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ZÜRICH / Opernhaus: DIE HAMLETMASCHINE (Heiner Müller / Wolfgang Rihm)

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Zürich: Hamletmaschine (Heiner Müller/Wolfgang Rihm) – 14.2.2016

Über die Lähmung zu handeln

1977 schrieb Heiner Müller seinen „Hamletmaschine“-Text, vor 26 Jahren dann setzte Wolfgang Rihm das wenige Seiten umfassende Werk in ein „Musiktheater in fünf Teilen“ um. Und nun liess Regisseur Sebastian Baumgarten (Bayreuth „Tannhäuser“, Zürich „Don Giovanni“) im Verein mit der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes seine Fantasie und Imagination spielen. In der Tat bietet die Bühne eine Wucht an Bildern, die aus der jüngsten und weniger jungen Tagesaktualität zu unendlichen Assoziationen Anlass bieten. Da ist einmal die dreigeteilte Figur des Hamlet, die die Züge Heiner Müllers trägt. Der Autor, für den sich die offizielle DDR mitunter fremdschämte, entwirft in seiner „Hamletmaschine“ seine Befindlichkeit als Autor und Künstler in jenem verlogenen Regime. Ebenso könnte man die Befindlichkeit des Künstlers auf die „ des Menschen an sich“ umsetzen. Aber der Künstler hat halt besondere Antennen und empfindet intensiver als der „Alltagsmensch“ – mag sein, kann sein. Zu Beginn wird gegen den mitunter auch intellektuellen Mief erfolglos angekämpft, dann aber holen die Gegebenheiten des Westens vor und nach dem Mauerfall Hamlet/Müller ein. In den USA, bei der Post-Moderne mit Siebdruck und Party-Kunst von Andy Warhol, erfährt Hamlet/Müller letztlich nicht die Befreiung als Künstler, sondern seine ultimative Demütigung, indem er als Frau verkleidet zum Gespött der Party-Szene wird. Zurückgekehrt in die DDR treibt ihn der dortige Mief – grossartig die Mietskasernen-Fassade Alexanderplatz – in die Verzweiflung und auch Lähmung, dagegen zu handeln. Aber auch in der BRD ist nicht alles zum Besten bestellt. Ulrike Meinhoff reisst Wunden auf. Hier ist sie lediglich Ophelia genannt, das Mädchen aus Shakespeares Drama, das von niemandem verstanden wird. Das enthebt sie zwar nicht aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, aber ihre Wirkung war doch prägend. Und dann fällt alles auseinander. Guantanamo wird zitiert, Elektra tritt auf und ist auch unfähig zu handeln. Wogegen auch? – All diese Gedanken schwirren einem durch den Kopf, wenn man in dieser Aufführung sitzt – sie dauert genau 100 Minuten – und von den verschiedensten Klängen „eingedeckt“ wird. Da ist mal das, was man „post-moderne“ Musik nennt (eigentlich gut verständlich), aber auch Zitate von Händel, auch ein Rapp und vieles andere wird in diesem Mix amalgiert. Ein grosses Aufgebot an Schlagzeug wird sogar in die Proszenium-Logen und auf den Seiten im 2. Rang postiert, sodass der „Stereo“-Effekt der hämmernden Zeit unmittelbar erlebbar wird. Mitunter wird auch, gegen Ende des Abends, ein Zuviel an Klangmassierung und hohen Sopranstimmen auf die Membranen losgelassen. Abgesehen von diesen Einschränkungen ist es ein faszinierender Abend, der einen sehr wohl nachdenklich machen sollte. Die „Hamletmaschine“ als Avantgarde von gestern abzustempeln, hiesse herablassend sein. Das hat diese tolle Produktion des Opernhauses Zürich – Andreas Homoki sei Dank! – nicht verdient.  

Als dreifach geteilten Hamlet sahen/hörten wir Matthias Reichwald, Anne Ratte-Polle (Schauspieler) und den Bariton Scott Hendricks, der die schwierige Partie wahrlich souverän meisterte. Nicola Beller Carbone, die wir in Zürich bereits als Salome bewundern durften, war in der Maske eine verblüffende echte Ulrike Meinhoff, überzeugte auch als Ophelia und sang die horrend schwierige Partie fast selbstverständlich. Alle weiteren Schauspieler, Solisten und vor allem der hervorragend einstudierte Chor (Einstudierung: Jürg Hämmerli, Michael Zlabinger) überzeugten auch schauspielerisch. Den ganzen Apparat hielt souverän der fürs Schwierige offenbar besonders geeignete Dirigent Gabriel Feltz mit der virtuos aufspielenden Philharmonia Zürich zusammen. Wahrlich kein verlorener Abend, nicht zuletzt dank Sebastian Baumgarten, der hier nicht nur mich überzeugt hat.

John H. Mueller

 

 

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