Pfingstfestspiele Salzburg
Sergej Prokofjew: »ROMEO UND JULIA«
15. Mai 2016
Gastspiel des Stuttgarter Balletts in der Choreographie von John Cranko

»Romeo und Julia«, 1. Akt: Alicia Amatriain (Julia) und Friedemann Vogel (Romeo) begeistern in Salzburg in John Crankos kongenialer Umsetzung der wohl berühmtesten Liebesgeschichte der Weltliteratur.
© Stuttgarter Ballett
Nur ein Jahr nach seiner Bestellung als Ballettdirektor an die Württembergischen Staatstheater brachte John Cranko im Dezember 1962 sein Ballett Romeo und Julia mit Marcia Haydee und Ray Barra heraus. War Cranko bisher in Deutschland so gut wie unbekannt gewesen — so Walter Erich Schäfer 1973 in einer Publikation des ZDF —, änderte sich dies jetzt schlagartig. Erwähnte die Presse bis dahin nur seine „Cranks“, jene federleichten Szenen und szenenartige Gebilde, die von besonderer, liebenswerter Eigenart waren, so überschlug man sich von nun an mit Lobeshymnen — ein neuer, großer Choreograph war entdeckt.
Leider waren John Cranko nur wenige Jahre vergönnt, mit seiner Stuttgarter Compagnie zu arbeiten. Sein Genie lebt weiter in der Compagnie, die noch heute danach strebt, sein Werk zu erhalten und fortzuführen.
Unzählige Compagnien tanzen seither sein Romeo und Julia in der wunderbaren Ausstattung von Jürgen Rose. Wer den gestrigen Abend im Großen Festspielhaus in Salzburg miterleben durfte, der spürte, daß hier mehr stattfand als nur eine Aufführung des Werkes. Es herrschte eine ganz besondere Harmonie, sowohl im Corps de ballet als auch unter den Solisten, die auch sicherlich daher rührt, daß viele Tänzer an der eigenen Schule ausgebildet wurden.
Das Mozarteumorchester Salzburg bewegte sich auf recht ungewohntem Terrain. Unter der kundigen Leitung von James Tuggle erklang die wunderbare Musik Sergej Prokofjews zur wohl bekanntesten Liebestragödie unseres Kulturkreises.
Buntes Treiben auf den Straßen und Plätzen Veronas, Kämpfe zwischen den rivalisierenden Familien Capulet und Montague, ein aufwendiges Fest im Hause Capulet geben dem Corps de ballet reichlich Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen. Auch wenn es an manchen Stellen wie dem Faschingstanz zu kleinen Unsauberheiten kam (es mochte dem fremden Orchesterklang geschuldet sein), so ist doch die Perfektion und Tradition dieser Truppe allgegenwärtig.
1973 noch von John Cranko auf der letzten USA-Tournee engagiert, tanzte Melinda Witham Lady Capulet. Mit liebevoller Geste präsentiert sie ihrer Tochter Julia, Alicia Amatriain das Ballkleid, in dem sie Graf Paris, Constantine Allen, zugeführt werden soll. Doch das Schicksal will es anders. Das Wechselbad der Gefühle, das Melinda Witham zeigt, als es darum geht, gemäß dem Wunsche des Grafen Capulet, Rolando d’Alesio, das Kind in die Ehe zu zwingen, war so anschaulich wie selten. Hier ist eine große Charakterdarstellerin am Werke.
Das junge Liebespaar ist mit Alicia Amatriain und Friedemann Vogel festpielwürdig besetzt. Hier tanzen zwei Erste Solisten am Zenith ihrer Karriere und lassen uns das Drama miterleben, als ob es sich eben ereignete. Alicia Amatriain gelingt es eindrucksvoll, den Wandel vom kindlichen Mädchen zur jungen Verliebten und dann zur verzweifelten Frau zu vollziehen. Technisch hervorragend getanzt, haucht sie der Julia Leben ein. Ihr zur Seite steht Friedemann Vogel, der erst spielerisch verliebt mit Rosalinde, Rocio Aleman, tändelt, mit den Zigeunerinnen Angelina Zuccarini, Elena Bushuyeva und Magdalena Dziegielewska flirtet und sich dann in einem Augenblick auf dem Feste der Capulets in den großen Liebenden verwandelt. Sein Romeo ist schwärmerisch, elegant, von großer Perfektion — und vor allem lebendig. Die Geschmeidigkeit der Bewegungen läßt selbst die kompliziertesten Hebungen mühelos erscheinen.
Ich habe lange kein so berührendes Paar mehr gesehen, wie Alicia Amatriain und Friedemann Vogel es gestern boten. Erstklassige Tänzer sieht man öfter, aber dieses hohe Maß an Ausdruck ist doch eher selten zu finden.
Eine Paraderolle im neoklassischen Repertoire ist die des Mercutio: Virtuose Sprünge und Kombinationen sind eine Herausforderung für jeden Tänzer, der hier einem Egon Madsen nacheifert. Der junge Pablo von Sternenfels hat diese Partie so gekonnt gemeistert, daß man es bedauert, daß er zum Ende des zweiten Aktes sein Leben im Zweikampf mit Tybalt, Roman Novitzky, verliert. Letzterer ist ein geschmeidig tanzender Kontrahent, reizbar und gewaltbereit, dann wieder zart und beschützend im Tanz mit Julia.
Benvolio, der dritte junge Mann in der Freundesrunde, wurde am gestrigen Abend durch David Moore aufgewertet. Oft erscheint die Partie nur als Nebenrolle, hier war sie im Ausdruck und Können den Freunden ebenbürtig.
Die weiteren Partien aus dem Hause Montague und dem Fürstenhaus bzw. Pater Lorenzo wurden von Julia Bergua Orero, Matteo Crockard-Villa und Louis Stiens interpretiert. Letzterer ist noch etwas zu jung für die Charakterdarstellungen, dennoch ist es achtbar, erst den alten Fürsten zu geben und sich danach in einen recht jugendlichen Mönch zu verwandeln.
Es ist bekannt, daß John Cranko ein Faible für die Clowns hatte, daher spielt das Faschingstreiben auf den Gassen und dem Marktplatz eine große Rolle. Alexander McGowan, Katarzyna Kozielska, Paula Rezende, Özkan Ayik und Roger Cabrera Cuadrado waren die Solisten in diesem bunten Treiben um den Faschingskönig.
Ein herzliches Dankeschön an Cecilia Bartoli, daß sie bei der Konzeption der diesjährigen Pfingstfestspiele auch diesen wichtigen Teil des Musiktheaters miteinbezogen hat.
Ulrike Klein
MerkerOnline
16. Mai 2016