Verdi`s „Macbeth“ in der Kulturhauptstadt Breslau mit aktuellen politischen Bezügen:
Die Hexen. Copyright: Opera Wroclaw
Unter Teilnahme von politischen Größen wie der Generalkonsulin der deutschen Botschaft Frau Wolbers feierte am vergangenen Samstag, dem 5.März, die Oper Breslau die Premiere von Verdi`s „Macbeth“ mit Standing Ovations. Der deutsch-polnische Regisseur Bruno Berger-Gorski inszenierte bereits 2014 mit großem Publikumserfolg die „MACBETH – Mega“ – Produktion mit Lucio Gallo und Maria Pia Piscitelli in der mehrmals ausverkauften Jahrhunderthalle und wurde jetzt nach Breslau im Jahr als europäische Kulturhauptstadt für eine „Macbeth“-Neu-Produktion im Opernhaus wieder nach Wroclaw eingeladen. Er inszenierte dieses Mal eine Neu-Deutung von „MACBETH“ als psychologisches Drama mit ausgefeilter Personenführung, die den langsamen Verfall und die Wahnvorstellungen des unheimlich präsent spielenden Vladimir Chmelo in den Mittelpunkt stellt.
Vladimir Chmelo in der Titelrolle. Copyright: Opera Wroclaw
Er zeigt Macbeth als zeitlosen, zerbrochenen Machtmenschen und Kriegsgeneral in einer fast klaustrophisch wirkenden eingeschlossenen Militär-Welt, die in der rostigen Metall-Ausstattung von Pawel Dobrzycki die Brutalität der Militärwelt und immer wieder Tote und Leichenteile in den Mittelpunkt rückt – die Bühne erlaubt durch einfache Wechsel rasche Umbauten und das Drama kann ohne Umbaupausen zügig in einem Atem die Zuschauer in ihren Bann ziehen, was besonders Vladimir Chmelo trotz seiner leichten Indisposition hervorragend gelang – in jeder Geste,in jedem Blick ist er durch und durch der zerbrochene Mann, der als Spielball seiner Gattin langsam dem Wahn verfällt. Zum Beispiel schaut Macbeth in Berger-Gorski`s Inszenierung in der Banquett-Szene den Liebesspielen seiner „Lady“ frustriert zu, die ihre potentiellen Liebhaber (hervorragende Besetzung der „Lady“ durch Eliza Kruszcynska) an Krawatten wie ihren Hund zuvor an der Leine herumführt, bevor Macbeth die Nachricht vom erfolgreichen Mord an Banquo kaum verarbeiten kann und seinen geistigen Verfall überzeugend in Wutausbrüchen und genau inszenierten Chor-Reaktionen äußerst glaubwürdig darstellt .
Vladimir Chmelo (Macbeth) und Eliza Kruszcynska (Lady Macbeth). Copyright: Opera Wroclaw
Auf einem übergroßen Herrscher- Schreibtisch erliegt MACBETH den Verführungskünsten einer eiskalt spielenden Eliza Kruszczynska als machtlüsterne Lady ( stimmlich fähig zu wunderbaren Piani und ausbrechender Leidenschaft ).Besonders diese gelungene, heftige und genial inszenierte Liebesszene im Arbeitszimmer zu ‚ la luce Langue‘ geht unter die Haut und zeigt, wie Macbeth dem späteren Mörder ( Janusz Zawadzki aus dem Ensemble überzeugte im Spiel mit Sprengstoff-Weste und stimmlich präsent ) bereits in seinem Arbeitszimmer auf Druck seiner Gattin den Auftrag zum Mord erteilt. Die Dama ( Katarzyna Haras-Kruczek mit tiefem Mezzo) beobachtet die Szene und scheint als Mit-Täterin als Teil des Mord-Komplotts.
Besonders die durchdachte Personenführung der sogenannten “kleinen “ Partien zeigte, dass Berger-Gorski schon mehrmals Macbeth inszeniert hatte: So stürmte Malcom ( eine Stimme, die aufhorchen lässt: Alexander Zuchowicz ) im Finale 1 von der Bühne ( er verlässt ja laut Shakespeare das Land in Richtung Frankreich) , nachdem sowohl er wie auch Banquo ( mit herrlicher raumfüllender Stimme, die in Richtung Bariton weist: Macariy Pihura ) Macbeth misstrauisch beobachten, der seine Reaktion auf das blutige Bettlaken von Duncan im ersten Finale nur durch die Kontrolle der Lady in der Öffentlichkeit verbergen kann.
Auch Macduff verlässt nach der Banquett-Szene Macbeth und dessen Welt von Korruption und Mord.
Die Dama der Lady ( Katarzyna Haras-Kruczk ) erhält von der Regie die Rolle eines durchgehenden Charakters, der sie zu Beginn als Mitwisserin darstellt, denn sie belauscht die Mordpläne des Herrscherpaares und am Ende ermordet die Dama – ähnlich dem Volksaufstand nach Patria Opressa- folgerichtig die Lady am Ende ihrer Wahnsinns-Arie mit einer auf der Bühne aufgezogenen Spritze, bevor sie lachend Macbeth den Triumph ihrer Tat verkündet—eine außergewöhnliche überzeugende Interpretation durch Katarzyna Haras-Kruczek.
Eliza Kruszczynska vom Ensemble der Oper Breslau zeigte als Lady trotz kleiner Schärfen in der Stimme einen glaubwürdigen Charakter in Mimik und Gestik. Sie ist in der Lage, immer wieder ihre wahren Absichten zu verbergen und ihren Gatten zu manipulieren.
Aber der das Geschehen beherrschenden Vladimir Chmelo zeigte keine Ermüdungserscheinungen und verführte trotz seiner Indisposition das Publikum zu wiederholten Begeisterungsstürmen. Die Lady wird schon zu Beginn der Oper als Verbündete der Hexen dargestellt, übernimmt deren Amulett , das sie durch die Akte begleitet und sie in die Lage versetzt, die alles beherrschenden und immer präsenten Hexen ( hervorragend das Ballett der Oper Breslau) zu ihrer Unterstützung rufen zu können, was in wunderbar magischen Momenten mit sphärischer Licht -Überhöhung durch das faszinierende Licht-Design von Pavel Dobrzycki gelingt.
Die Hexen in Breslau waren- wie Verdi es sich wünschte- tatsächlich die dritte Hauptrolle neben Macbeth und seiner Frau und Bruno Berger-Gorski und seine Choreografin Bozena Klimczak verstanden es, den hervorragend einstudierten Chor so mit dem spielfreudigen Chor zu vermischen, dass man nicht wusste, ob bei der leider viel zu selten gespielten Musik der Ballett-Einlage der Chor mitwirkte, oder aber bei den Chorszene das Ballett-Ensemble als geschlechtslose weltfremde Wesen unterstützend auftritt. Die Kinder- Figuren im Kostüm scheinen Anspielungen auf die kinderlose Lady zu sein. Die interessante Idee, im 3.Akt – nach Macbeth erneutem Besuch bei den Hexen – die Lady blutrünstig im “Vendetta/Rache”-Duett die zuvor im Traum von Macbeth auftretenden Kinder-Könige auf offener Bühne erwürgen zu lassen ist ein raffinierter Einfall des Regisseurs und ermöglicht durch diese extreme Handlung einen nahtlosen glaubwürdigen Übergang zum geistigen Verfall der Lady. So kann die Entwicklung zur Wahnsinnsarie der Lady glaubwürdig nachvollzogen werden, da in Verdi`s Oper einem langsamen geistigen Verfall der “Lady” kaum Zeit gegeben wird.
Der von der jungen Chorleiterin Anna Grabowska-Borys excellent einstudierte und äusserst spielfreudige Chor der Oper Breslau beweist durch die Übernahme von vielen szenische Solo-Aufgaben und die Möglichkeit der Besetzung von kleinen und wichtigen Partien wie Heraldo, Erscheinungen etc seine hervorragende Qualität, die auch außerhalb Polens bekannt ist. Seine stimmliche wie szenische Qualität weist den Breslauer Chor als einer der besten Opernchöre Polens aus. Die Oper Breslau hat ein fast täglich wechselndes Repertoire und hat im “Patria Opressa”-Chor, den Berger-Gorski in einem beklemmenden, an das Warschauer Ghetto erinnernden Innenhof spielen lässt, einen Höhepunkt des Abends. Macduff sucht seine Familie anhand eines Photo`s, bis er, sehr berührend und feinfühlig szenisch interpretiert von Nikolay Dorozhkin, seine von Schmerz und Todessehnsucht erfüllte Arie herzzerreissend singt und mit dankbarem Applaus bedacht wird. Auch Nikolay Dorozhin gehört zum Ensemble in Breslau , wo der intelligent spielende Tenor viele Partien abdecken muss—so eine stimmliche Qualität sucht manch großes Opernhaus im reichen Nachbarland Deutschland…
Ein genialer Kunstgriff gelingt dem Regisseur mit dem überall als schwierig bekannten Finale der Oper, als Macbeth quasi träumend am Schreibtisch als General den Kampf der Truppen erlebt . Macbeth lässt zu Beginn seiner Arie “Pieta, Rispetto, Amore” (berührend von Chmelo gestaltet ) brutal und von Machtgelüsten und Frustration zerfressen die an Guantanomo erinnernden Soldaten der gegnerischen Partei auspeitschen, bevor er an seinem Diktator-Tisch sitzend und träumend den marschierenden Wald von Birnam erlebt und damit auch den schwer darzustellenden Aufmarsch und Kampf der Truppen träumend erlebt. Den Kampf als Traum des Macbeth inszeniert Berger-Gorski durch einen geschickten Lichtwechsel und einen auf auffahrenden Podien überzeugend in Slow-motion agierenden Chor gemischt mit Tänzer-Soldaten des Malcolm, bevor Macbeth in der Realität seines Arbeitszimmers von Macduff erschossen wird.
Durch aktuelle Bezüge wie die Darstellung von manipulierbaren schwachen Herrschenden am Schreibtisch und die an Terroristen erinnernden Kostüme der Mörder sowie der an Guantanamo erinnernden Kostüme von Malgorzata Sloniowski erreichen Berger-Gorski und sein Team eine zeitlose Gültigkeit des Dramas und man wünscht sich zum jetzigen Zeitpunkt in Polen, dass Malcolm am Ende als zukünftiger Herrscher eine neue demokratische Zeit für das lange unterdrückte Volk verkündet — der geknechtete und verwundet auftretende Jubel-Chor lässt Berger-Gorski konsequenterweise als durch das von Malcolm aus dem Ghetto befreite Volk in den Kostümen des “Patria Opressa”-Chores mit geschwächten Kindern auftreten und die Szene erinnert durch Gepäck-Stücke und die vielen Koffer und Taschen erschreckend real an die aktuell nicht abrechenden Flüchtlings-Ströme.
Eine zu Recht umjubelte Aufführung, die unter der umsichtigen Stabführung von Ewa Michnik als gelungene Premiere in der Kultur-Hauptstadt zu bewerten ist. Diese Spielzeit soll das letzte Jahr der überregional bekannten Intendantin und Dirigentin Ewa Michnik sein, die mit hohen Auszeichnungen mehrmals für Ihre Verdienste als Dirigentin und für ihre deutsch-polnische Zusammenarbeit geehrt wurde.
S. Wicking/ Annerose Kehl