr Klaus Maria Brandauer sich zurückhält. Kein Zweifel, dass man den Lear viel wirkungsvoller, differenzierter, interessanter spielen könnte. Aber dieser König, dem das lange graue Haar tief den Rücken hinab hängt, schäumt und „singt“ sozusagen nicht, wenn er in Wut gerät (er verrät auch nicht wirklich, ob er vielleicht bloß dumm ist), und wenn nach eineinhalb Stunden Demütigung durch seine zwei bösen Töchter der Weg auf die Heide und in den Wahnsinn angetreten wird, dann „irisiert“ Brandauer auch nicht. Er gibt es nicht billig. Er ist einfach sein ganz persönlicher Lear, ohne viel „Theater“ zu machen. Vielleicht, weil er gefühlt hat, dass seine Wirkung dort am größten ist, wo er ganz schlicht bleibt – wenn ein Wahnsinniger ganz locker vor sich hin philosophiert und dabei erstaunliche Erkenntnisse von sich gibt, dann hört man fasziniert zu.

Aber auch Joachim Bissmeier, unter Peymann abgewandert, in Wien erst an die Josefstadt wiedergekommen, jetzt heimgekehrt, hat als alter Gloster ein paar atemberaubende Momente – am großartigsten jener, wo er (nun schon blind, die Augen ausgestochen) meint, von der Klippe von Dover zu stürzen, um seinem Leben ein Ende zu setzen, aber nur „auf die Schnauze“ fällt – und meint, durch ein  Wunder gerettet zu sein.

Fabian Krüger als sein verstoßener Sohn Edgar, der zuerst als schmutzbeschmierter  „Tom“ in der Heide lebt, arbeitet sich an diesem Abend schnell zu einem Liebling des Publikums vor – weniger, wenn er den Verrückten spielt (er plaudert dann in einer Anzahl von deutschen Dialekten, die man nicht alle versteht), als wenn er wieder zum normalen Menschen wird, der sich seinen Namen und seine Ehre zurückholt und das mit großer Noblesse tut.  Seltsamerweise kommt Michael Rotschopf als intriganter Sohn Edmund, der an sich eine „Bösewicht“-Glanzrolle ist, hier in der Wirkung nicht annähernd so weit.

king_lear_Lear und Narr x

Auf der Heide ist Lear nicht nur von Tom und dem getreuen, auch verstoßenen und nun verkleideten Kent umgeben (durch und durch mit Seelenadel gespielt von Branko Samarovski), sondern auch von seinem Narren – jene seltsame Figur, die angeblich so viel Weisheit von sich gibt (was man als Zuschauer nicht immer versteht, weil man zu dumm ist, und oft nur absurdes Kauderwelsch vernimmt) und die Shakespeare dann mitten im Stück vergessen hat: Der Narr verschwindet zur Pause und ist nicht mehr gesehen. Bis dahin allerdings nützt Michael Maertens seine Chance – mit Brille auf der Nase und törichtem Gesichtsausdruck erinnert er manchmal an Otto Waalkes und macht klar, warum der Begriff „ein Shakespeare’scher Narr“ ein Ehrentitel ist.

Der politische Teil des Stücks liegt bei den beiden Schwestern: Corinna Kirchhoff als Goneril ist anfangs erstarrt und unbeweglich, erst als sie ihr Auge auf Edmund wirft und gar mit ihrer Schwester in sexueller Wut um ihn streitet, taut sie zur Furie auf. Furienhaft ist Dorothee Hartinger als Regan, rote Haare und Angriffshaltung, schon davor, hetzt gegen Vater und Gegner, ist bei jeder Schandtat dabei. Am Ende zuckt sie dann in Hysterie aus (und muss ja auch an Gift sterben). Die „brave“ Cordelia, von der man ehrlicherweise nicht versteht, warum sie ihren Vater nicht eine Freundlichkeit sagen kann (oder sie müsste spielen, warum sie es nicht tut, was hier nicht geschieht), kann auch von Pauline Knof (die etwa im „Homburg“ so nachdrücklich und exzellent war) kein wirkliches Profil erhalten. Auch zählt sie hörbar zu den schlechteren Sprechern auf der Bühne (von denen es einige gibt). Martin Reinke mit seiner charakteristischen Stimme ist als ein „Böser“ glaubhaft, Dietmar König, der die „Bösen“ auch kann, diesmal als „Guter“. Zahlreiche Nebenrollen sind vielfach besetzt (als ob das Burgtheater das nötig hätte): Rudolf Melichar, Peter Wolfsberger, Sven Philipp, Daniel Jesch, Franz J. Csencsits u.a.

Am Ende gab es dann – nachdem während des Stücks hier und da geschlummert wurde, wenn man sich so umsah – den erwarteten stürmischen Beifall. Ein seltsames Detail: dass Brandauer und Stein dabei nie gemeinsam auf der Bühne waren. Aber das war sicher Zufall.

Renate Wagner

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