Wiener Volksoper:
30.4.2016: „DER BETTELSTUDENT“ – Wie finden wir zu einem eigenen Stil?
Martin Fischerauer, Elisabeth Flechl, Anja Nina Bahrmann. Copyright: Barbara Palffy/Volksoper
M i l l ö c k e r. Im aktuellen Kulturgeschäft wird dieser Namen kaum mehr genannt. Carl Millöcker. Über die Songs der sexy & crazy Pop-Princesses wird heute hierzulande viel geschrieben, nicht aber über die sich anno dazumal so rhythmisch elegant ins Ohr einschmeichelnden Operettenmelodien eines Suppé, Zeller – oder eben von Millöcker. Bescheiden wissend über bodenständige künstlerische Historie oder geistesgeschichtliche Entwicklungen zeigen sich viele der jüngeren Menschen. Also, den Carl Millöcker, den kennt ein jeder, der sich in früheren Jahren mit Liebe der Wiener Operette hingegeben hat. Franz von Suppé, der immer noch allgegenwärtige Johann Strauß, etwas später dann Millöcker und Carl Zeller, beide Jahrgang 1842, das sind die Großmeister der klassischen Wiener Operette gewesen. Werden diese Werke in Wien jetzt noch behutsam gepflegt …. ? Fragen wir lieber, wie finden wir wieder zu einem eigenen charmanten Stil. Denn immer noch schön und wertvoll ist es, solch eine von Noblesse beflügelte und gehaltvolle Unterhaltungsmusik hören zu dürfen.
Millöckers Musik vermittelt einen wunderbaren Charme. „Ich knüpfte manche zarte Bande“, heißt es da mit ironischem Unterton, oder „Der Polin Reiz ist unerreicht“. Charmant, charmant. Besser geht es nicht. Doch wo treffen wir heutzutage diese Theaterleute, welche Millöckers Charme und Schmelz auch stimmig ins Szenische zu übertragen vermögen? Schaut nicht allzu gut aus. Jetzt hat die Wiener Volksoper wieder den Versuch gewagt, „Der Bettelstudent“ – Jahrgang 1882 und eine der großen, eine der besten klassischen Wiener Operetten – in ihr Repertoire aufzunehmen. Gelenkt von einem Wiener Regisseur, der sich hier erstmals bewähren durfte. Anatol Preissler hat sich in Deutschland hochgedient, und sich somit in der deutschen Theaterlandschaft auch der dortigen Ausdrucksweise anpassen müssen. Man kann sich anfreunden. Die Suche nach dem wahren Operettencharme für Wien, die geht allerdings noch weiter.
Beim Einstieg am Premierenabend fiel es Dirigent Wolfram-Maria Härtig anfangs nicht so leicht, den lockeren Ton zu finden. Dieser hat sich mit der Zeit doch eingestellt, und, im Dreivierteltakt mitgeschwommen, ist Stimmung aufgekommen. Trotzdem, eine einigermaßen fesselnde Erzählung über die von den Librettisten Friedrich Zell und Richard Genée schon sehr amüsant, sehr raffiniert aufbereiteten Intrigen- und Liebesspiele während des Krakauer Volksaufstandes 1704 gegen die sächsische Besatzungsmacht wollte sich nicht ergeben. Preissler vertraute nicht dem edlen Blut und der Gemütstiefe von Millöckers Musik, sondern rückte dessen in jeder Hinsicht fein gesponnenen Operettenzauber in Richtung Farce. Das hat einige Lacher hervorgerufen, die allzu zahlreichen Slapsticks und Allotrias und kräftigen Keulenschläge erwiesen sich jedoch nicht als substanziell besonders gewinnbringend.
Aber auch: So mancher Volksopern-Stammgast vermisst nun auf der Bühne echte Publikumslieblinge und Persönlichkeiten wie in früheren Jahren. Trotzdem, Elisabeth Flechl als Gräfin Palmatica und deren verliebte Töchter Anja-Nina Bahrmann (Laura) und Mara Mastalir (Bronislawa) haben stimmlich und spielerisch ihre guten Momente. Ebenso der tenorale Hausdebütant Lucian Krasznec als Symon Rymanowicz, der Bettelstudent, sowie Alexander Pinderak als polnischer Revoluzzer Jan Janicki. Doch so richtig ins Herz gesungen? Boris Eder wird als Kerkermeister Enterich völlig unpassend als rüpelhafter Karibik-Pirat mit derbem wienerischen Dialekt vorgeführt. Und, schön anzuschauen – na ja, eigentlich hässlich – waren sie nicht, die grotesk-schäbigen Frisurenaufputze der debilen Herrn Offiziere (Daniel Ohlenschläger, Gernot Kranner, Thomas Zisterer, Roman Martin, Michael Havlicek) rund um ihren großkotzigen Chef, dem unbeliebten Gouverneur, dem intrigierenden Oberst Ollendorf (Martin Winkler souverän prahlend und mit eigenem Charakter). Die von Marrit van der Burgt eher aufwendig entworfenen Kostüme und Karel Spanhaks einfache, nicht gerade poesievoll ausgedachte Bühnengestaltung tragen wohl auch nicht zu einem erneuerten Wiener Operettenstil bei. Choreografin Marga Render ließ die Tänzer sich dem Schwung der Mazurka hingeben, nutze aber nicht deren Virtuosität. Der Chor unter Thomas Böttcher hat die Stimmungen von Millöckers volkstümlicher, wiederholt slawisch geprägter Melodienflut trefflich eingefangen.
Also, was steht solch einem historischen edlen musikalischen Unterhaltungstheater besser, feiner Charme oder Klamauk? Eine Frage des Stils. Und solch einer muss wohl noch wieder gefunden werden.
Meinhard Rüdenauer