MÜNCHEN / Bayerische Staatsoper / Neuinszenierung „Un Ballo in Maschera“ – 6.3.16
„Schick“ aber > Ideen nicht konsequent zu Ende gedacht – die Grenzen der Logik überschritten. – SOFIA FOMINA als Oscar eine Entdeckung!
Piotr Beczala – Foto: W. Hösl
Das ist nun die vierte (wenn ich mich nicht verzählt habe) Inszenierung, die ich an der Bayerischen STO gesehen habe, und kaum eine war besser als die vorangegangene. Ballo gehört sicherlich zu den musikalisch hochwertigsten Verdi-Opern – aber – warum denn eigentlich nicht einmal ein Ernani oder noch besser, ein Attila, herrliche Sängeropern, die wir hier bedauerlicherweise noch nie gesehen haben. Für den Attila wären die notwendigen Super-Bässe dafür ja in mehrfacher Ausführung vorhanden, allen voran Ildar Abdrazakov oder Alexander Tsymbalyuk
Das Szenische:
Nun aber haben wir (schon) wieder einen neuen Ballo. Regisseur Johannes Erath hat viel zusammen geklaut bei seiner Kollegenschaft. Seine eigenen Ideen sind, wie so oft, nicht konsequent zu Ende gedacht worden, sodass schnell die Grenzen der Logik überschritten werden. Das Bühnenbild von Heike Scheele sieht insgesamt recht “schick“ aus, weit offen, ein Großraum-Schlafzimmer mit einem Riesenbett im Zentrum, das sich an der Decke dreidimensional spiegelt; das Ganze optisch veredelt durch eine geschwungene Treppe (hatten wir sowas nicht eben erst in Arabella?). Im ersten Bild und bei Renato zu Hause mag das passen. Als Dauerkulisse jedoch ist es einerseits ermüdend, andererseits muss man jegliche Logik beiseite lassen – beim Ulrika-Bild und beim finalen „Maskenball“, bei welchem überhaupt niemand maskiert ist. Aber – un‘ idea! Oscar outet sich Renato gegenüber als Mädchen, das weckt Assoziationen zu „Gustav Adolfs Page“. Ulrica geistert als attraktiver Vamp und Schicksalsgöttin (?) durch alle Szenen. Die Kostümbildnerin Gesine Völlm hat den Männerchor mit Frack und Zylinder eingekleidet, die Ball-Damen mit allerhand buntem „Plünnkram“. Riccardo und Renato ergehen sich überwiegend in schicken Morgenmänteln, welche sie auf dem „Galgenhügel“ = Schlafzimmer tauschen….. Beim Ball tragen beide, wie der Chor, Frack.
Es wird viel gedoubelt in dieser NI, durch Personen, lebensgroße Puppen und Hand-Puppen. Besonders ein Foto, das vorab schon in der Presse zu sehen war, sorgte für Verwirrung, man glaubte dort zu sehen wie Riccardo und Renato zusammen im Bett lägen, dem ist aber nicht so – Riccardo liegt dort mit seinem menschlichen Double…
Von Anfang an wird fleißig mit Revolvern herumgefuchtelt, von allen Beteiligten. Auch Amelia hegt geheime Mordgedanken. Im Schlafgemach mit Renato (während ihrer großen Arie) erwägt sie, diesen mit einem Kissen zu ersticken…. Ich dachte, wie kommen die da bloß wieder raus, wenn Riccardo seinen Auftritt zum großen Duett hat – nun, es fand statt, auf dem großen Bett. – In diesem Zwangsambiente bekommt der Text oft genug eine ganz „neue“ Bedeutung, die zwar inhaltlich zu der gezeigten Szene zutreffen mag, aber leider am eigentlichen Stück vorbei geht.
Das Musikalische:
Zubin Mehta am Pult seiner einstigen Chefposition wurde gefeiert. Das Staatsorchester folgte ihm ohne Fehl und Tadel. Doch der von Verdi vorgegebene Supersamtsound, den der junge Luisi seinerzeit im Nationaltheater mit diesem Klangkörper hinzauberte, der geht mir nie mehr aus dem Kopf, und der wurde auch hier leider nicht erreicht. Der Chor zeigte wie immer seine Qualitäten.
Die Sänger:
Eine gesangliche Entdeckung: Sofia Fominas Oscar mit herrlichem Silber(!)-Sopran, beglückend schön über den großen Ensembles schwebend. Einen Mordserfolg errang Ensemblemitglied Okka von der Damerau mit ihrer ersten Ulrica, als magisches Rasseweib, höchst attraktiv à la italienischer Film-Vamp ausstaffiert und doch so etwas wie ein Todesengel. Sie ließ ihren üppigen Mezzo prachtvoll strömen. Anja Harteros, die Vielumschwärmte, hatte mit ihrer Forza-Leonora eigene Maßstäbe gesetzt, die sie mit der für sie neuen Amelia noch nicht ganz erreichen konnte. Dass ihr Timbre Geschmackssache ist, das ist nun mal so, die einen flippen aus, anderen mag manches zu kühl erscheinen.
Piotr Beczala hat den Riccardo schon an vielen großen Opernhäusern gesungen. Sein sehr persönlich timbrierter Tenor zeigt nun einen leicht heldischen Glanz, der seinem Dresdner Lohengrin voraussichtlich sehr zugute kommen wird. Als Verdi-Stilist kann er ohnehin bestens überzeugen. – Nach dem Rückzug von Simon Keenlyside stand George Petean nun als Renato auf der STO-Bühne. Die Popularität des guten Mittelklasse-Baritons wurde in letzter Zeit durch zahlreiche Einspringen für erkrankte, namhafte Kollegen sicherlich gefördert. Petean ist ein solider Vertreter seines Faches und als Verdi-Interpret durchaus befriedigend. *)
Interessant die beiden Jungbässe und Verschwörer: Der Weißrusse Anatoli Sivko/Samuel (schon als Attila erfolgreich bei Nordeuropäischem Festival) und der Amerikaner Scott Conner/Tom waren in jeder Beziehung rollendeckend. Bariton Andrea Borghini warf sich in die Rolle des Silvano ebenso temperamentvoll wie in alle seine Partien.
Nun gilt’s also, den neuen Ballo lieben zu lernen – oder wenigstens als Spielplatz für gute Sänger zu tolerieren – es passiert ja nichts Schlimmes oder gar Anrüchiges….
D. Zweipfennig
(Wir berichten noch einmal von einer späteren Aufführung)
Nach der Premiere am 6.3. folgen weitere Aufführungen am 9. – 19. – 23. – 28. März – 1. April + 2x in den Festspielen am 27. und 30. Juli
https://www.staatsoper.de/stueckinfo/un-ballo-in-maschera/2016-03-06-19-00.html
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*) In derselben Rolle hatte Vladislav Sulimsky kürzlich in St. Petersburg reüssiert, ein edel timbrierter Verdi-Stilist von hohen Graden. Schade, dass man ihn, im Gegensatz zu Markov, noch nie an die STO geholt hat).
* Kostprobe Attila: Ildar Abdrazakov/Bass und Vladislav Sulimsky/Bariton > https://www.youtube.com/watch?v=X4aP4jcotTg