Wien / Staatsballett in der Staatsoper
Tschaikowski/Cranko: »Onegin« — eine Nachlese
2. März 2016
39. Aufführung dieser Produktion
In der vorletzten Vorstellung dieser Serie präsentierte sich die dritte Besetzung und bescherte dem Publikum auch das ein oder andere Rollen-Debut.
Der Abend war zwiespältig; — und zwar nicht von Rolle zu Rolle, sondern innerhalb der Partien. Mag es sein, daß hier Paare zusammengeführt wurden, die nicht wirklich miteinander harmonieren?
Eno Peci in der Titelpartie überzeugte am meisten in den Momenten, wo er die Blasiertheit, die Arroganz des Onegin ablegte und sich ganz der Leidenschaft, der Lust am Tanz und der Verführung hingab. Am augenscheinlichsten wurde dies im zweiten Akt, als er begann, mit Olga — Alice Firenze — zu flirten. In diesem Moment brach der Tänzer durch, wurde die Darstellung faszinierend. Davor war sie leider sehr von der Langeweile des Onegin geprägt. Der letzte Pas de deux mit Tatjana gelang ihm dann am überzeugendsten. Bis dahin plätscherte das Beziehungsgeflecht so dahin.
Tatjana, das schwärmerische Mädchen, tanzte an diesem Abend Irina Tsymbal. Zugegeben, sie hatte es nicht leicht, die Partie nach Nina Poláková und der leidenschaftlichen Ketevan Papava zu interpretieren. Ihre Tatjana ist eher blaß und introvertiert. Sie nimmt die Abweisung hin und braust nicht auf wie ihre Vorgängerinnen. Selbst zum Schluß bleibt sie eher in sich gekehrt. Bei ihr ist nicht die Verwandlung vom jungen Mädchen zur begehrenswerten Fürstin zu erleben. Auch tänzerisch blieb sie hinter den Erwartungen zurück, da mangelte es an Spannung und Esprit. Leider kann sie nicht an ihre beeindruckenden Leistungen in La Sylphide oder Manon anschließen.
Onegins Freund, der Dichter Lenski, wurde erstmals von Masayu Kimoto getanzt. Die Neugierde darauf war groß, war doch sein Alain in La fille mal gardée ein Bravourstück. Der Abend lehrte, daß man seine Erwartungen nicht zu hoch stecken sollte: Bis auf einige Unsauberkeiten recht akkurat getanzt, aber leider ohne Seele. Das war kein schärmerischer Dichter, der von seiner Olga bewundert wird. Kein Wunder also, daß Alice Firenze in den Momenten mit Lenski eher schwach wirkte. Im Tanz mit Eno Peci war sie wie ausgewechselt, da blitzte das Feuer auf, das sie auch sonst auf der Bühne zeigt. Diese Leidenschaft hätte ich mir im ersten Bild gewünscht, wenn sie mit ihrem Liebsten tanzt.
Zur zurückhaltenden Tatjana gesellte sich ein sehr zurückhaltender Fürst Gremin, erstmals Alexis Forabosco. Den Pas de deux mit Tatjana gestaltete er sehr einfühlsam, sehr umsichtig die Hebungen. Die Innigkeit, die sich in der arrangierten Ehe gebildet hat, war klar und anschaulich zu erleben. Da hatte sich ein Paar gefunden, das zufrieden miteinander sein konnte. Etwas mehr Noblesse und Präsenz täten ihm allerdings gut, denn so wirkte er eher wie ein Kadett, weniger wie ein Fürst.
Zugegeben, die vorangegangenen Vorstellungen hatten die Meßlatte hoch gelegt. Ohne diese erlebt zu haben, kann man sicherlich von einem guten Abend sprechen. Mit deren Kenntnis sind doch einige Abstriche zu machen.
Trotzdem, es ist immer wieder ein Genuß, die Choreographie John Crankos zu erleben: Er war einfach einer der größten Choreographen des 20. Jahrhunderts. Besonders seine Ensemble-Szenen sind hervorragend. Wie es ihm gelingt, die Gruppen immer wieder neu zu arrangieren, wie er Remineszenzen an vergangene Zeiten verarbeitet (man denke an die archaische Elemente der Mädchengruppe im ersten Bild, die an Sacre erinnern), wie sich die Paare auf dem Feste Tatjanas vermischen und am Ende doch wieder zusammenfinden, die kleinen zwischenmenschlichen Regungen, die beim ersten Erleben gar nicht alle zu fassen sind… — das zeigt die große Kunst Crankos. Es bleibt zu hoffen, daß wir nicht wieder fünf Jahre bis zur nächsten Aufführungsserie warten müssen.
Es ist ein Glücksfall, daß für diese Serie James Tuggle, der Musikdirektor des Stuttgarter Balletts, gewonnen werden konnte, kennt er doch die Arbeiten John Crankos sehr genau. Sehr routiniert leitete er auch an diesem Abend wieder das Orchester der Wiener Staatsoper, angeführt von Rainer Honeck und Hubert Kroisamer.
Ulrike Klein
MerkerOnline