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KARLSRUHE: PETER GRIMES. Premiere

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Karlsruhe: „PETER GRIMES“ – Premiere am 6.7.2013

 Benjamin Brittens „Peter Grimes“ ist seine erste große Oper. Es ist die Geschichte eines Fischers, der durch eine Kette von unglücklichen Umständen, angefangen bei seiner Kindheit bis hin zu seinem unfreiwilligen freiwilligen Tod zum Außenseiter einer Gesellschaft wird, die selbst Opfer unglücklicher Einflüsse wie Naturgewalten, Kriegsereignisse und ähnlichem ist.

Regisseur Christopher Alden hat seine Inszenierung jedoch ad absurdum geführt. Er verzichtet auf ein Psychogramm der Titelfigur, setzt vielmehr den Chor, sprich: die Gemeinschaft oder Masse in den Mittelpunkt, die nach dem Tod des zweiten Lehrjungen so aufgebracht ist, dass eines ihrer Mitglieder – in diesem Fall Auntie – Peter Grimes erwürgt. Das ist gegen die Geschichte, wie so Vieles mehr, und stimmt auch nicht mit den eingeblendeten deutschen Übertiteln überein.

Ein einheitliches Bühnenbild (von Charles Edwards), das einen Raum zeigt, der zugleich Gerichtssaal, Versammlungsort, Schulzimmer und Kneipe ist, wobei die Theke wiederum als Boot, Showbühne und Ausschank herhalten muss, trägt ebenso zu zögerlichem Verständnis bei. Vor allem, wenn der Lehrjunge, dargestellt von Lino Weber, von der Theke ins nicht vorhandene Meer stürzt, mag das für den Regisseur phantasievoll sein, für den Zuschauer jedoch fragwürdig. Wenn von Sturm die Rede ist, verbarrikadieren sich die Dorfbewohner hinter geschützten „Mauern des Einheitsraums“, wälzen sich in wellenartigen Bewegungen, die auch als Verarbeitung von Albträumen gedeutet werden können, denn plötzlich haben sie Gasmasken auf (Kostüme Doey Lüthi). Hier bringt Alden das faschistische Element ins Spiel. Auch wenn er die Handlung in die Zeit der Entstehung der Komposition legt, die im Januar 1944 begonnen und im Februar 1945 abgeschlossen wurde, ist von Faschismus weder im Versroman „The Borough“ von George Crabbe, der als Vorlage von Montagu Slater für das Libretto verwendet wurde, noch im Libretto selbst die Rede. Dennoch will Alden damit den Hinweis auf die englische nationalsozialistische Partei „The British Union of Fascists“ geben, aus der sich „gruppendynamische Prozesse entwickelten und heterogene Massen Allianzen bilden konnten“. Dabei wurde der Faschismus als eine „unenglische“ Bewegung empfunden und hat mit dieser so unpolitischen Oper überhaupt nichts zu tun.

 Viel interessanter ist die Figur des Peter Grimes, der, so Peter Pears, Brittens Lebensgefährte und Titelheld der Uraufführung, übersensibel, unbeständig, überreagierend und unsicher ist, was ihn wiederum zu einem eher sympathischen Menschen als zu einem Schuft oder Mörder macht. Dieser komplizierte Charakter wird leider nicht genug heraus gearbeitet.

Wäre da nicht die musikalische Seite, die, angefangen von den Solisten über Chor, Orchester bis hin zu seinem Dirigenten, hochkarätig besetzt war.

John Treleaven, der zur Zeit als einer der besten Peter-Grimes-Darsteller gilt (siehe neueste Ausgabe des Reclam-Opernführers) blieb der Rolle weder gesanglich noch in der Darstellung etwas schuldig. Seine Piani gehen unter die Haut, seine ungeheuren dramatischen Ausbrüche, wenn er seine Verzweiflung heraus schreit, seine Sehnsüchte und seine Sensibilität in wunderbarem Legato erklingen lässt, was den veristischen Charakter der Oper unterstreicht, wenn er der Schlussarie mit Eigenschaften wie Frustration, Schuldgefühlen, Groll, Verstimmung und Ausweglosigkeit Ausdruck in Stimme und Gestaltung verleiht, dann wird es mucksmäuschen still im Zuschauerraum. Treleaven lebt diese Rolle, die ja auch in der Realität einen kleinen Teil seines Lebens ausmacht, denn sein Vater war Fischer, er ist Peter Grimes!! (Siehe das Interview „Merker“ 11/2004)

Ihm zur Seite steht Heidi Melton als Ellen Orford, die mit ihrem sauber geführten Sopran, genügend Differenzierungsvermögen und eindrucksvollem Spiel begeisterte. Sie liebt den Sonderling Grimes, lässt sich aber von den Zweifeln an Grimes` Unschuld durch die Masse anstecken. Einziger Freund von Grimes ist Balstrode, dem Jaco Venter mit kraftvollem, sehr stimmigem Bariton Gewicht verlieh.

Alle anderen Rollen wurden aus dem eigenen Haus dem Charakter der Person entsprechend hervorragend besetzt: so etwa Mrs. Sedley mit Katharine Tier, Swallow, Bürgermeister und Rechtsanwalt mit Renatus Meszar, Ned Keene als Apotheker mit Gabriel Urrutia Benet. Einziger Gast war Suzanne McLeod als Auntie, eine Wirtin, die in Aldens Regie den Todesengel verkörpern musste.

 „Die Dorfschwätzer“ nennt Grimes die Gemeinschaft des Fischerortes. Dahinter steht ein großartiger Chor (Leitung Ulrich Wagner), der sich aus dem Badischen Staatsopernchor und dem Extrachor des Badischen Staatstheaters Karlsruhe zusammensetzt. Ihm kommt an diesem Abend als Gegenspieler zum Individuum Grimes eine besondere Bedeutung zu. Er ist Volksmasse, voreingenommene Gesellschaft, die ohne Prüfung der Sachlage den vermeintlichen Mörder Grimes verurteilt, er ist ein aufgebrachter Haufen von Menschen, der ihn am liebsten lynchen möchte. Die Chorszenen als Teil der Inszenierung sind in sich sehr stark und die Chormitglieder beeindrucken mit leidenschaftlichem, intensivem Spiel und expressivem Gesang. Auch die Badische Staatskapelle unter ihrem GMD Justin Brown ist in Hochform. Vielleicht gelingen die dramatischen Stellen, die Britten in einigen Passagen sogar atonal vertont hat, manchmal etwas zu laut, aber die orchestralen Zwischenspiele und die Erinnerungs- und Leitmotive gelingen mit schönen Klangeffekten.

Fazit: dank der Darsteller eine spannende Aufführung, die musikalisch auf höchstem Niveau, szenisch jedoch nicht schlüssig ist. Dementsprechend erntete der Regisseur viele Buhs, die Akteure jedoch kräftigen Applaus mit vielen Bravi.

Inge Lore Tautz

 

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