Großes Musiktheater in Würzburg: „Der Steppenwolf“ von Viktor Åslund (Vorstellung: 11. 5. 2016)
Daniel Fiolka als Harry Haller mit Silke Evers als Hermine (Foto: Falk von Traubenberg)
Das Mainfrankentheater in Würzburg brachte vor wenigen Tagen das Musiktheater-Werk „Der Steppenwolf“ von Viktor Åslund, dessen Libretto Rainer Lewandowski nach dem gleichnamigen Roman des Literatur-Nobelpreisträgers Hermann Hesse verfasste, in einer aufwendigen Inszenierung zur Uraufführung. Das etwa dreistündige Werk ist weder eine Oper noch ein Musical und wurde deshalb vom Librettisten Musiktheater genannt.
Der vielgepriesene Lyriker Hermann Hesse (1877 – 1962), der als ein Meister im Analysieren und Erfahren von Lebenskrisen galt, veröffentlichte seinen autobiographisch durchwirkten Roman Der Steppenwolf im Jahr 1927. Er erlangte in der Aufbruchsstimmung der 68er-Bewegung Kultstatus. Kein Wunder, behandelte der Autor in seinem Werk Themen wie der Überdruss am Alltäglichen, das Aufbrechen bisher verdrängter Begierden und Wünsche sowie die Lust, alle Zwänge des biederen Philistertums zu überwinden.
Die Handlung: Harry Haller, Intellektueller und Autor, liegt krank zu Bett, steckt er doch in einer Lebens- und Schaffenskrise. Sein ständiger Begleiter, der Steppenwolf, möchte ihn immer wieder zum Selbstmord treiben. Als er eine Einladung eines Professors und dessen Frau annimmt, kommt es wegen unterschiedlicher politischer Auffassungen zum Streit. Haller irrt durch die nächtlichen Straßen der Stadt und möchte die Vorstellung eines geheimnisvollen „Magischen Theaters“ besuchen, doch wird ihm der Eintritt verwehrt. In einer Kneipe trifft er Hermine, die in ihm bisher verdrängte Sehnsüchte weckt. Sie bringt ihm das Tanzen bei, bleibt aber für ihn geheimnisvoll. Sie prophezeit ihm, dass er sie eines Tages töten werde. Als Hermine ihm den Saxophonspieler Pablo vorstellt, reagiert er gereizt, teils aus Eifersucht, teils wegen dessen Musikgeschmacks. Hermine führt Haller auch ihre Freundin Maria zu, die sein erotisches Interesse weckt. – Mehr und mehr fühlt sich Haller durch seine geteilte Persönlichkeit hin und her gerissen und stürzt sich in das Treiben eines Maskenballs, in dem ihm Hermine in verschiedenen Verkleidungen erscheint. Pablo lockt Haller ins „Magische Theater“, wo bei ihm Verdrängtes und Ersehntes hervorbrechen. Nachdem ihm im Traum bereits Goethe mit dem Rat erschienen war, das Leben und die Kunst nicht zu ernst zu nehmen, erscheint ihm nun Mozart, um ihm ein Gefühl von der Leichtigkeit des Lebens zu vermitteln. Doch als er Hermine und Pablo in inniger Umarmung entdeckt, regt sich der Steppenwolf in ihm und er tötet Hermine. Haller wird vor einem imaginären Gericht angeklagt, das „Magische Theater“ mit der Wirklichkeit verwechselt zu haben. Er wird dazu verurteilt, das Lachen zu lernen.
Der Opernchor des Mainfrankentheaters agierte tänzerisch und sang kraftvoll (Foto: Falk von Traubenberg)
Anna Vita, die Ballettdirektorin des Mainfrankentheaters, gab ihr Debüt als Opernregisseurin und setzte die bildhafte Sprache des Autors und des Librettisten in ihrer üppig-prallen Inszenierung mit vielen, von ihr auch choreographierten Tanzszenen auf aufwendige Art und Weise um. Die dazu gut passende Bühnengestaltung und die teils prächtigen Kostüme schuf Verena Hemmerlein, für die Lichteffekte sorgte Walter Wiedmaier.
In der Rolle des Harry Haller überzeugte der deutsche Bariton Daniel Fiolka sowohl schauspielerisch wie stimmlich, wobei seine Wortdeutlichkeit besonders wohltuend war. Ihm ebenbürtig „sein Steppenwolf“ in Gestalt des amerikanischen Bassbaritons Bryan Boyce, dessen Gestik und Beweglichkeit den Wolf auf köstliche Art imitierte. Ebenso exzellent füllte die Sopranistin Silke Evers die Rolle der Hermine mit oft tänzerischer Leichtigkeit und erotischer Ausstrahlung aus. Stärker jedenfalls als die gleichfalls hübsche russische Mezzosopranistin Polina Artsis als deren Freundin Maria, die auch die Rolle der Professorengattin verkörperte. Als Goethe und Mozart trat die deutsche Mezzosopranistin Barbara Schöller auf, die für die Gestaltung der beiden Rollen Szenenapplaus erhielt.
Als Saxophonspieler Pablo strahlte der Schauspieler, Sänger und Tänzer Rupert Markthaler Lebenslust und Freude aus, die beinahe ansteckend wirkte. In mehreren Rollen waren der amerikanische Tenor Joshua Whitener als Hallers Freund Louis, als Professor und Partymann sowie die deutsche Sopranistin Anja Gutgesell als Ehefrau von Louis und als Partyfrau im Einsatz. Mit gewaltiger Stimmkraft wartete der Opernchor des Mainfrankentheaters (Einstudierung: Michael Clark) auf.
Im informativ gestalteten Programmheft ist auch ein Artikel des schwedischen Komponisten Viktor Åslund unter dem Titel „Ein Spiel mit musikalischen Identitäten“ abgedruckt, in dem er über seine Arbeit am Steppenwolf schreibt. Daraus ein Zitat: „Ich definiere Musik in erster Linie als emotionale Kommunikation. Hesse bezeichnet sie im ‚Steppenwolf‘ als Sprache ohne Worte, welche das Unaussprechliche sage, das Ungestaltbare darstelle. Dementsprechend merke ich als Zuhörer sofort, wenn ich abdrifte, weil ich nicht mehr berührt bin. Gleichzeitig ist für mich Musik ohne Melodie schwierig vorzustellen. Zur Melodie gehören Sequenzen, Phrasen, Perioden und Variationstechniken. Mich lässt der Bogen, in dem sich die Formen in der Musikgeschichte entwickelt haben, immer noch fast schwindlig werden und gern benutze ich die alten musikalischen Werkzeuge, die nie an Frische und Relevanz verlieren werden.“
In diesem Sinn hat der schwedische Komponist einige musikalische Themen verflochten und auch und Jazz und Tanzmusik eingebaut. Es gelang ihm, die anschaulich-bildhafte Sprache und Gedankenwelt von Hermann Hesse musikalisch auf eindrucksvolle Art umzusetzen.
Das Philharmonische Orchester Würzburg gab unter der Leitung von Sebastian Beckedorf die nuancenreiche Partitur klangvoll zum Besten und erntete am Schluss vom Publikum reichlich Beifall, der beim Sängerensemble sogar in ein paar Bravo-Rufe für die drei Hauptdarsteller Daniel Fiolka, Bryan Boyce und Silke Evers gipfelte.
Udo Pacolt