- WIEN/ Staatsoper- „TURANDOT“ am 1.5.2016)
Lise Lindstrom, Anita Hartig. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Nach zwölf Jahren steht „Turandot“ wieder auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Aber so ganz ohne Turandot war die Wiener Opernwelt dennoch nicht, hat doch die Wiener Volksoper eine überaus schöne und stimmige Produktion anzubieten, die auch meistens sehr gut besetzt ist und außerdem eine hinreißende und originelle Ministerszene bot. Hoffentlich verschwindet sie nicht wie die tolle „Cenerentola“, nur weil die STOP auch eine Produktion hat. Die Traviata hat sich ja Gott sei gedankt auch gehalten.
Marco Arturo Marelli inszenierte das Werk bereits im Vorjahr auf der riesigen Seebühne von Bregenz. Dass dieses Konzept nicht voll in die Staatsoper übertragen werden kann, ist logisch. Warum aber in beiden Programmen nicht Zusammenarbeit erwähnt wird, ist seltsam. Wenn das nicht geplant war, stellt sich die Frage, welcher Vertrag wurde zuerst fixiert, wer hat das Original der Idee – wer den Abklatsch. Der Regisseur Marelli kann sichtbar wenig mit vielen Menschen – Chormassen anfangen. Die Herrschaften des Chores werden wie die Bregenzer Steinfiguren einfach in Position gebracht, so sitzen sie wie im Theater in Reihen und beobachten das Geschehen. Sehr weiß geschminkt und sehr statisch. Erst im zweiten Teil kommt etwas Bewegung in die Sache, das Schlussbild allerdings ist dann wieder die erstarrte Menge. , allerdings im Hochzeitsgewand!
Puccini auf der Bühne in eine Inszenierung eingebaut ist keine neue Idee, die hatte schon Herheim zur „Madama Butterfly“ an der Volksoper zu Beginn der Ära Berger. Die Idee das Puccini = Calaf gefiel mir schon in Bregenz nicht, das märchenhafte dieser Oper geht voll verloren. (Turandot, diese uralte Geschichte stammt aus Persien – hat mit dem Islam aber nicht das geringste zu tun – und muss durch die Erzählungen der Märchenerzähler, ein angesehener Beruf im alten Persien, über die Seidenstraße, weit vor der Islamisierung nach China gelangt sein.
Die Kostüme seiner Gattin Dagmar Niefind sind zum größten Teil sehr gelungen, unpassend aber sehr schön die Abendkleider der Chordamen. Auch Turandots Festkleidung ist prächtig, allerdings die roten Haare (sollte es doch die Ortrud werden?) schlagen sich mit dem Rot des Grundkleids heftig. Der als Puccini verkleidete Calaf wirkt aber nie so dynamisch wie Puccini auf den Bildern. Auch die Szene, in der ans Bett gefesselt die Tragik um Liu zu verfolgen hat, wirkt leider unabsichtlich komisch. Einfallslos und unschön der Fetzen, der Liu verpasst wurde. Das beeinträchtigt unbewusst die Leistung der Künstlerin, weil im Unterbewusstsein das Auge doch „mit hört“. Auch Timur hätte etwas Farbenfreudigeres verdient. Sehr schön die Gewänder der Minister – etwas an die „Commedia del arte“ angelehnt, demnach nichts Neues, aber gut bewährt. Das Gewand des Mandarin ist wirklich sehr prunkvoll, der Auftrittsschritt und Gehabe weniger schön.
Der Clown auf der Bühne stört zwar nicht, trägt aber zur Handlung nichts bei.
Manche kleinen Gesten der Personenführung sind stellenweise sehr gut, gehen aber unter, wenn man nicht sehr nahe der Bühne sitzt.
Die musikalische Umsetzung von Gustavo Dudamel ist sehr plakativ und laut und nur selten die lyrischen Komponenten hervorhebend. Dass die leidenschaftliche Musik zur Lautstärke anregt, ist einfach so, da widersteht keiner. Vor allem im dritten Akt gelingt es ihm über weite Strecken, die Solisten weitestgehend zu übertönen. Den Zwischenruf nach der Pause hat er ignoriert, wohl auch weil er ihn nicht verstand.
In der Titelrolle erlebten wir Lise Lindstrom, eine Amerikanerin mit skandinavischen Namen. Eine sehr hübsche große Erscheinung, eine sehr schöne Darstellerin der Turandot, die sie nicht so „nur böse“ umsetzt, auch mit dem persischen Prinzen hat sie Mitleid, und als sie da zum ersten Mal Calaf erblickt, scheint sie zu begreifen, „der könnte gefährlich werden“. Das war die sehr gute Darstellung, stimmlich liegt das nicht gleich auf. Die Stimme ist scharf wie ein Diamantschneider, die Mittellage klingt etwas wärmer und weicher, die Tiefe ist so wenig vorhanden wie die Piani. In den Fortehöhen ist das Vibrato extrem.
Ihr tenoraler Partner Yusif Eyvazov dagegen hat sehr viel Stilgefühl zu bieten. Eine nicht gerade umwerfend schöne Stimme, aber ein sehr guter Sänger, die Stimme sitzt tadellos und die Höhensicherheit ist enorm, nicht unwichtig für den Calaf. Seine schauspielerische Fähigkeiten werden nicht sehr gefordert. Feurig wirkt er stimmlich, die Darstellung ist eher gemütlich.
Seine ihm verfallene Sklavin Liu bekam das hässlichste Kostüm, das ich je für diese Rolle sah. Frau Niefind, Sie sind doch eine Frau, warum muss man andere Frauen so unvorteilhaft und hässlich machen? Das da so manche Diva ausflippen und sich laut schreiend weigern würde, dies zu tragen, kann ich voll verstehen. Anita Hartig ist eine so bescheidene Künstlerin und trug dieses Gretelkostüm mit Würde. Stimmlich scheint sie für diese sehr lyrische Rolle schon eher zu kräftig zu sein, sang aber dennoch sehr beseelt und war darstellerisch sehr überzeugend. Warum setzt sie den Schlusston des „Signore, ascolta“ zwar schön im Piano an, macht dann aber ein Crescendo bis zum Forte ?
Dan Paul Dumitrescu als Timur sang wie immer mit wunderschöner weicher Stimme und großen Ausdruck. Das auch er farblich vom Kostüm her wenig gut behandelt wurde, war etwas weniger störend als bei Liu, der man ja auch noch Schulmädchenzöpfchen verordnete.
Ping, Pang und Pong waren die Herren Gabriel Bermudez, mit viel Spielfreude, Carlos Osuna mit sehr schöner Stimme und Norbert Ernst mit guter Charakterisierung der Rolle. Alles in allen eine ausgewogene „Troika“. Paolo Rumetz gab dem Mandarin gewichtige Stimme und wirkte wie aus einem Märchenbuch. Altoum im Rollstuhl mit langem Haar und zittrigen Gehabe setzte Heinz Zednik perfekt um. Von Pong über Pang zu Altoum.
Die Chorsoli, zwei Damen, ein Herr seien pauschal gelobt. Der Chor klang brillant studiert und ausgewogen. Thomas Lang hat wie immer sehr gut gearbeitet. Nicht zu vergessen sind die Akrobaten, die eine eindrucksvolle Schau boten, zu der Musik, wo eigentlich das Volk und die Wachen ihre Auftritte haben.
Wer überprüfen will, wie weit das Versprechen von Herrn Marelli bei der vorjährigen Programmpressekonferenz, eine neue Interpretation zu liefern, auf Wahrheit beruht, sichert sich am besten ein Ticket für den 25.5. an der königlichen Oper Stockholm, wo eine Wiederaufnahme der Produktion von 2014 auf dem Programm steht. (Diese war in Kooperation mit Graz und wurde dann von Frau Sobotka nach Bregenz übernommen.)
Wenig Jubel und einige Misstöne am Ende.
Elena Habermann