Händel-Festspiele 2016 in Karlsruhe: „Arminio“ (23. 2. 2016, halbkonzertante Aufführung)
Max Emanuel Cencic als Arminio mit Owen Willetts als Tullio, Pavel Kudinov als Segeste und Juan Sancho als Varo (Foto: Falk von Traubenberg)
Nach einem Bühnenunfall während der Vorstellung „Arminio“ im Badischen Staatstheater Karlsruhe am 21. Februar, bei dem ein Bühnenarbeiter schwer verletzt wurde, konnte die Aufführung von „Arminio“ am 23. 2. nur in einer halbkonzertanten Variante stattfinden. Das Sängerensemble trat kostümiert vor einem nichtbewegten Bühnenbild auf, da die Drehbühne aus Sicherheitsgründen nicht eingesetzt wurde. Die szenischen Vorgänge wurden durch Videosequenzen mit Lichtstimmungen illustriert. Dass es dennoch zu einer packenden Aufführung kam, war den Sängerinnen und Sängern zu danken, die nicht nur stimmlich hervorragend, sondern auch darstellerisch exzellent agierten.
Die dreiaktige Oper „Arminio“ von Georg Friedrich Händel, deren Libretto nach Antonio Salvi auf der Tragödie Arminius von Jean Galbert de Campistron fußt, hatte ihre Uraufführung 1737 in London und wurde in Karlsruhe in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln gebracht. Händel fühlte sich von dem Sujet, dem spätantiken Konflikt zwischen den Römern und Germanen mit der berühmten Varus-Schlacht, angesprochen und vertonte ein Familiendrama vor dem Hintergrund eines Krieges, wobei er zwischen den Arien nur kurze Rezitative einbaute.
Warum Max Emanuel Cencic, der die Titelrolle spielte, als Regisseur die Handlung in die Napoleonische Zeit verlegte, blieb dem Publikum ein Rätsel und wurde von einigen Zuschauern nach der Vorstellung mit Buh-Rufen für den Countertenor quittiert. Im ausführlichen Programmheft der Händel-Festspiele gibt der Bühnenausstatter Helmut Stürmer in einem Gespräch mit dem Dramaturgen Michael Fichtenholz dazu Auskunft: „Wir haben uns von Goya inspirieren lassen. Wenn man sich seine Bilder anschaut, erkennt man deutlich die Grausamkeit jener Zeit, aber es ist eine Grausamkeit, die paradoxerweise gelegentlich auch feinfühlig sein kann und sogar eine gewisse Poesie entwickelt. Da ist eine neue Ästhetik entstanden, die mich sehr fasziniert. Es ist eine Kunst in Zeiten des Krieges und in einer solchen spielt auch Arminio. Die Figuren in diesem Werk sind zynisch, brutal, zugleich aber auch unglaublich sentimental.“
Dazu noch ein Zitat von Max Emanuel Cencic aus dem Programmheft: „Natürlich kann man die Geschichte in der Römerzeit spielen lassen, aber diese Ästhetik ist heute durch die Sandalenfilme der 50er und 60er Jahre wie Ben Hur und Cleopatra verbraucht und wirkt kitschig. Außerdem glaube ich nicht, dass es das war, was Händel an dem Stoff interessierte.“
Helmut Stürmer, der neben der Bühne (mit hohen Türen und im letzten Akt mit einer Guillotine im Hintergrund) auch die Kostüme – gemeinsam mit Corine Grǎmoşteanu – gestaltete, schuf jedenfalls eine ansprechende französische Barock-Atmosphäre. Die einzelnen Bühnenbilder der drei Akte ließen sich bei der halbkonzertanten Vorstellung nur erahnen.
Juan Sancho als Varo mit Max Emanuel Cencic in der Titelrolle (Foto: Falk von Traubenberg)
Stimmlich faszinierte der Countertenor Max Emanuel Cencic als Cheruskerfürst Arminio wie gewohnt durch sein wunderbares Timbre und seine Leichtigkeit bei den Koloraturen. In der Darstellung der Titelrolle hätte man sich eine bessere Personenführung durch den Regisseur Cencic gewünscht.
Brillant hingegen stimmlich wie schauspielerisch die kanadische Sopranistin Layla Claire als Arminios Ehefrau Tusnelda. Herzbewegend ihre Moll-Arien und großartig ihr Duett im betörenden Gleichklang mit der rumänischen Mezzosopranistin Ruxandra Donose, die als Ramise, der Schwester Arminios, auch für eine Brise Komik sorgte. Deren Liebhaber Sigismondo wurde vom koreanischen Sopranisten Vince Yi gegeben, dessen weibliches Timbre in der Stimme recht gut zur Rolle des zwischen seiner Liebe zu Ramise und zum Vater Hin- und Hergerissenen passte.
Den Oberbefehlshaber Varo gab der spanische Countertenor Juan Sancho mit angenehmer Stimme und zurückhaltendem Spiel. Bühnenbeherrschend hingegen der russische Bass Pavel Kudinov als Fürst Segeste, Vater von Tusnelda und Sigismondo. Er spielte auch in der halbkonzertanten Aufführung seine Rolle mehr als realistisch. Tullio, den Hauptmann Varos, gab der britische Countertenor Owen Willetts mit volltönender Stimme.
Exzellent das 1991 gegründete und auf Barockopern spezialisierte griechische Orchester Armonia Atenea, das unter dem präzisen Dirigat ihres künstlerischen Leiters George Petrou die farbige Partitur Händels in allen Facetten wiedergab und schon nach der glänzenden Ouvertüre mit Beifall überschüttet wurde.
Das Publikum im ausverkauften Badischen Staatstheater war äußerst beifallsfreudig und applaudierte nach jeder Arie. Am Schluss kamen zum Applaus noch zahlreiche Bravo-, Brava- und Bravi-Rufe hinzu, in die sich bei Max Emanuel Cencic – wie schon erwähnt – einige Buh-Rufe mischten. Nach minutenlangem Beifall gab es für das Sängerensemble, das Orchester und seinen Dirigenten noch Standing Ovations.
Udo Pacolt