Ein Wiener Sänger begeistert im Schwabenländle
„TOSCA“ in Stuttgart. (am 30. März 2016)
Sebastian Holecek im 1. Akt. Foto: A.T. Schaefer
Mit annähernd 100 Aufführungen ist die „TOSCA“ Inszenierung von Willy Decker zum Dauerbrenner mit Kultstatus an der Stuttgarter Staatsoper geworden und garantiert stets ein volles Haus. Worauf ist diese Wirkung zurückzuführen? Bühne und Kostüme tragen wesentlich zum Erfolg der Inszenierung bei: Vollkommen schwarz sind Wände, Decken und Fußboden der fast leeren Bühne. In dieser Beschränkung zeigt sich der Meister – auch durch kluge Lichtregie. Im ersten Akt nur eine riesige Heiligenfigur als Mittelpunkt und das Bild der Madonna, an der Cavaradossi malt. (Dieses Bild ist allerdings furchtbar häßlich!) Im 2. Akt ein überlanger Schreibtisch, der den Raum teilt und an dem gegessen, getrunken, geschrieben und gemordet wird. Im dritten Akt ist die Engelsburg vollkommen leer und düster. Suggeriert bedrückende Kerkeratmosphäre. Nur am Bühnenhintergrund ist ein von der Sonne beschienenes überdimensionales Fenster zu sehen. Vorne befindet sich eine Treppe, aus der alle beteiligten Personen, Tosca, Pfarrer, Soldaten, das Erschießungskommando gewissermaßen aus der Tiefe aufsteigen. Wieder überzeugt die Lichtregie, die mit Licht und Schatten gekonnt spielt und im leeren Raum alle Personen gespenstisch abbildet und bedrohlich vergrößert. Aus dem erleuchteten Fenster, das zunächst als Strahl der Hoffnung wirkt, stürzt sich Tosca schließlich in die Tiefe und den Tod.
Das Staatsorchester Stuttgart unter der temperamentvollen Leitung von Simon Hewett entfaltet die ganze Klangpracht der hinreißenden Puccini-Melodik souverän. Lediglich manche Tempi werden zu schnell gespielt. Das Prunkstück sind jedoch die Sänger-Darsteller, die durch vorbildliche, nie einschränkende Personenregie überzeugende Rollenporträts gestalten können. Das beginnt schon mit der köstlichen, humorvollen Charakterstudie, die Karl Friedrich Dürr als Messner hervorragend gelingt. Adina Aaron ist eine Tosca aus dem Bilderbuch. Jung, schlank, beweglich in Stimme und Spiel. Wandelbar als liebende und eifersüchtige Frau und fast rasende Rächerin. Zu ihr passt der ebenfalls jugendlich wirkende Dmytro Popov mit schlankem, noch sehr lyrisch wirkendem Tenor. Im ersten Akt singt er noch zu leichtgewichtig, steigert sich jedoch im Laufe des Abends, um dann mit seiner Bravourarie „E lucevan le stelle“ die Sterne wirklich auf’s Schönste blitzen zu lassen. Das Glanzstück des Abends ist jedoch Sebastian Holecek als Scarpia. Mit seiner voluminösen Stimme kann er die ganzen Facetten dieser schillernden Figur voll zur Geltung bringen. Darstellerisch gelingt es ihm ebenso überzeugend den Tyrannen, den Frömmler, den eiskalten Diplomaten, den schmierigen Schmeichler ohne aufgesetzte Bösewichtübertreibungen ungemein wirkungsvoll zu verkörpern. Eine überragende Leistung, die zu Recht vom Publikum stürmisch bejubelt wird. Die anderen Partien sind rollengerecht besetzt.
Die Oper lebt und begeistert wie eh und je und alle Diskussionen über Interpretationsstile sind hinfällig, wenn solche Leistungen geboten werden, wie an diesem Abend in Stuttgart – und das in einer Repertoire-Vorstellung. Bravissimo!
Hans A. Hey