Opern-Wiederentdeckung in Berlin: „Amor vien dal destino“ von Agostino Steffani (Vorstellung: 30. 4. 2016)
Wieder beglückte die Staatsoper Unter den Linden in Berlin – immer noch an ihrem Ausweichspielort Schillertheater – sein an Barockopern interessiertes Publikum mit einer nahezu unbekannten Oper: „Amor vien dal destino“ von Agostino Steffani.
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Katarina Bradic (Lavinia), Olivia Vermeulen (Turno). Copyright: Thomas M. Jauk
Agostino Steffani (1654 – 1728) zählte zu den größten Komponisten seiner Zeit. Er stammte aus Venedig, war mit einer ausnehmend schönen Stimme gesegnet und galt als „schillernde Figur“. Schon als Elfjähriger wurde er vom bayerischen Kurfürsten Ferdinand Maria nach München geholt, wo ihm eine umfassende musikalische Ausbildung zuteil wurde. Nach einem Studienaufenthalt in Rom wurde er dort Hof- und Kammerorganist und spielte während eines Aufenthalts in Paris mehrfach dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV vor.
Auffallend waren seine vielen diplomatischen Aktivitäten, so wurde er sogar zu Verhandlungen mit dem Kaiser und dem Papst beigezogen. Er wirkte jedoch stets zweigleisig: Als Kapellmeister und Komponist war er am Hof des Kurfürsten Ernst August von Hannover sowie in Düsseldorf an der Residenz des Pfälzer Kurfürsten Johann Wilhelm tätig. Außerdem fungierte er als musikalischer Berater der preußischen Königin Sophie Charlotte. Steffani komponierte 17 Opern, darunter in den 1690er Jahren in Hannover das Werk Il Turno, das später in Amor vien dal destino unbenannt und 1709 in Düsseldorf uraufgeführt wurde.
Das Libretto der Oper über Liebe und Schicksal verfasste Ortensio Mauro nach Vergils Aeneis und schildert das Aufeinandertreffen der beiden mythischen Helden Aeneas und Turnus, zwischen denen Lavinia steht. Sie ist die Braut von Turnus, entscheidet sich aber schließlich für Aeneas.
Ingo Kerkhof gelang es, den mythologischen Stoff auf humor- und poesievolle Weise zu inszenieren, wobei er auch den Zuschauerraum geschickt als Spielfläche nutzte. So spielten und sangen die Darsteller nicht nur auf der breiten Bühne, sondern auch auf einer schmalen Brücke über dem Orchestergraben und auf dem ersten Rang. Auffallend dabei die exzellente Personenführung des Regisseurs. Unterstützt wurde er dabei vom Bühnenbildner Dirk Becker, der mit nur wenigen Requisiten auskam (Ähren und am Schluss ein beinahe undurchdringliches Kornfeld), und dem Kostümbildner Stephan von Wedel, der das Sängerensemble mit prächtigen barocken Gewändern und die Götter dazu noch mit riesigen Perücken ausstattete.
Das internationale Sängerensemble präsentierte sich in der trotz Kürzungen fast vierstündigen Aufführung (in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln) in exzellenter Verfassung. Es schien, als würden sie einander gegenseitig anfeuern, so innig und ausdrucksstark gaben sie ihre Arien zum Besten. Zur Freude des Publikums, das sich immer wieder zu Szenenbeifall hinreißen ließ.
Allen voran glänzte die serbische Mezzosopranistin Katarina Bradić in der Rolle der Lavinia. Sie drückte ihre innere Zerrissenheit und ihre Gefühlsschwankungen zwischen Vaterlandspflicht als Tochter des Latinerkönigs und Liebe zu Enea, der ihr im Traum erschienen war, sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch eindrucksvoll aus. Ihr ebenbürtig war die amerikanische Sopranistin Robin Johannsen in der Rolle ihrer Schwester Giuturna, die von ihrer heimlichen Liebe zu Lavinias Bräutigam Turno gequält wird. Das Duett der beiden Schwestern zählte durch den Gleichklang ihrer Stimmen zu den Höhepunkten des Abends.
König Latino, den Vater der beiden Schwestern, gab der in Buenos Aires als Sohn slowenischer Eltern geborene Bassbariton Marcos Fink mit einschmeichelnd sonorer Stimme. Sehr gut besetzt waren auch die beiden Gegenspieler Aeneas / Enea und Turnus / Turno. Letzterer als Hosenrolle mit der schlanken niederländischen Mezzosopranistin Olivia Vermeulen, während der trojanische Held vom englischen Tenor Jeremy Ovenden gespielt wurde. Die beiden brillierten stimmlich wie darstellerisch und lieferten sich im 3. Akt ein aufregend-packendes Fechtduell, bei dem man merkte, dass ihre Fechtstunden während der Probezeit von Erfolg gekrönt waren.
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Liebesszene zwischen Corebo (Gyula Orendt) und der von Marc Milhofer gespielten Amme Nicea (Foto: Thomas Maximilian Jauk)
Eneas Gefährten Corebo, der die Liebe für eine Krankheit hält, spielte der ungarisch-rumänische Bariton Gyula Orendt. Seine derb-komische Liebesszene mit Lavinias Amme Nicea, die vom britischen Tenor Mark Milhofer mit deftiger Komik dargestellt wurde, kam beim Publikum gut an. In der kleinen Rolle als Turnos Heereshauptmann Coralto überzeugte der aus dem Theater an der Wien bekannte englische Countertenor Rupert Enticknap mit seiner hellen Stimme. Die Rolle des Amor spielte der Schauspieler Konstantin Bühler in der Verkleidung eines Gärtners. Er agierte mit tänzerischer Gelenkigkeit, outrierte aber des Öfteren zu stark.
Das Kammerorchester Akademie für Alte Musik Berlin wurde von René Jacobs geleitet, mit dem das Ensemble eine enge künstlerische Partnerschaft verbindet. Kein Wunder, dass damit eine musikalische Brillanz garantiert war, die das Publikum mit sichtlicher Freude genoss.
Es war faszinierend, wie das Orchester die schillernde Partitur des Komponisten in allen Feinheiten wiedergab.
In einem im reich illustrierten Programmheft abgedruckten Interview spricht René Jacobs, der von 1997 bis 2009 der künstlerische Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik war, begeistert über die Musik von Agostino Steffani. Daraus ein Zitat: „Insbesondere an den Rezitativen wird dies deutlich, die bei Steffani sehr abwechslungsreich ausgestattet sind, überhaupt nicht stereotyp und trocken, sondern mit vielen rhythmischen und harmonischen Finessen bis hin zu regelrecht dissonanten, sehr expressiven Zusammenklängen. Zudem greift die Musik immer wieder ins Ariose aus, mit weitgeschwungenen Melodiebögen und virtuosen Ornamenten, die sängerisch sehr anspruchsvoll sind.“
Das von der Vorstellung restlos begeisterte Publikum spendete allen Mitwirkenden am Schluss nicht enden wollenden, frenetischen Beifall mit regelrechten Ovationen für das Orchester und seinen Dirigenten.
Udo Pacolt