Berlin/ Philharmonie: Yo-Yo Ma begeistert mit Bachs Violoncello-Suiten, 22.03.2016
Yo-Yo Ma, Copyright Thomas Bartilla.
Ein einziger Mann schafft es, die Philharmonie bis auf den letzten Platz zu füllen: der Cellist Yo-Yo Ma. Im Rahmen der Staatsoper-Festtage ist der weltweit Gefragte mit einem anspruchsvollen Programm zu Gast, das auch viele junge Menschen zum Kommen veranlasst hat. Er spielt Johann Sebastian Bachs „Sechs Suiten für Violoncello solo“, BWV 1007 – 1012, die als Non plus ultra der Cellisten gelten.
Bach hat sie um 1720 als Hofkapellmeister in Köthen komponiert, wo anderes gefragt war als Orgelmusik und Kantaten wie zuvor in Weimar. Diese persönliche Neuorientierung und die damit einhergehende Aufwertung des Cello als Soloinstrument gehören (auch) zu Bachs Großtaten.
In den sechs Suiten reihen sich nach dem jeweiligen Prélude die Tänze Allemande, Courante, Sarabande und Gigue plus Zutaten aneinander. Dennoch besitzt jede von ihnen einen eigenen Charakter. Den deutlich zu entwickeln, ist – neben den teils enormen technischen Schwierigkeiten –für versierte Cellisten Herausforderung und Beglückung zugleich. „Diese Werke lassen mich jeden Tag, jede Stunde etwas Neues entdecken,“ äußerte Mstislaw Rostropowitsch.
Auf Yo-Yo Ma, 1955 in Paris als Kind chinesischer Eltern geboren, in New York aufgewachsen und ausgebildet, trifft das ebenso zu. Auch er hat im Laufe der Jahre seine Interpretation weiter entwickelt. Jede Suite mit ihren insgesamt 6 Sätzen präsentiert er als individuelles Stück Musik. Denn Bach hat unterschiedliche Tonarten benutzt, deren Bedeutung früher bekannter war, als es heutzutage der Fall ist.
So folgt der 1. Suite in G-Dur, eine in d-Moll, beide von Bach durch je 2 Menuette weiter angereichert. Der Nr. 3 in der Jubeltonart C-Dur ist eine Bourrée beigegeben, ebenso der Nr. 4 in Es-Dur, die durch besondere Farbigkeit auffällt und anschließend sogleich besonderen Applaus erhält. Das offenbar fachkundige Publikum weiß zu unterscheiden.
Die „Stunde der Wahrheit“ schlägt dann vor der Nr. 5 im tragischen c-Moll. Yo-Yo Ma steht auf und sagt in bestem Deutsch: „Meine Damen und Herren, ich möchte dieses Stück den Opfern widmen, die heute in Brüssel ums Leben gekommen sind.“
Ganz still wird es im großen Saal, und Yo-Yo Ma legt sein ganzes Herz in diese Interpretation, lässt sein Cello intensiv klagen, bringt auch abgehackte Töne und die von Bach hinzugefügte Gavotte wie einen Totentanz. Ein wunderbares, tief berührendes Requiem widmet er solchermaßen den Toten und lässt dann den Bogen sinken. Totenstille im Saal, niemand wagt zu applaudieren, alle haben begriffen.
Doch das Leben geht weiter, vermittelt die Nr. 6 in D-Dur, die frühlingshaft und heiter wirkt. Mit ihrer Akkordfülle ist sie sicherlich das technisch schwierigste Stück der Sechserreihe. Yo-Yo Ma meistert das souverän und scheinbar anstrengungslos, wieder hüpft der Bogen über die Saiten. Danach aufbrausender Beifall mit Jubelgeschrei fast wie im Popkonzert. Der hoch verdiente Dank für diesen grandiosen, tief empfundenen Abend.
Ursula Wiegand