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WIEN / Volkstheater: BROOKLYN MEMOIREN

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Foto: © www.lupispuma.com

WIEN / Volkstheater: 
BROOKLYN MEMOIREN von Neil Simon
Premiere: 22. April 2016,
besucht wurde die Vorstellung am 1. Mai 2016 

Man erinnert sich: Das Volkstheater hatte für seinen Premierentermin im April ein neues Stück über Flüchtlinge vorgesehen. Da klappte dann irgendetwas ideologisch nicht – ohne dass man der Öffentlichkeit je gesagt hätte, woran genau das Projekt scheiterte (zur Transparenz haben offenbar alle Wiener Theater- und Operndirektoren ein gespanntes Verhältnis). Der Ersatz ist allerdings interessant – die „Brooklyn Memoiren“ des Neil Simon. Ein Autor, der in der Erwartungshaltung des Publikums für Boulevard steht. Und der hier mühelos auf Migranten-Problematik umzupolen war.

Tatsächlich hat Neil Simon hier die Geschichte seiner eigenen Jugend geschrieben – dort in Brighton Beach im Brooklyn, wo sich seine aus Russland emigrierte jüdische Familie niedergelassen hatte und sich wirklich hart durch den Alltag kämpfte. Dennoch ist das Stück von der Gloriole der Heiterkeit umgeben. Geradezu lächelnd (denn „Lächeln ist das Erbteil unseres Stammes“, wusste schon Torberg) hat Neil Simon hier in den einzelnen Figuren Stärken und Schwächen des jüdischen Wesens umkreist, Überlebenskraft hier, Weinerlichkeit dort, Witz hier, selbstgefällige Selbstbespiegelung (unter besonderer Berücksichtigung der eigenen Leidensgeschichte) dort, Poesie hier, Rassismus dort (jene Szenen, in denen sich die Juden geradezu feindselig von den Iren abgrenzen, sind in dieser Aufführung gestrichen). Sieben Personen haben hier ihren Autor gefunden, in einer auch satirischen Komödie, die eigentlich wie ein heiteres, von Tragik-Einsprengseln durchwirktes jüdisches Volksstück daher kommt – mit dem jungen Eugene, Selbstbildnis von Neil Simon, als pointiertem Erzähler…

Das sieht man nun im Volkstheater nicht. In der Regie von Sarantos Zervoulakos ist das jüdische Element gestrichen (nur dort als Behauptung vorhanden, wo man es politisch braucht), was dem Ganzen seinen Charme nimmt. Und es spielt auch nur bedingt 1938, denn es hängt ein Großbildfernseher im gedrängten Raum, die Einrichtung ist Billig- und Plastikschrott von heute, und wenn Jung-Eugene immer wieder erklärt, dass er mit dem Bericht über seine Familie seine „Memoiren“ schreibt, dann tut er es zeitgemäß mit der Videokamera in der Hand – und die Wackelbilder werden groß über das vollgerammelte Zimmer projiziert, das hier auf der Bühne steht (Thea Hoffmann-Axthelm, für die Arme-Leute-Kleidung sorgte Werner Fritz).

Ein Spagat zwischen gestern und heute, damit man es genau weiß: Genau so arm, genau so gedrängt, genau so um jeden Groschen kämpfend leben die Immigranten heute (vielleicht mit ein bisschen weniger Humor im Alltag). Und es funktioniert als Aussage, selbst am Ende – denn obwohl schon sieben Leute in dem Raum kaum Platz finden: Wenn ihnen am Ende klar ist,  es wird Krieg geben (bei Simon der Zweite Weltkrieg, heute die Kriege im Nahen Osten), dann weiß man, dass sie noch enger zusammen rücken werden, um jene Verwandten aufzunehmen, die da kommen werden…  Kurz, das Volkstheater hat sein Flüchtlingsstück.

Es ist allerdings ohne den jüdischen Duktus und Rhythmus, den es in sich trägt, nicht mehr übertrieben reizvoll. Schade auch, dass ein Hauptdarsteller wie Nils Rovira-Muñoz, der an sich als Typ richtig und witzig ist, wieder einmal an seiner mangelnden Sprechtechnik scheitert (obwohl man ihm ein Mikro ins Gesicht geklebt hat). Und auch alle anderen sind zwar als Persönlichkeiten durchaus stark, aber in die vorgegebenen Schuhe der Rollen schlüpfen sie nicht wirklich. Anja Herden fegt nun als nicht-jüdische Mame lautstark herum, Birgit Stöger als ihre selbstmitleidige Schwester, und am ehesten ist Seyneb Saleh als Teenager, der unbedingt ausbrechen will und festgehalten wird, eine für uns wirklich nachvollziehbare Gestalt. Im Ganzen (es sind noch Katharina Klar, Rainer Galke und Kaspar Locher dabei) wird zwar solide, aber nicht wirklich gut gespielt: Da konnte Anna Badoras Direktion (mit wenigen Ausnahmen) noch nicht an eine darstellerisch überzeugendere Vergangenheit des Hauses anschließen.

Renate Wagner

Bemerkung 1: Ein besonderer Glücksfall der von mir besuchten Aufführung bestand darin, dass die Technik ausfiel. Nur am Anfang wurde man von den zuckenden Bildern, die Eugene mit der Wackelkamera einfällt, belästigt – dann fiel das Ding aus. Wie wunderbar, ungestört einfach der Handlung folgen zu können, ohne die dauernde Ablenkung durch die Videos (diese „unverzichtbar“ gemacht zu haben, zählt zu Castorfs vielen Todsünden). Aber das Glück hat nicht jeder Zuseher.

Bemerkung 2: Es war die erst dritte Aufführung dieses Stücks, die Premiere inbegriffen, und das Haus war weit entfernt von dem, was man als „gut besucht“ bezeichnen kann, obwohl die Kritiken dem Vernehmen nach gut gewesen sein sollen. Das bedeutet ja doch, dass dieses neue Volkstheater beim Publikum noch  keinerlei Vertrauen aufbauen konnte, auch noch nicht imstande war, sein Ensemble wirklich überzeugend einzusetzen. Man weiß nicht, wie viele Nicht-Abonnenten sich für diesen Abend eine Karte gekauft haben, aber Tatsache ist, dass das in diesem Haus Gebotene nach wie vor „fremdelt“ – man fühlt sich in einer „anderen“ Theaterwelt, die sich noch nicht ihr Publikum erobert  hat.

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