Zürich, Tonhalle: Beethovens NEUNTE – Silvesterkonzert 2013 – 31.12.2013
Beethovens Neunte ohne Umschweife
Als David Zinman im Jahre 1999 seine von der Kritik viel beachtete Gesamtausgabe der Beethoven-Sinfonien mit dem Tonhalle-Orchester Zürich auf CD herauskam, sprach man von einer neuen Ära im Konzertleben Zürichs. Auch fand Zinmans Beethoven-Interpretation den Ausgleich zwischen den Erkenntnissen aus der historischen Aufführungspraxis und einer in guter Tradition stehenden Deutungsweise. Es wird schon mit Vibrato gespielt, wo Melodienlinien nachzuzeichnen sind, aber eben „ma non troppo“. Es gibt auch sogenannt trocken gespielte Streicherstellen, harte Akzente, manchmal überrascht ein gewohntes Legato. Das alles ergibt – rein äusserlich gesehen – ein straffes Durchmusizieren. Ohne Umschweife, so könnte man sagen, sieht Zinman „seinen“ Beethoven. Mit der Neunten wurden ja zeitweise wahre pathetische Nationalfeste veranstaltet – armer Beethoven – , wohl deshalb ist Zinman äusserst zurückhaltend, wo Emotionen gefragt sind und zum Pathos verführen könnten. So sind seine Tempi stets auf der flüssigeren Seite und gegenüber irgendwelchen Rubati immun. Sehr gut im 1. Satz, wie die Motive aus dem Orchester entstehen und sich in der Durchführung – es werden übrigens alle Wiederholungen gespielt – zum Ganzen zusammenfügen. Der 2. Satz, das Scherzo, war ebenfalls eher schnell, aber nicht überhetzt, wohl aber im Trio so geschwind, dass die Bläser gerade noch mitkamen. Überraschend schön und lyrisch musiziert war der langsame Satz, das bewegende Adagio; die Streicher durften, wenn auch zurückhaltend, mit Vibrato spielen. Die langen Melodielinien waren von sauber gespieltem Legato und ohne irgendwelche Schleifer und Drücker wiedergegeben. Die Bläser, das Horn, alle sehr gut! Überhaupt war das das Tonhalle-Orchester auf Top-Niveau und lieferte eine Glanzleistung ab! – Im letzten Satz dann entwickelte Zinman die Themen wie Erinnerungen aus den drei ersten Sätzen, sodass man an die Kompositionsweise von Gustav Mahler gemahnt wurde. Hier zeigte sich, wie modern Beethoven und seiner Zeit schon weit voraus war. Ein magischer Augenblick ereignete sich, als Zinman das Thema „Freude schöner Götterfunken“ instrumental wie aus dem Nichts bei den tiefen Streichern sich entwickeln liess. Unglaublich, wie diese altbekannte Melodie ganz neu erfunden wurde! Florian Boesch sang sein Solo nicht ganz überzeugend, da offenbar Meinungsverschiedenheiten über das Tempo zwischen ihm und dem Dirigenten bestanden. Michaela Kaune (eingesprungen für die erkrankte Catherine Nagletstad), Iris Vermilion und Werner Güra bildeten zusammen mit Florian Boesch ein gutes Solistenquartett. Das vorwärtsstürmende Solo des Tenors hatte bei der dunklen Stimme von Güra kaum etwas Heldisches; auch war der letzte hohe Ton von ihm nicht zu hören. Erstaunlich die Altistin, von der man sonst in der Neunten nicht viel zu hören bekommt, war mit Iris Vermillion auf das beste vertreten. Sie verband mit ihrem weich timbrierten Alt die drei Stimmen zu einem homogenen Quartett. Michaela Kaune sang ihre heiklen Stellen souverän.
Der von Tim Brown einstudierte Chor, die Zürcher Sing-Akademie, machte seine Sache sehr gut, wenn mir auch in wenigen Stellen die Aussprache (bspw. Brüdeer!) etwas ins Ohr stach. Der Stimmenausgleich im Chor ist hervorragend, Sopran und Tenor waren sehr gut in der Intonation in den äusserst heiklen hohen Passagen, die tiefen Stimmen wunderbar grundierend. Etwas befremdlich klang die Stelle „Und – der – Cherub – steht – vor – Gott“, wohl von Dirigenten so skandierend und staccatohaft gewünscht. Die gesamte Sinfonie dauerte bei Zinman etwa 65 Minuten, etwas schnell im Tempo, wohl aber nie langweilig. Und das sanguinische Temperament Beethovens war in dieser Aufführung sehr wohl zu vernehmen.
John H. Mueller