München: Bayerische Staatsoper: „Norma“, 04.03.2016
Carmen Giannattasio Norma) © Wilfried Hösl
Das war nun also die zweite Wiederaufnahme der Norma in der Inszenierung von Jürgen Rose ohne Edita Gruberova. Beim Rausgehen hörte ich eine ältere Dame sagen „Na ja, eine Callas muss man da halt völlig vergessen…“ Ich setze den Satz mal so fort: und eine Gruberova auch, aber dann war Carmen Giannattasio gar nicht so übel. Sie sang die Norma intonationssicher mit präzisen Koloraturen und schöner Phrasierung, die Stimme spricht über alle Register gleichmäßig schön an, sie hat die Spitzentöne und die Durchschlagskraft, die diese jugendlich-dramatische Partie erfordert. Ihr Timbre ist warm und klangvoll bis in die höchsten Töne – und doch fehlte ihrer Interpretation etwas. Was man nicht hörte: Gefühle bis an die Grenze des Erträglichen, eine Priesterin und verzweifelt liebende Frau, die wie Medea zum Mord an den Kindern fähig wäre, jedenfalls beinahe. Vor allem im ersten Akt, angefangen beim perfekt ausbalancierten Casta Diva, vermisste ich die Farben und Ausdruck, die mit der Stimme Gefühle vermitteln. Das wurde im Laufe der Vorstellung besser, in den Ensembleszenen, vor allem im Zusammenspiel mit Angela Brower als Adalgisa und im zweiten Akt hatte sie den Mut zu mehr Emphase und es gelangen dann doch noch einige Szenen die über die technische Perfektion hinaus berührten.
Nicht so dramatisch besetzt wie in der letzten Wiederaufnahme (da war es Ekaterina Gubanova) war die Adalgisa mit Angela Brower: ihr voller, samtiger Mezzosopran, der aller Ausdrucksschattierungen fähig ist, die Adalgisa durchleben muss, mischte sich wunderbar harmonisch mit der Stimme Normas und machte die Szenen, in denen beide Sängerinnen zu hören sind zu den schönsten dieses Opernabends.
Angela Brower (Adalgisa), Carmen Giannattasio (Norma), Aleksander Antonenko (Pollione) © Wilfried Hösl
Aleksandrs Antonenko als Pollione brüllt seine Auftrittskavatine mehr, als dass er sie singt, später, im Duett mit Adalgisa zeigt er dann, dass er auch zu leiseren, innigeren Tönen fähig ist. Allerdings ist seine Stimme nicht immer fokussiert und spricht in der Mittellage nicht mit gleichmäßiger, ausgewogener Dynamik an. Die hohen Töne, vor allem die lauten, kommen aber recht schön. Den jugendlichen Liebhaber und Verführer nimmt man ihm aber nicht ab, den ertappten Ehebrecher schon eher.
Normas Vater Oroveso wurde von Goran Jurić gesungen. Nach anfänglichen Unsicherheiten in seiner Auftrittsszene – die habe ich an dieser Stelle auch bei anderen Sängern schon bemerkt – lieferte er einen eindrucksvollen, stimmstarken Oroveso ab.
Die beiden kleineren Rollen, Polliones Freund Flavio Flavio und Normas Dienerin Clotilde waren mit Dean Power und Golda Schulz luxuriös besetzt. Beide stammen aus dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper und sind jetzt, wie auch Angela Brower und Goran Jurić Ensemblemitglieder.
Bleibt noch das Dirigat: Antonello Allemandi war kurzfristig für den erkrankten Paolo Carignani eingesprungen. Mit weitausholenden schwungvollen Gesten rammt er die ersten Akkorde in den Raum, fortissimo, wie von Bellini notiert. Er nimmt die Lautstärke aber auch immer wieder zurück und lässt die langen Melodiebögen der Soloinstrumente aufblühen. Die Ouvertüre zerfällt noch etwas in ihre Einzelteile, den Zusammenhalt vermag er nicht herzustellen. Aber er ist flott und mit viel Italianitá unterwegs und es gelingt ihm ein insgesamt spannendes Dirigat, das immer sängerfreundlich ist. Beim Kriegschor im zweiten Akt dreht er sowohl Lautstärke als auch Tempo auf Anschlag, was zu einem wilden, furchteinflößenden Effekt führte. Für den Tovatore in zwei Wochen steht er wieder im Graben, bin schon gespannt, ob das auch so gut gelingt, wie die Norma.
Susanne Kittel-May