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MANNHEIM/Rosengarten. „CAMERON CARPENTER- RSO WIEN-CORNELIUS MEISTER“

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Mannheim: „CAMERON CARPENTER- RSO WIEN-CORNELIUS MEISTER“

 

                     Konzert im Rosengarten 01.05.2016

Eine freudige Wiederbegegnung des vor wenigen Jahren jüngsten GMD´s Deutschlands (Heidelberg) seit 2010 Chefdirigent des Radio-Symphonieorchesters Wien Cornelius Meister bescherte Pro Arte seinen Abonnenten im Mozartsaal des Rosengartens.

Eröffnet wurde das Programm mit der sinfonischen Dichtung  „Die Mittagshexe“ (Antonin Dvorak) eigentlich einer kurzen Programm-Symphonie von unverwüstlicher melodischer Kraft, fesselnder Rhythmik, mystisch-harmonischer, feinnerviger Aussage. Cornelius Meister führt das prächtig musizierende Orchester klanglich schemenhaft durch das tönende Familiendrama, in welchem die Mutter dem schreienden Kind mit der Mittagshexe droht, als diese erscheint es an sich drückt, der heimkehrende Vater findet die ohnmächtige Mutter mit dem erstickten Kind. In akkuratem Musizieren entstand ein breites Kaleidoskop von orchestralen Stimmungen getragen von allen Instrumentalbereichen.

Der ECHO-Preisträger auch  exzentrischster  Organist mit Pop-Status Cameron Carpenter spielte Sergej Rachmaninows „Paganini-Rhapsodie“. Oft von großen Solisten der Violine und des Klaviers gehört, erlebte ich erstmals die 24 Variationen in Orgel-Bearbeitung. Der Solist stellte zudem sein Instrument „International-Touring-Organ“ vor mit einem Aufbau von über drei Dutzend Highend-Drums, Hoch-Mittelton-Speakers aufgereiht wie Orgelpfeifen. Für diese bühnenfüllende Ladung digitaler Electronic incl. Orgel bedurfte es sicher eines separaten Tournee-Truckers. Spektakulär der Outfit: Irokesen-Haarschnitt, Samtkostüm und Glitzerschuhe des an sich bescheidenen, ganz im Dienst der Musik agierenden Künstlers.

Das Werk eingeleitet von einer kurzen Introduktion  bei welcher sich zur Wiederholung des Hauptmotivs in immer höheren Oktaven sowie übermäßigen Dreiklängen  dramatische Steigerungen aufbauen. Noch vor dem Thema folgt die erste lediglich orchestrale Variation, sodann entfaltet sich der Orgelton in immer wieder umspielten Themen auf beeindruckende Weise. Man gewann den Eindruck Carpenter stylt, lackiert die Komposition, er verpasse seinen  Pedaleinsätzen  High Heels, in radikal eigener Sicht vermittelte der Künstler eine Performance der ganz besonderen Art. Prägende Akzente, schnelle Tempi von atemberaubender Brisanz schenkt der charismatische Solist den Frequenzen Tempo I + L´istesso tempo. Stimmungsvoll prägt er auf seine spezifische Weise das „Dies-Irae-Thema“ zum folgenden Poco marcato.

Carpenter lässt das königliche Instrument sausen, ächzen, scheppern, in Atavismus scheint er mit Lust seinen Spieltrieb zu befriedigen, entrümpelt die Orgel vom behafteten  Glorienschein, verleiht ihr einen schier zeitgemäßen Sexy-Touch. Das Arrangement der Variations-Interpretation dieses Revolutionärs passt in keine konventionelle Schublade bar des eigenwilligen Musizierens.

Fulminant baut Carpenter die finalen Variationen gleich einem Feuerwerk auf, lässt abebben, mysteriöse Piani wechseln mit kauzigen Spaltklängen, wenn die „Maschine“ Cameron einmal auf die Pedale tritt, sollte niemand nach Tempolimits fragen. Die Bassläufe seiner Beine wirken schneller als es manche Pianisten mit ihrer linken Hand vermögen, Formalien scheinen ihn nicht zu interessieren. Bei aller „Show“ erlebt man dennoch einen Virtuosen höchster Brillanz auf ganz hohem Niveau.

Diesem rasanten Ritt auf der Orgel bedeutet für das Begleit-Orchester eine wahre Herausforderung, doch Cornelius Meister mit dem farbintensiv aufspielenden RSO nahmen mit Coolness diese Hürde famos und konnten sich daneben mit höchst dimensionalem Spiel behaupten. Nach dem gebotenen Brillant-Feuerwerk schien der Saal zu brodeln, das Publikum flippte aus, schrie, pfiff, trampelte und wurde mit einer instrumental-facettenreich gespielten „Toccata“ (Bach) sowie dem lasziv-rhythmisch musizierten „Imperial-Tango“ (Piazzolla) bedankt.

Nach der Pause spielten die Wiener Gäste einen romantischen Kontrast „Symphonie Nr. 4“ (Robert Schumann). Zwar weist die Vierte die üblichen vier Sätze auf, doch gehen diese ohne Pause (Husten-Crescendo hatten keine Chancen zur Entfaltung) ineinander über, nicht von ungefähr hatte Schumann zwischenzeitlich den Titel symphonische Phantasie erwogen. Die formale Grenzüberschreitung ist ebenso romantisches Programm wie die organische Ableitung des gesamten Werkes aus einer thematischen Keimzelle der in der langsamen Einleitung zum ersten Satz vorgestellten, kreisenden Drehfigur mit Terzstruktur.

Das einleitende Thema zur herüberreichenden Hauptmelodie bleibt nahezu allgegenwärtig, forciert das Treiben, umgibt das punktierte Seitenthema der famos aufspielenden Holzbkläser und prägt die mit zwei akkuraten Posaunenstößen eröffnete Fanfare.

Cornelius Meister ließ in hinreißend-genauen Details  und enorm klangschöner Transparenz aufspielen, die besänftigten Nebenvariationen entfalteten sich prächtig in steigernder Dramatik. Traumverloren fanden sich Cello und Oboe zur wehmütigen Romanze, elegisch webten die Violinen den Klangteppich in grandioser Steigerung intonierten dazu die Blechbläser zur nächsten Phrase. Derartig nuanciertes Musizieren erzeugte Wonneschauer!

Letztlich komme ich um ein provokatives Fazit kaum herum: So gut, so schön, so klangvoll frisch und farbenprächtig kann Schumann wie selten gehört klingen.

Das Publikum bedankte die Gäste aus Wien mit herzlichem langanhaltenden Beifall und erhielt zum Lohn zwei Zugaben: temperamentvoll-expressiv musiziert den „Slaw. Tanz Nr. 7“ (Dvorak) sowie köstlich-schräg voller Dissonanzen,  mit sichtlicher Freude aller Mitwirkenden  gespielt als Gruß aus Oesterreich die „Pussy(r)-Polka von Gerhard Winkler.

Gerhard Hoffmann

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