BERLIN/ Staatsoper im Schillertheater: DIE ZARENBRAUT, 3.4.2016
Glänzende Wiederaufnahme dieser als Medienfarce interpretierten russischen Historienoper
Copyright: Monika Rittershaus
Berlin im Opernglück: Die 2013 unter der musikalischen Leitung Daniel Barenboims neu erarbeitete Produktion dieser wegen einer Sopranarie bekannten Rimsky-Korsakow-Oper des Regisseurs und Bühnenbildners Dmitri Tcherniakov fasziniert auch drei Jahre später mit einer neuen Besetzung wie am ersten Tag. Die Idee, Macht, deren Missbrauch und das Verhalten der damit Konfrontierten der Gift- und Schaueroper nach einem Libretto von Lew Mej in eine Medienshow des schönen Scheins zu wandeln, geht (fast) auf. Die historisch 1571 angesiedelte Brautsuche des Zaren Ivan IV, genannt „der Schreckliche“ wird musikalisch durch Rimsky-Korsakow hochinteressant eher als impressionistisch denn folkloristisches Klanggemälde mit breitem Pinselstrich geschöpft.
Die hochästhetisch, zeitgeistig, aber auch witzige Szenerie beginnend mit historisierenden Filmprojektionen der Komparserie, über ein froschgrünes Fernsehstudio mit Produktions- und Kantinenraum (Drehbühne), bis hin zur durch ein großes Fenster einsehbaren geblümt behaglichen Wohnung des Kaufmanns Sobakin mit großem Flachbildschirm als Zentrum der kleinbürgerlichen Leere bildet den genuinen Rahmen für ein qui pro quo der Leidenschaften rund um zwei Frauen: Marfa und Ljubascha, die eine frisch und begehrt, die andere zur Langeweile geworden, zurückgewiesen und abgelegt.
Der politische Rahmen: Wie im futuristischen Roman des Wladimir Sorokin (Moskau 2027) wütet die skrupellose Leibgarde des Herrschers und wähnt sich allmächtig. Dass das aber nicht immer schlau ist, zeigt sich daran, dass der in seiner Liebe zu Marfa zurückgewiesene Grasnoj (viril mit brutalem Ausdruck gesungen von Evez Abdulla) beim giftmischenden oportunistischen Onkel Doktor Bomelius (düstere Ärzte-Studie des Charaktertenors Stephan Rügamer) einen „Liebestrank“ bestellt, um seine Angebetete gefügig zu machen. Da macht ihm aber die Ex-Geliebte Ljubascha (sensationell mit Prachtmezzo Marina Prudenskaya) einen Strich durch die Rechnung und ersetzt diesen Liebestrank durch einen perfide langsam wirkenden Todestrank. Der Wagner-Verehrer Rimsky-Korsakov dreht das Liebestrank-Spiel aus Wagners Tristan hier kurzerhand um. Diese ziemlich banale und plakative magisch-hexerische (Komponente der) Oper als Achse des Geschehens wandelt der Regisseur geschickt in einen Spiegel von Gesellschaft und deren kommerzialisierte Wahrnehmung, indem er sie in einer Art TV-Soap aufgehen lässt.
Die vor allem am Anfang und Ende der mit Hochspannung abschnurrende Aufführung lässt den Zuschauer im Ungewissen, wer da gerade wo was darstellt. Eine Handlung in der Handlung, wo Fernsehfritzen mit Mail und Software einen virtuellen Zaren erfinden, wodurch die Macht okkult verborgen und deren (Re-)Präsentation in den Vordergrund rückt, lässt den Schein noch weiter vom Sein abrücken. Nur den dieser Maschinerie Unterworfenen nützt das nichts, sie bleiben auf der Bühne, im TV-Studio und im wirklichen Leben, das was sie sind: Opfer, nicht zuletzt auch der eigenen Befindlichkeit, Schwäche oder Dummheit wegen. Das letzte Bild einer in die Kamera lächelnden „Zarin“ à la bling bling, während das wirkliche arme Mädchen schon tot vergiftet im Studio am Boden liegt, ist erschütternd. Gleichzeitig gelingt es Tcherniakov, mit einer ungemein präzisen Personenregie einen guten Rest an Satire und Farce zu bewahren. Kein Pathos rinnt und gerinnt zur Ungenießbarkeit, die Schleier medialer Gesetze stülpen sich wie barocke Prospekte in den Theaterraum. Was nach Donner klingt, muss kein Donner sein; was das Fernsehen serviert, ist höchstens das Bild eines Bildes, billig manipulierend und mächtig zugleich. Aber der Regisseur kann die Rechnung ja nicht ohne den Wirt machen, und da kommen wir zur Musik. Rimsky-Korsakow hat einen großartige Musik komponiert, in Nummern aufgeteilt, aber dennoch mit einem vor allem durch das Orchester gespannten klanglichen Bogen quer über die vier Akte der Handlung. Der Lehrer Glazunows und Stravinskys ist, wie man feststellen darf, ein nach wie vor unterbewerteter und kaum aufgeführter Komponist. Durch diese Wiederaufnahme ist ein Stück mehr getan, ihm den Stellenwert zuzumessen, den er verdient.
Das liegt vor allem an der beherzten musikalischen Leitung des Alexander Vitlin, der die Staatskapelle Berlin zu russischem Lokalkolorit genau so animiert wie die leuchtenden Orchesterfarben prächtig aufrauschen lässt. Als exzellenter Sängerbegleiter ist er dem Ensemble ohne Schwachstelle ein fürsorglicher Chef. Wie in der Premiere singt der ehemals als Boris Godunow berühmte Anatoli Kotscherga einen gutgläubigen Parvenü Sobakin, dessen Welt sich im Ausschenken des Met aus dem Keller erschöpft hat. Dessen Tochter Marfa, Angelpunkt von Leidenschaften und Intrigen, ist bei der koloraturgewandten Elena Tsallagova in ebenso guten Händen wie bei Olga Peretyatko 2013. Vielleicht fehlt auch ihr ein Quentchen an Dramatik in der Stimme, als Typus der naiv kleinbürgerlichen Schönheit ist sie ganz große Klasse. Ihr Verlobter Lykow fließt bei Pavel Cernoch mit metallisch tenoraler Geste in einen aalglatten geleckten Freier, der nach der Brautwahl des Zaren (da ist seine Verlobte schon vergiftet) mit hündischem Feixen die Luftballone jubelnd schwingt. Eine insgesamt ganz tolle Leistung, die vom Publikum neben der ebenso bezwingenden Ljubascha der Marina Prudenskaya am heftigsten akklamiert wird. Die Mutter Marfas, Saburowa, wird von Irina Rubtsova als dauerwellengestählte Matrone mit üppigem Alt gegeben. Die Mädeln Dunjascha und Petrowna werden von Anna Lapkovskaja und Natalie Skrycka stimmschön verkörpert. Als weiterer Opritchnik darf Tobias Schnabel in der Rolle des Maljuta-Skuratow kalt die Nachricht der Brautwahl verkünden.
Für insgesamt vier Aufführungen steht diese Koproduktion mit dem Teatro alla Scala di Milano nun wieder auf dem Spielplan der Staatsoper Berlin. Eine bessere Gelegenheit, Rimsky-Korsakow in neuem Gewande, ohne Regietheaterexzesse, diese höchstens travestierend, tiefgründig und witzig zugleich, zu erleben, wird sich so rasch nicht wieder bieten. Hingehen und anschauen!
Dr. Ingobert Waltenberger