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WIEN / Theater an der Wien: OTELLO

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Fotos: Theater an der Wien /  Werner Kmetitsch

WIEN / Theater an der Wien:
OTELLO von Gioachino Rossini
Premiere: 19. Februar 2016

Mit Verdis „Otello“ einen großen Erfolg einzufahren (wenn man als Regisseur genug kann und einem genug einfällt, das natürlich vorausgesetzt), ist vergleichsweise leicht, denn da wirken Verdi und Boito stark mit. Rossinis „Otello“ dagegen einen so stürmischen Premierenerfolg zu bereiten wie nun im Theater an der Wien – da steckte schon ein souveräner Intellekt dahinter.

Rossinis „Otello“, 71 Jahre vor Verdi, war zur Uraufführung dank der grandiosen Sängerbesetzung ein Riesenerfolg. Später ist er still in die zweite Reihe der Werke des Meisters zurückgetreten. Warum? Natürlich Verdi zuerst, das Bessere ist der Feind des Guten. Und auch das Libretto von Francesco Maria Berio, das nur peripher mit Shakespeare zu tun hat, den Titelhelden nicht eben glanzvoll umreißt und dramaturgisch hin und her wackelt. Dennoch ist es eine ganz und gar bemerkenswerte Oper.

Denn wenn man bedenkt, dass sie 1816 zwischen dem „Barbier“ und der „Cenerentola“ entstanden ist, zwei Hauptwerken des heiteren, musikalisch und melodisch übersprudelnden, dem Publikum in aller Gefälligkeit geradezu „entgegen springenden“ Rossini, dann hat Komponist mit dem tragischen „Otello“ dazwischen ganz andere Wege beschritten, weder auf überschäumende Melodienfülle noch auf (und das wundert etwa angesichts der „geläufigen Gurgel“ seiner Gattin Isabella Colbran besonders) vordergründige Virtuosität gesetzt. Rossini ging es hier vordringlich um leidvollen Ausdruck und eine Dramatik, wie er sie selbst so nur selten erreicht hat. Also!

Regisseur Damiano Michieletto trat in das Bewusstsein der Opernfreunde, als er zu den Salzburger Festspielen 2012 die Netrebko als „Sandlerin“-Mimi ins Große Festspielhaus schickte. Das Theater an der Wien griff zu, Puccinis „Trittico“ wurde ein hervorragender, Mozarts „Idomeneo“ ein faszinierender Abend. Aber mit „Otello“ hat sich der Regisseur selbst übertroffen – obwohl man im Vorfeld erschrocken war, als er im Interview erklärte, sein Titelheld sei ein Trottel und die Musik „nicht sehr inspiriert“. Dann ist seine Leistung umso höher zu schätzen. Michieletto zeigte nämlich etwas: Dass man ein Werk „zeitversetzen“ und auch teilweise umdeuten – und es dennoch vollgültig erzählen kann. Das ist ihm geradezu verblüffend gelungen.

Schon zur Beginn, während der Ouvertüre, gibt es in dem großzügigen Bühnenbild von Paolo Fantin die heutzutage übliche „Familienaufstellung“: Hier der Doge und Sohn Rodrigo, dort Elmiro und Tochter Desdemona (Töchterchen Emilia hüpft auch herein und wird geherzt), und es ist ganz klar: Die Väter haben die Ehen der Kinder beschlossen, der junge Mann hat nichts dagegen, Desdemona hingegen wehrt sich ganz gewaltig.

Und dann, wenn die Handlung beginnt, kommen die anderen Protagonisten dazu: Otello und Jago, der Außenseiter und der „Trickser“, wie sie ihn im Programmheft nennen, bei Shakespeare ein „Vice“, die Verkörperung des Übels (quasi eine Allegorie wie bei Raimund in anderen Zeiten und Welten) – und als solcher muss er sich als hyperaktiver Brunnenvergifter, fast als Parodie eines „Bösewichts“ über-gebärden…

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Otello ist hier kein Mohr, Otello ist ein Moslem. Der Turban, der vorgeschriebene Bart, die schlichte Kleidung – kein Zweifel. Später wird er den Gebetsteppich entrollen und vergeblich versuchen, im Gebet die aufgewühlte Seele zu beruhigen. Die Welt, in der dies spielt, ist ein Nobel-Venedig fast von heute, die Damenkleider erzählen uns, dass man es vielleicht ein paar Jahrzehnte zurückschieben kann, die Maßanzüge der Herren sind Maßanzüge, und dass man in einer Art „Clubwelt“ der Superreichen lebt, daran lässt die Dekoration (Stilmöbel vor kühlem Marmor) ebenso wenig Zweifel wie das Outfit der Herrschaften (Kostüme: Carla Teti).

Da muss Otello nun kein „Afrikaner“ sein, um als Außenseiter zu fungieren, der schlichte Moslem (wenn er allerdings kein Feldherr ist, was ist er dann?), der sicher auch seine – geschäftlichen – Qualitäten hat, tut es auch. Aber bitte, eine reiche Tochter heiratet so einen nicht, das ist klar, allein, wie die Gesellschaft (der Chor) diesen Otello bedrängt, wie man Desdemona, wenn sie sich unerwünscht verhält, geradezu in die Ecke stellen will…

Und doch, der Regisseur sät auch ein paar Zweifel: Wenn Otello ihr ein schwarzes Tuch schenkt, dann soll sie es nicht als Schal tragen, sondern ihr Haar damit verhüllen wie eine brave Muslima. Weiß sie, was ihr bevorstehen würde? Das Thema wird jedenfalls dialektisch angekratzt.

Es ist ein Gesellschaftsdrama mit psychologisch ganz klaren Bezügen, das Damiano Michieletto erzählt, wenn er auch immer noch weitere, entweder „politisch“ überdeutliche oder magische Ebenen einzieht. Deutlich ist es etwa, wenn zu Ende des ersten Aktes Jago (der hier wirklich nur vom Willen zum Bösen bewegt wird und sonst gar nichts) Otellos Hände mit Dreck beschmiert – so dass dieser jeden, den er angreift, beschmutzt. Dafür kann Jago dann anklagend „Otello“ an die Wand schreiben: eine kleine lehrstückhafte Szene, so wie jene, wenn Elmiro die Verstoßung von Desdemona schon fast wie ihr Begräbnis, mit feierlichen Blumenspenden, inszeniert…

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Es gibt – wenn es das Programmheft nicht verriete, wüsste man es ehrlich gesagt wohl nicht – in „Otello“ einen Hinweis auf Dante, auf das unglückselige Paar Francesca da Rimini und ihren Geliebten Paolo, die beide in Umarmung von ihrem Gatten mit dem Schwert durchbohrt wurden. Die beiden wurden immer wieder gemalt. Für diese Inszenierung wählte man das Gemälde des italienischen Symbolisten Gaetano Previati, das aber nicht nur an der Wand hängt – die beiden Protagonisten erscheinen, spielen als stumme Gestalten mit, bewegen sich in der Phantasie von Desdemona, die hier ihr eigenes Schicksal erkennt (und die ausgefeilte Licht-Dramaturgie von Alessandro Carletti trägt hier zu mancher starken Wirkung bei) – solcherart erhebt sich die Tragödie ebenso eine Handbreit über den Boden wie durch die Überzeichnung Jagos, der wie aus einer anderen Welt kommt…

Dass Damiano Michielettos klare Umsetzung des Werks so stark wirken kann, hat natürlich auch mit einer außerordentlichen Besetzung zu tun. Wie man weiß, ist es eine Oper von vier Tenören – fast so „schlimm“ wie die vier dunklen Stimmen in Mozarts „Don Giovanni“. Zumindest drei der vier können zu einer Art Formel 1-Rennen der hohen, allerhöchsten Stimmen antreten, wobei Otello, wie erwähnt, keineswegs der logische, fraglose „Erste“ ist. Doch John Osborn macht ihn dazu. Der Sänger, der schon in Zürich Otello an der Seite von Cecilia Bartoli war, ist in der Verkleidung als schlichter Muslim vielleicht eine Spur zu unscheinbar, um die heftigen Gefühle, die Desdemona für ihn hegt, wirklich glaubhaft zu machen. Aber er spielt einen durch und durch anständigen, von seinen Gefühlen und Zweifeln gequälten Menschen – und er singt ihn stellenweise mit explosiver Kraft, die teils wahnwitzig exponierten Höhen ohne Scheu attackierend. Das war großartig.

Immer wieder fragt man sich, ob der um eine Spur lyrischere, aber genau so geforderte Rodrigo nicht der eigentliche Tenorheld des Stücks ist (sonst hätte Florez ihn auch wohl kaum gesungen): Maxim Mironov, der blonde Russe, cooler, verärgerter Yuppie, der nicht bekommt, was er sich einbildet (nämlich die Millionärstochter), hält gesanglich auf Augenhöhe mit.

Vladimir Dmitruk ist mit langem Haar und wild gerollten Augen das Teufelchen Jago, absichtsvoll „zu viel“ bringend, wie der Regisseur es wollte, auch gesanglich stark. Und schließlich war noch der Doge (Nicola Pamio, meist im Rollstuhl) ein Tenor, und nur Desdemonas Vater (souverän: Fulvio Bettini) ließ an diesem vor Tenor-Testosteron platzenden Abend einen Bariton hören.

Nino Machaidze war vor erst dreieinhalb Jahren noch die Musetta in Michielettos Salzburger „Bohème“ – nun ist sie die Rossini’sche Desdemona, die zwar auch vor dem Tod ein Weide-Lied hat, aber entschieden dramatischer ist als die Verdi-Kollegin. Sie kämpft gewaltig um ihr Leben, war auch davor schon stimmlich in ihren Ausbrüchen und Verzweiflungen stark gefordert und brachte alles mit. (Bei Michieletto nimmt sie ihrem zögernden Otello übrigens die Arbeit ab, sie zu töten, und schießt sich selbst in den Bauch – dass Rossinis Librettist danach noch eine Art „HappyEnd“ vorgesehen hat, weil Jago als Bösewicht überführt wird, verlegt der Regisseur quasi hinter den Vorhang – und lässt Otello über der Leiche der Geliebten verzweifeln…).

Noch eine Frauenrolle: Emilia ist hier nicht Jagos Frau (Regiescherz, dass er sie quasi in einer kurzen Szene „anmacht“), sondern Desdemonas jüngere Schwester: Gaia Petrone hopst auf junges Mädchen, klingt in der Kammeroper besser.

Wie immer singt der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) nicht nur vorzüglich, sondern spielt auch die eklige noble Gesellschaft bis in Gesten und Details der einzelnen Protagonisten. Antonello Manacorda, geschätzter Partner des Regisseurs, war mit den Wiener Symphonikern erfolgreich, einen „anderen“ Rossini hören zu lassen. Nicht so gefällig wie üblich, aber erstaunlich tiefschürfend.

Das Publikum jubelte aus vollem Herzen (einen lächerlichen Buh-Ruf wollen wir überhört haben). Tatsächlich – einen ähnlich überzeugenden Opernabend würde man sich öfter wünschen. So etwas ist kostbar.

Renate Wagner

 

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