TRI SESTRI – Premiere Staatsoper am 6.3.2016
(Heinrich Schramm-Schiessl)
Ilseyar Khayrullova, Aida Garifullina, Margarita Gritskova. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Vor Beginn der Vorstellung trat Staatsoperndirektor Meyer vor den Vorhang und hielt eine kurze Gedenkansprache für den am Vortag verstorbenen Nikolaus Harnoncourt mit anschließender Schweigeminute.
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Direktor Meyer setzt an diesem Abend sein Bestreben, das Repertoire der Staatsoper um Werke des späten 20. und des 21. Jahrhunderts zu erweitern, fort. Nach „The Tempest“ in der vorigen Saison gibt es diesmal „Tri sestri“ des ungarisch-rumänischen Komponisten Peter Eötvös (Jahrgand 1944). Es handelt sich hier um eine komprimierte Fassung (zwei statt rund vier Stunden) des gleichnamigen Dramas von Anton Tschechow. Das Libretto verfasste Claus H. Henneberg, der ein vielbeschäftigter deutscher Librettist war und u.a. auch die Librettos für Aribert Reimanns „Lear“ und Matthias Pintschers „Thomas Chatterton“ (2000 in der Wr, Volksoper) schrieb.
Das Werk wurde 1998 mit großem Erfolg in Lyon uraufgeführt und dann an zahlreichen Häusern ebenfalls mit Erfolg nachgespielt. Die Besonderheit bei der Uraufführung war, dass ausschließlich Männer gesungen haben, wobei die drei Schwestern mit Countern besetzt waren. Für eine spätere Produktion notierte Eötvös diese drei Rollen für Frauenstimmen (ein Sopran und zwei Mezzos) um und diese Fassung liegt auch der Wiener Produktion zu Grunde., wobei zwei weitere Frauenrollen – Natascha und Anfissa – mit Männern (ein Counter und ein Bariton) besetzt bleiben. Weiters gibt es zwei Orchester, ein Kammerorchester von 18 Musikern im Orchestergraben und ein „normales“ Orchester im Bühnenhintergrund. Durch das Kammerorchester werden die einzelnen Personen charakterisiert, d.h. jeder der insgesamt 13 Figuren ist ein Instrument zugeordnet, während das Orchester auf der Bühne quasi den „Klanghintergrund“ bildet.
Die Musik von Peter Eötvös ist im Vergleich zu manchen anderen Kompositionen dieser Zeit durchaus verständlich und verarbeitbar. Längere tonale, fast melodiöse Passagen wechseln mit scharfen Dissonanzen ab, wobei der kammermusikalische Teil der Partitur, also jener, der vom Orchester im Graben gespielt wird, interessanter erscheint als jene Teile, die dem grossen Orchester zugeordnet sind. Manchmal dominiert das Schlagzeug ziemlich stark, dann wieder scheinen sich durchaus melodiöse Bögen zu entwickeln. Durchaus humorvoll die Kaffeeszene, als vom Orchester die Tassengeräusche imitiert werden. Der Erfolg des Werkes ist durchaus verständlich und es gehört sicher zu den Werken des auslaufenden 20. Jahrhunderts, mit denen man leben kann. Was man natürlich nicht erwarten darf ist, dass sich im Orchester die Passagen, die die Sänger zu singen haben, widerspiegeln. Diese Gesangspassagen müssen ungemein schwierig nicht nur zu singen sondern auch zu lernen sein.
Die Aufführung war sehr sorgfältig einstudiert, der Komponist selbst leitete das Kammerorchester im Orchestergraben, während Jonathan Stockhammer das große Orchester auf der Hinterbühne dirigierte. Dieses bekommt man erst in den letzten 10 Minuten zu sehen. Das Orchester war mit großem Animo bei der Sache und entfaltete seinen schönsten Klang.
Eric Jurenas. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Die Aufführung steht und fällt natürlich mit den drei Hauptrollensängerinnen und es ist sehr erfreulich, dass man sie – ebenso wie fast alle sonstigen Rollen – aus dem Ensemble besetzen konnte. Aida Garifulina (Irina), Margarita Gritskova (Mascha) und Ilseyar Khayrullova (Olga) sangen und spielten ungemein engagiert und sahen wunderbar aus. Vielleicht eine kleine Einschränkung bei Ilseyar Khayrullova, die bei manchen Passagen etwas Probleme mit der Tiefe hatte. Darüber, in wie weit es ihren Stimmen schadet, wenn sie diese Partien oft singen, sollte man aber schon nachdenken. Ausgezeichnet der Counter Eric Jurenas – der einzige „Gast“- als Natascha, auch wenn ich mit dieser Stimmart leider nichts anzufangen weiss. Sehr ausgeglichen auch die männlichen Hauptrollen. Boaz Daniel war ein imponierender Tusenbach und Clemens Unterreiner ein mitunter recht komischer und sehr präsenter Verschnin in einer nicht unwichtigen Rolle. Dan Paul Dumitrescu war als Kulygin ebenfalls sehr präsent und Gabriel Bemudez ein intensiver Andrej. Norbert Ernst lieferte als Doktor eine Charakterstudie ab und ; Marcus Pelz hatte durchaus skurile Momente als Anfissa. Den restlichen Mitwirkenden sei ein Pauschallob ausgesprochen.
Clemens Unterreiner. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Die Inszenierung von Yuval Sharon war nicht wirklich spannend, verdarb aber auch nichts. Viele Passagen erinnernten an die Ästhetik der 1990er-Jahre – Bewegung in Zeitlupe und geometrisch abgezirkelte Gänge – aber man hatte trotzdem den ganzen Abend über den Eindruck, die Geschichte erzählt zu bekommen. Die Ausstattung von Esther Bialas war stückentsprechend. Das Bühnenbild war ein eher neutraler, zum Teil holzgetäfelter, zum Teil mit Gobelins tapezierter Raum, durch den auf Rollbändern die Versatzstücke für die einzelnen Szenen vorbeigezogen wurden.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu der an diesem Abend immer wieder gestellten Frage nach dem Sinn einer solchen Produktion: Natürlich gehört es in den Aufgabenbereich der Staatsoper, wichtige zeitgenössische Werke zur Diskussion zu stellen. Allerdings gäbe es vielleicht wichtigere, Aribert Reimanns „Lear“ ist zum Beispiel schon mehr als überfällig.
Am Ende gab es viel Applaus und Jubel für alle Beteiligten, ein einsamer Buhrufer blieb allein auf weiter Flur.
(Heinrich Schramm-Schiessl)