BERLIN / Deutsche Oper: TANNHÄUSER, 27.3.2016
Wagner-Repertoirewunder am Ostersonntag
Mit Wagner klappt es in Berlin, aber auch Wien meist sehr gut bis sehr sehr gut. Zu berichten ist diesmal von einer exzellenten österlichen Tannhäuser Aufführung in der acht Jahre alten sinnigen und stimmigen Inszenierung von Kirsten Harms. Dass die Produktion frisch wie am ersten Tag wirkte, ist der umsichtigen und wohl gut gearbeiteten Spielleitung von Eva-Maria Abelein zu verdanken.
In den Hauptrollen wie in der Ägyptischen Helena besetzt, konnten sowohl Stefan Vinke als stimmgewaltiger Tannhäuser und Ricarda Merbeth in der Doppelrolle der Venus und Elisabeth bestens reüssieren. Stefan Vinke, der in dieser extrem schwierig zu singenden Rolle darstellerisch wie auch stimmlich zu den ganz großen Interpreten gehört, bot eine einzigartige Leistung. Ob im „unsingbaren“ Duett mit Venus im ersten Akt, dem ekstatischen Wiedersehen mit Elisabeth, dem zornig trotzigen Aufbegehren im Sängerkrieg oder den „Erbarmen“ Rufen, eindringlicher, stimmlich beeindruckender und problemloser kann man das nicht singen. Stefan Vinke befindet sich jedenfalls auf dem Zenith seiner Karriere und ich freue mich schon auf „seinen“ Siegfried in Leipzig. Dem Kölner Sänger steht ein Heldentenor, der sich die Fähigkeit zu Lyrismen bewahrt hat, mit dunkler Tiefe und Mittellage und metallischer Höhe zur Verfügung. Die Romerzählung gerät zum erschütterten Bekenntnis eines Gescheiterten. Ein Mensch wie Du und Ich, der nicht verstehen kann, dass sein So-Sein wider den Stachel der Gesellschaft löckt. Der aber auch Schuld durch Egoismus und wohl auch dummes zur Schaustellen seines Innersten auf sich geladen hat. Das Zivilisatorische, um dessen harte Einschränkungen und Tabus es ja auch im Tannhäuser geht, ist seine Welt nicht. Wie eine männliche Kundry irrt dieser Tannhäuser von Welt zu Welt, ohne Ruhe zu finden oder sich irgendwo heimisch fühlend. Die Regisseurin lässt uns an einem sehr heutigen Menschen und Charakter teilhaben. Abseits der autobiographischen Komponente des Komponisten im Tannhäuser lädt das in einer deutsch-mittelalterlichen Erzählung beschriebene völlig verkorkste Geschlechterverhältnis auch zur Reflexion über heutig religiös und gesellschaftlich motivierte Frauenbilder ein.
Die „Elisabeth vom Dienst“, wie sich Ricarda Merbeth in ihrem Buch „Von Hertzen – möge es wieder zu Hertzen gehen“ sieht, hat diese Rolle auch 2002-2007 in Bayreuth gesungen. Sie ist eine Wagner- und Strauss-Sängerin von Gnaden. Ihr leuchtender höhenlastiger Sopran hat eine schöne Entwicklung hin zum Dramatischen vollzogen. Ihr Terminkalender ist aktuell geprägt von Senta, Isolde und Elsa, sie wird aber auch demnächst die Goneril in Reimanns Lear an der Opera Bastille sein. Rein technisch ist Merbeth eine Top-Sängerin, ihr manchmal sehr gerader Stimmansatz in der Höhe erinnert ein wenig an Nilsson. Die dramatische Venus liegt ihr mittlerweile besser als die Elisabeth, deren Lyrismen, vor allem in der Arie im dritten Akt, nicht mehr ganz so selbstverständlich blühen wollen.
Den dritten großen Triumph an diesem Abend kann der Einspringer Christoph Pohl (anstelle des erkrankten Levente Molnár) in der Rolle des Wolfram von Eschenbach für sich verbuchen. Als herausragendem Stilisten gelingen Pohl die poetisch verhangenen Passagen ebenso wie die dem Schicksal abgetrotzten aufbegehrenderen Momente der Partitur. Dieser hervorragende lyrische Kavaliersbariton mit Samttimbre und Ausdruckstiefe eines Liedsängers ist Ensemblemitglied der Dresdner Semperoper. Er wird am 29. April an der Deutschen Oper in der deutschen Erstaufführung von Georg Friedrich Haas‘ „Morgen und Abend“ mitwirken.
Es wäre unfair, dem vierten im Bunde der großen Rolleninterpreten an diesem Abend, Albert Pesendorfer, als Landgraf Hermann, weniger Aufmerksamkeit und Respekt für seine mehr als gediegene Leistung zu zollen. Das Publikum dankt auch ihm für seinen Einsatz und das schönstimmige Rollenporträt mit begeistertem Applaus.
Clemens Bieber als Walther von der Vogelweide, Noel Bouley als Biterolf, Jörg Schörner als Heinrich der Schreiber und Andrew Harris als Reinmar von Zweter machen nicht nur im minnesanglichen Sängerstreit, sondern auch in den heiklen Ensembles beste Figur. Die Stipendiatin des Förderkreises Elbenitza Kajtazi ergänzt ein Solistenteam ohne Fehl und Tadel.
Der Chor der Deutschen Oper Berlin hat sich von seinem Zwischentief in der Manon Lescaut hörbar erholt und legt eine schlicht bayreuthwürdige Vorstellung hin. Der frenetische Jubel am Ende bezeugt die große Liebe des Publikums für diesen – wenn er will – wohl besten Opernchor Berlins.
Ivan Repusic leitet die Vorstellung straff und zügig, mit Gespür für dramatischen Zugriff ebenso wie für die melancholischeren Töne. Das Orchester der Deutsche Oper Berlin folgt seiner Deutung auf Fingerzeig, abgesehen von einem schweren Patzer der Flöten im Vorspiel zum „Holden Abendstern“. Aber bei Wagner ist dieses Orchester sowieso zu Hause und jede Wagner-Aufführung der Deutschen Oper zumindest vom Orchestergraben her ein Fest.
Dr. Ingobert Waltenberger