Tonhalle Zürich: Leif Ole Andsnes und Lionel Bringuier – 12.2.2016
Authentisches Musizieren
Der junge Maestro Lionel Bringuier, erst seit 2014 Chef des Tonhalle-Orchesters Zürich, hatte sich als Dank für die Gönner „seines“ Orchesters ein anspruchsvolles Programm ausgedacht. Als erstes Werk war Arthur Honeggers 2. Sinfonie für Streicher und Trompete zu hören. Dieses Werk war im Auftrag des Basler Mäzens und Dirigenten Paul Sacher zum zehnjährigen Bestehen des von ihm gegründeten Basler Kammerorchesters erst 1941 fertiggestellt worden. Die fast spröde, auf reinem Streicherklang basierende Sinfonie – die Trompete intoniert erst am Schluss einen Hoffnung verheissenden Choral – spiegelt auf verinnerlichte Weise die in jenen Jahren um die Schweiz tobende Kriegssituation wider. Aber kein lautes Kriegsgetöse, sondern depressive Klänge, zögernde Melodienaufschwünge die wieder verebben, kennzeichnen dieses berührende Werk. Das Tonhalle-Orchester musizierte auf höchstem Niveau und mit einer Ernsthaftigkeit des Ausdrucks, was nie vordergründig oder plakativ war. Und an den Schluss des Konzerts hatte Lionel Bringuier wiederum ein schwermütiges Werk gesetzt, und zwar die Sinfonie Nr. 6 von Dmitri Schostakowitsch. Auch dieses Werk, 1939 uraufgeführt, beginnt mit einem verhaltenen Thema, das die bedrückende Atmosphäre der Entstehungszeit nachzeichnet. Im Scherzo und im Finale finden wir dann die typischen Stilelemente des russischen Sinfonikers wieder, wo er unter sog. „lustigen Themen und Rhythmen“ seinen Widerstand gegen das System „versteckte“, das nur diejenigen bemerken sollten, die hinhören konnten. Beide Werke erklangen unter dem präzisen und eleganten, aber nicht unprätentiösen Dirigat von Lionel Bringuier wie von selbst, wobei das Tonhalle-Orchester mit einer unglaublichen Perfektion an Rhythmus und Intonation spielte. Fabelhaft die verschiedenen Soli der Bläser (Piccolo, Flöte, Englischhorn, Fagott, Klarinette) und das an Mahler anklingende Pianissimo-Solo der beiden Trompeten. In beiden Werken gelangte der Dirigent wohl noch nicht zu einer ultimativen Interpretation. Aber besser so, als Grossmeister wie Mrawinsky, Gauk oder Karajan zu imitieren, war Bringuier auf unverstellte Art bei der Sache. Sicher wird er diese Werke in ein paar Jahren anders interpretieren und in sie eindringen. Der noch nicht 30-Jährige Dirigent hat aber authentisch musiziert. Und das macht Eindruck.
Zwischen diese beiden schwergewichtigen Werke eingebettet war das ur-romantische A-Moll-Klavierkonzert von Robert Schumann eingebettet. Mit Leif Ole Andsnes hätte sich Bringuier keinen besseren Interpreten holen können. Ohne irgendwelches Stargetue, sondern mit sympathischem, bescheidenem Auftreten spielte der Norweger das geniale Werk des rheinischen Meisters mit einer selbstverständlichen Virtuosität, die wirklich dem musikalischen Ausdruck diente. Nichts war aufgesetzt, alles floss aus der Musik und verbreitete sich im Raum. Das Publikum lauschte auch hier wie bei den Sinfonien Honeggers und Schostakowitschs gespannt, sodass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können. Auch hier begleitete das Tonhalle-Orchester unter der umsichtigen und partnerschaftlichen Leitung von Lionel Bringuier mit akuratem Streicherklang, wobei die von Schumann besonders bedachten Celli dunkel grundierten, und auch hier mit schönsten Bläser-Soli. Als Zugabe gab’s dann noch einen Slawischen Tanz von Antonin Dvorak: auch hier, zwar im Walzerrhythmus Glückseligkeit, aber mit jener Prise der Wehmut musiziert. Und der Pianist spielte als Zugabe nach dem Schumann-Konzert eine der selten gehörten Nouvelles Etudes von Frédéric Chopin. Auch diese war wunderbar lyrisch interpretiert, wobei die linke Hand Leif Ole Andsnes’s wahre Klangwunder vollbrachte.
John H. Mueller