Innsbruck: „MADAMA BUTTERFLY“ Tanztheater 4.1.2014 (UA 19.10.13) – Inspiration durch einen Star
Kurzes Liebesglück: Sue Jin Kang und Carlos Contreras Ramirez (Pinkerton). Foto: Rupert Larl/ Tiroler Landestheater
Innsbrucks Tanzdirektor Enrique Gasa Valga hat sich von Sue Jin Kang, der koreanischen Primaballerina des Stuttgarter Balletts, und seit 1. Januar Direktorin des Nationalballetts ihrer Heimat, zu einem Tanzstück über die von Giacomo Puccinis Oper zu Weltruhm geführte Frau Schmetterling anregen lassen. So viel vorab: wer sich eine mehr oder weniger auf diese viel gespielte Musiktheater-Version des Stoffes gestützte Umsetzung erwartet hatte, wurde sicher enttäuscht; wer jedoch bereit ist, den Schwerpunkt der Thematik zu verlagern, zunächst die kulturellen Gegensätze der Japaner und der auf dem Seeweg Station machenden Amerikaner und dann erst das Schicksal Butterflys zu betrachten, erlebt einen kontrastreichen Theaterabend, der zwischen klassischer Ballett-Tradition und den Errungenschaften des Tanztheaters spielerisch variiert.
Trotz der vom Choreographen intendierten Verallgemeinerung des Geisha-Schicksals, die von einem Amerikaner nur als zauberhaftes Abenteuer exotischer Reize begriffen und vertragsgemäß geehelicht wird, während sie an die wahre Liebe glaubt und mit dem inzwischen geborenen Sohn vergeblich auf seine Rückkehr wartet, bleibt die Geschichte in Helfried Lauckners Bühnenbild in Japan verortet, mit zwei verschiebbaren, typischen Bungalows und einem riesigen., über ein Zwischen-Plateau erkletterbaren Felsen im Hintergrund sowie auch in den Kostümen von Eva Praxmarer mit den leicht fließenden weißen Geisha-Gewändern und rotem Haarschmuck bzw. schwarzen Rockhosen für die Japaner und weißen Marine-Uniformen für die Amerikaner.
Wesentliche Bedeutung weist die Dramaturgie von Christina Alexandridis der Verbildlichung der beiden ausgleichenden Gewichte der japanischen Naturphilosophie Yin und Yang zu, an denen sich auch Butterfly orientiert, ehe sie sich nach der Konfrontation mit ihrer amerikanischen Rivalin Kate und der Entwendung ihres Kindes emanzipiert und den Weg des herkömmlichen Harakiri-Selbstmordes selbst bestimmt. Wie zwei Schicksalsgöttinnen sind Yin und Yang in Gestalt der dunkelhäutig aparten Clara Sorzano Hernandez und der hellen, etwas rustikaleren Marie Stockhausen allgegenwärtig und halten die Dualitäten des Lebens, den ewigen Kampf von Gut und Böse mit sich ergänzenden Bewegungsformen in Balance. Und weil vor allem im ersten Teil den Gruppenszenen zu eruptiven Live-Percussions (Alexander Kunchev, Wolfgang Kurz, Andreas Schiffer, Robert Pammer) auf großen, aufgehängten Trommeln sehr breiter Raum zur Entfaltung gegeben ist, gerät die zentrale Gestalt Butterflys bis zur Pause, zumal im Hinblick auf die eigens dafür engagierte Stückanlassgeberin Sue Jin Kang, zu weit ins Hintertreffen. Äußerst ungeschickt und wenig einfühlsam ist auch Butterflys Erkletterung des Felsens für ihre lange Wartephase, nachdem der Pas de deux mit Pinkerton als viel zu kurzes Liebesglück der passend verträumte Abschluss des ersten Teiles gewesen wäre.
Der erstmalige Einzug der fremden Welt der Amerikaner ist akustisch durch eine schlagwerk-gestützte Bearbeitung des Puccinischen Butterfly-Vorspiels auf originelle Weise erfasst. Ansonsten wird Puccinis Musik nur am Beginn des zweiten Teiles zu Butterflys Wartestadium mit dem Summchor und ihrer großen Arie „Un bel di vedremo“ bemüht. Den westlichen Einfluss liefern ansonsten durchaus stimmig gewählte Preziosen wie die Meditation aus „Thais“, ein Valse sentimentale von Tschaikowsky oder Liszts „Liebestraum“.
Butterflys Sonderstellung, ihre Betrachtung als Schmetterling, ist durch den Einsatz in Spitzenschuhen gewährleistet, die ihr schwebend leichte Drehungen und Arabesquen des klassischen Balletts ermöglichen. Die ausgereifte Spitzentechnik Sue Jin Kangs ist indes nur eine Seite ihrer faszinierenden Persönlichkeit, die bei jeder kleinen Bewegung, der Führung der Arme und bereits in ihrer rückwärtigen Position zum Publikum am Beginn spürbar wird. Ihr Entschluss zum Selbstmord mit nun schwerer und unbeholfener wirkendem Körpereinsatz, als ob ihr die Flügel und damit auch ihr Zauber abhanden gekommen wären, wie auch die Tat selbst (wobei das Blut nur kurz in einem Lichterstreif vor herab fallenden Flocken sichtbar wird) hat so gar nichts Pathetisches, hier zeigt sich Kang als starke, unaffektierte Dramatikerin.
Einnehmende Bühnenpräsenz: David Rodriguez Canabate als Goro. Foto: Rupert Larl/Tiroler Landestheater
Carlos Contreras Ramirez findet als Pinkerton einen idealen Mittelweg zwischen sympathischer Latin Lover- Ausstrahlung mit geschmeidigen Linien wie ebensolcher Partnerführung und oberflächlicher Abenteuerlust, Mohana Rapin ist eine aufrichtige, mit Geschmack und Stil tanzende Suzuki, David Rodriguez Canabate der glaubwürdig hinterhältige Heiratsvermittler Goro mit starker Präsenz und raumgreifender Sprungkraft, Natalia Fioroni eine leicht flittchenhafte Kate Pinkerton im auffallend roten Kleid. Für einen die Bühne total einnehmenden Kurzauftritt mit markanter Expressivität sorgt Leoannis Pupo-Guillen als wetternder Onkel Bonze. Und die restlichen Mitglieder des Innsbrucker Tanzensemble stellen sich alle mit Geschlossenheit und Tanzlust in den Dienst ihrer wechselnden Gruppen-Aufgaben.
Die Tatsache, dass das Publikum an diesem Abend den lobenswerten Krafteinsatz der vier Percussionisten wie auch den lärmenden Tanz der Amerikaner begeisterter würdigte als die zentrale Bühnenpersönlichkeit und Kunst Sue Jin Kangs, spricht nicht gerade für die Wertschätzung der doch mit viel Emotion verbundenen Tragödie Madame Butterflys, die im zweiten Teil auch voll zum Tragen kommt.
Im Ganzen eine beachtenswerte Begegnung mit Ballett und Tanz inklusive dramaturgischer Einschränkungen.
Udo Klebes