BERLIN/ Komische Oper: HEUTE NACHT ODER NIE – Die Spoliansky Revue
Uraufführung/Premiere, 1. April
Flotte kurzweilige Kabarett-Revue mit den Geschwistern Pfister und Wiedergutmachung gleichermaßen
Christoph Marti, Tobias Bonn, Andreja Schneider. Copyright: Robert Ecker für Komische Oper Berlin
Wer erleben will, wie das so war in den 20-er Jahren in Berlin, der muss in die Komische Oper eilen und sich die neue Produktion „Heute oder nie“, benannt nachdem Titellied in dem 1932 erschienenen UFA Film „Lied einer Nacht“, anhören. Den Song hat Jan Kiepura in der englischen Version „Tell me tonight“ zum Welthit gemacht. Wie schon in Clivia (die ab 2. April wieder auf dem Spielplan der Komischen Oper angesetzt ist) stehen die Geschwister Pfister alias Andreja Schneider (Die Hure), Christoph Marti (Die Lesbe) und Tobias Bonn (Der Bonze) im Zentrum der von Kai Tietje musikalisch und von Stefan Huber szenisch spartanisch und dennoch höchst wirksam eingerichteten sogenannten „Vorbühnenshow“. Ein Vorhang, eine Stufenbühne mit dem Orchester, ein Klavier im Vordergrund, gedämpftes Licht und einige Sessel als Requisiten genügen für einen vergnüglichen Reigen an Songs aus allen Schaffensperioden des Mischa Spoliansky. Heike Seidler hat die der Zeit entsprechenden geschmackvollen, frechen bis lasziv-verruchten Kostüme geschaffen. Danny Costello sorgt mit der Choreographie der Girls and „Boys“ (großartig und wild bejubelt Mehri Ahmaniemi, Anke Merz, Maja Sikora, Mariana Souza) für Stepnummern und den Hauch von Broadway, der auch der amerikanischen Facette des Komponisten gut zu Gesichte steht.
Copyright: Robert Ecker für Komische Oper Berlin
Wer war Spoliansky? Etwas weniger bekannt als sein berühmter Weggenosse Friedrich Hollaender, an dessen Seite er allabendlich in Max Reinhardts berühmten Kabarett „Schall und Rauch“ im Keller des Großen Schauspielhauses musizierte, hat er ab den 20-er Jahren große Songs für Revuen oder Revue-Operetten geschrieben. Er verhalf u.a. Marlene Dietrich mit „Wenn die beste Freundin“, „Es liegt was in der Luft“ oder „Zwei Krawatten“ zu ihrem Durchbruch. Sein Leben war wild und bewegt: Als Sohn in einer russisch-jüdischen Familie mit vielen Umzügen und frühem Verlust der Eltern, war Mischa schon als 14-jähriger Wunderteenie dazu gezwungen, sein Leben in Berlin als Barpianist zu verdienen. Später verbindet ihn mit Marcellus Schiffer (der Opernlibretti für Hindemith verfasste) eine langjährige Zusammenarbeit. Nach der Machtübernahme der Nazis musste der Deutschland in Richtung England verlassen.
Die Musik Spolinasky atmet jene Leichtigkeit und Nonchalance, die der Großstadt Berlin gut anstanden. Walzer und Tangos, die „elegisch und ironisch, zynisch bitter und schmeichelnd kapriziös zugleich sind.„ (Weltbühne 1928). Die Songs sind von einem köstlichen Wortwitz geprägt: „Mit Dir will ich einmal auf der Avus (Anm.: Autobahn in Berlin) Tango tanzen, mehr will ich nicht“, „Einmal möcht ich wie ich möchte leben und im 7. Himmel schweben“, „“Finden Sie die Panke schöner als den Nil“„… Der Abend an der Komischen Oper lebt von diesen herrlich abstrusen bis kauzig schnoddrigen Texten genau so wie von der brillant arrangierten Musik. Kai Tietje hat sich das ganze breite Spektrum an Stilrichtungen im Leben des Komponisten Spoliansky vorgenommen und eine entsprechende Abfolge eingerichtet. Der Zuhörer hat das Gefühl, so und nicht anders war das damals, so gekonnt wird mit Klangfarben und dem Einsatz der Instrumente bei mittelgroßem Orchester jongliert. Dabei ist keine chronologische Schau entstanden, sondern wie im Musical ging es dem Produktionsteam um „den besten Bogen, den richtigen Rhythmus“. Bei den bereits erwähnten Charakteren ließ sich Stefan Huber vom Dokumentarfilm „Weltbühne Berlin. Die 20er Jahre“ inspirieren. Zusätzlich zu den oben genannten Pfisters treten noch das Fräulein (Mirko Wagner), der Beamte (Stefan Kurt), der Taxichauffeur (Christoph Späth), der Provinzler (Johannes Dunz) und der Klavierspieler (Kai Tietje) auf.
Ich finde, dass besonders die Mischung an Musik und jeweiligen Darstellern perfekt gelungen ist. Der Reiz, der von dieser im besten Sinne Unterhaltungsmusik ausgeht, kommt sehr gut zur Geltung, weil Tietje eben nicht die einzelnen Songs von nur einem Akteur vortragen lässt. Da wirft sich die Truppe flott die Bälle zu, raffiniert werden in den Ensembles die Stimmen je nach ihrer Lage eingesetzt, also die echten Opernstimmen (phänomenal gut Mirko Wagner und der fesche Johannes Dunz), der Schauspieler Stefan Kurt (mit dem größten Soloapplaus) sowie stilistisch einzigartig und unübertroffen in diesem Genres die drei Geschwister Pfister. Wie Andreja Schneider das „Nuttenlied“ haucht oder Christoph Marti „Leben ohne Liebe“ singt und mit nacktem Oberkörper in schwarzem Samtkleid mit roten Strümpfen und weit ausgeschnittenem Rücken tanzt, ist ganz großes Theater. Unverzichtbar, mit einem „Berliner“ Flair, das auch von Tobias Bonn als gut „ausgestopfter“ Bonze und Christoph Späth als prolliger Chauffeur getragen und gelebt wird. Am Ende mit „Auf Wiederseh‘n“ aus „Wie werde ich reich und glücklich“ verabschiedet sich das Orchester peu à peu wie in Haydns Abschiedssymphonie. Nach etwa 80 Minuten ohne Pause geht man glücklich und beschwingt aus dem Theater und hängt so mancher Melodie („Ich hab heut‘ Abend etwas vor“) oder schmunzelnd manchem Kalauer „Lassen Sie mich gehen!Aber wohin denn? Nach Spandau“ nach…
Empfehlung: Hingehen, so lange die Gelegenheit dazu besteht. So ein Stück altes Berlin bekommen Sie so schnell nicht so schön „gschmackig“ serviert.
Dr. Ingobert Waltenberger