STUTTGART/ Liederhalle: MIT BERÜHREND NORDISCHER NOTE
Mitreissendes Preisträgerkonzert der Internationalen Musikakademie Nigun am 15. Mai 2016 im Mozartsaal der Liederhalle/STUTTGART
Die Internationale Musikakademie Nigun wurde 2014 in Stuttgart gegründet und bietet begabten jungen Musikern ein Forum. Unter der impulsiven Leitung von Dimitri Rudiakov (künstlerische Leitung: Margarita Volkova-Mendzelevskaya) imponierte die feurige Wiedergabe des Jüdischen Kammerorchesters Nigun bereits bei Edvard Griegs Suite aus Holbergs Zeit op. 40. Sie wurde zum 200. Jubiläum des nordischen Dichters Ludwig Holberg geschrieben und ist eine echt anmutende Barock-Kopie mit viel Erfindungsreichtum. Die persönliche und nordische Note war auch bei dieser Wiedergabe trotz der Nähe zu Händel deutlich herauszuhören. Die Sätze Präludium, Sarabande, Gavotte, Air und Rigaudon trafen bei dieser Interpretation den „alten Stil“ sehr gut. Dimitri Rudiakov betonte mit dem Jüdischen Kammerorchester Nigun den „akademischen“ Stil aber nicht übertrieben.
Zu den erfolgreichen Preisträgern des 9. Internationalen Karl-Adler-Jugend-Musikwettbewerbs gehört auch der 2004 in München geborene Julian Lehmann (Cello), der zusammen mit Professor David Grigorian (Cello) das Konzert für zwei Celli in g-Moll RV 531 von Antonio Vivaldi mit jugendlicher Meisterschaft und elektrisierendem Schwung fulminant bewältigte. Festliche Klangpracht, klare al-fresco-Wirkungen, einfache Klangsprache und vollendete formale Ausgeglichenheit beeindruckten hier die Zuhörer ausserordentlich. Der subjektive Empfindungsausdruck und die feine Dynamik des Gesamtablaufs stachen leuchtkräftig hervor. Der Gegensatz von Tutti und Soli wurde facettenreich hervorgehoben.
Die weitere Preisträgerin des Karl-Adler-Jugend-Musikwettbewerbs, die begabte Sopranistin Dafne Boms, sang dann mit feingliedrigen gesanglichen Kantilenen die Arie „Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln“ aus der Oper „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Üppige Jugendkraft und wechselnde Stimmungsbereiche wurden von der jungen Sopranistin hervorragend erfasst. Die Arie aus „Bachianas Brasileiras“ No. 5 von Heitor Villa-Lobos gefiel in der bewegenden Wiedergabe von Dafne Boms mit einem betont leidenschaftlichen Impetus, dessen Intensität nie nachließ. Stilelemente der europäischen Musik mit solchen der „Indianer- und Negermusik“ kamen deutlich zum Ausdruck, wobei der südländisch-temperamentvolle Gesang auch durch großen Klangfarbenreichtum bestach. Die noch an der Stuttgarter Musikhochschule studierende talentierte junge Sängerin gewann ganz im Sinne der grandiosen Bachschen Poyphonie immer mehr Format.
David Malaev (Geige) begeisterte mit Pablo de Sarasates „Zigeunerweisen“ op. 20, wobei er mit dem Jüdischen Kammerorchester Nigun atemlos um die Wette spielte – so zeigten die Staccato-Attacken des Orchesters und die rasanten Arabesken, Girlanden und Figurationen der Violine hier immer mehr Feuer und geradezu dämonische Eleganz. Anastasija Rasschiwina (Fagott) ist eine weitere begnadete Karl-Adler-Preisträgerin, die noch Schülerin der Freien Waldorfschule ist, aber schon an der Stuttgarter Musikhochschule studiert. Ihre Wiedergabe des Konzerts für Fagott und Orchester in C-Dur RV 472 von Antonio Vivaldi überzeugte vor allem aufgrund der bemerkenswerten Intonationssicherheit und spieltechnischen Souveränität, mit der sie hier agierte. Die Neigung zum virtuosen Solo wurde von der jungen Fagottistin nicht übertrieben, aber umso intensiver und virtuoser unterstrichen. Da kam es zuletzt zu einem regelrechten kontrapunktischen Feuerwerk mit reizvollen harmonischen „Sahnehäubchen“. Weiträumige formale Gliederungen, exakte harmonische Rhythmen und Modulationen gerieten so nie aus dem Gleichgewicht. Zuletzt faszinierte Marlen Malaev (Klavier) als weiterer hoffnungsvoller Preisträger beim Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21 von Frederic Chopin. Die Themenaufstellung im Maestoso als Sonatensatz ohne Coda wurde vom Jüdischen Kammerorchester Nigun unter der dezenten Leitung von Dimitri Rudiakov gut herausgearbeitet. Das reich strömende Material wurde von dem Klaviersolisten Marlen Malaev glanzvoll betont, Kraft und Schönheit der Melodien überwältigten so die Zuhörer. Das folgende Larghetto geriet zum Höhepunkt der gesamten Wiedergabe: Wunderbar dicht, intim sowie scheu und verhalten kamen hier die sphärenhaften Klänge daher. Und im dramatischen Mittelteil flammte übermächtige Leidenschaftlichkeit auf. Das beschwingte Finale vereinigte so Walzer- und Mazurka-Rhythmen mit Witz, Poesie und bemerkenswerter Eleganz. Das virtuose Flimmern des Soloparts gipfelte in einer temperamentvollen Schluss-Steigerung.
Alexander Walther