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STUTTGART/ Schauspielhaus: ENDSPIEL von Samuel Beckett als Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin

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STUTTGART/ Schauspielhaus: DIE NATUR HAT UNS VERGESSEN

„Endspiel“ von Samuel Beckett als Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin am 16. Mai 2016 im Schauspielhaus/STUTTGART

In Jan Bosses karger Regie wird die schwarze Bühne zunächst von grellen Scheinwerfern beleuchtet, die dann hochgezogen werden. Auf einem schräg nach oben führenden Bühnenboden sieht man Ulrich Matthes in silbernem Outfit, sein Gegenspieler Clov erscheint in orangenem Anzug und wird von Wolfram Koch in vielen darstellerischen Variationen lebendig gemacht. Die Eltern Nagg und Nell kommen hier nicht vor, man hat die Rollen gestrichen. Übrig geblieben sind Vater Hamm, der eigentlich blind ist und nicht sehen kann – und sein Sohn Clov, der nicht sitzen kann. „Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende“, verkündet Clov eher tonlos.

Beide machen hier aber weiter und mimen ihr ritualisiertes Spiel nach streng festgesetzten Regeln. Sie befinden sich in tierischer Abhängigkeit voneinander. Und doch gelingt es Jan Bosse in seiner Inszenierung, die monotonen und schleppenden Dialoge mit elektrisierendem Leben zu füllen. Helfen tun ihm dabei die beiden wandlungsfähigen Schauspieler Ulrich Matthes und Wolfram Koch, die sich gegenseitige Sticheleien liefern und in einer Art Hassliebe miteinander verbunden sind. Die mythische Ordnung nimmt sie tatsächlich gefangen, das kommt überzeugend über die Rampe: „Die Natur hat uns vergessen“. Der Geist des Wiederaufbaus wird hier von der Manipulierbarkeit der Geschichte virtuos ergänzt: „Hast du einen glücklichen Moment gehabt?“ Die Antwort kommt prompt: „Nicht dass ich wüsste…“ Die Welt erscheint deswegen nur noch tot, aber so lange gespielt wird, so lange muss man auch leben, lautet die Devise. Mit Entsetzen wird Scherz getrieben, was die beiden Schauspieler deutlich unterstreichen. Jeder ist als Clown ernst zu nehmen, denn er stellt die Welt wirklich gnadenlos auf den Kopf. Zuletzt schleudert Clov Hamm jedoch entgegen: „Ich brauche dich nicht mehr!“ Und er glaubt zuvor, dass er einen Floh hat, den er den Insektentod sterben lassen muss. Diese groteske Situationskomik wird auf die Spitze getrieben: „Ich steig‘ auf die Leiter, es ist nicht mehr heiter!“ Sie machen sich gegenseitig heftige Vorwürfe: „Das ganze Haus stinkt nach Kadaver!“

Die Bühne von Stephane Laime und die Kostüme von Kathrin Plath passen sich gut dem Geschehen an. Dies gilt ebenso für die subtile Musik von Arno P. Jiri Kraehahn. Das alles schwankt oft zwischen skurriler Clownerie und Todesangst. Man spürt, dass sich der Autor Beckett selbst in seiner Haut oft nicht wohl fühlte. Er schlüpft diabolisch in seine Figuren und kann ihnen dann nicht mehr entfliehen. Die Trümmerlandschaft nach 1945 wird hier immer wieder grell lebendig. Jan Bosse lässt in seiner recht gelungenen und nur stellenweise schwächeren Inszenierung plastisch deutlich werden, wie Beckett mit der Trennung der Ebenen und der Zerlegung des Theaters in seine Elemente spielt. Das Bewusstsein der Menschen wird in allen Facetten gezeigt. Bewusstseinsprozesse und Illusionserzeugung ergänzen sich gegenseitig, lassen dem Publikum aber immer wieder genügend Spielraum für eigene Gedankenspiele. Das Theater ist auch bei Jan Bosse eine Spielmaschine. Ein zweifelndes Ich nimmt die Empfindungen der Welt wahr: „Wenn ich ihn töten könnte, würde ich zufrieden sterben.“ Der Zustand der inneren Entfremdung wird schließlich unerträglich, das kommt drastisch zum Vorschein. Die Personen trennen sich, sie wollen nichts mehr miteinander zu tun haben. Clov flieht vor Hamm, der schließlich einsieht, dass dieses Stück eben nur so gespielt werden kann.

Alexander Walther 

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