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KARLSRUHE: I CAPULETI E I MONTECCHI – Premiere

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Karlsruhe: „I CAPULETI E I MONTECCHI“ 4.6.2016 (Premiere) – Drei Mal und doch nur Eins

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Bewegendes junges Liebespaar: Dilara Bastar (Romeo) und Uliana Alexyuk (Giulietta). Copyright: Felix Grünschloß?

Die späte Karlsruher Erstaufführung von Vincenzo Bellinis 1830 für das Teatro La Fenice komponierter sechster seiner Opern wurde rundum in die Hände eines jungen Teams gelegt. Wie würde Tilman Hecker, der u.a. Achim Freyer bei dessen Wagner-Ring in Los Angeles assistiert und im deutschsprachigen Raum bislang hauptsächlich Produktionen mit Werkstatt-Charakter entworfen hatte, mit einer konventionellen, das Primat der Musik entschieden vertretender Oper anfangen, die zwar eine der berühmtesten literarischen Stoffe behandelt, es jedoch mit Shakespeares vielschichtigem Schauspiel in keinerlei Beziehung aufnehmen kann?

Das Ergebnis ist als Ganzes bemerkenswert einzustufen – die Verknappung des Inhaltes auf das in Machtverhältnissen gefangene und von dessen System zerriebenem Liebespaar unter Auslassung sämtlicher komischer Elemente wie auch der allermeisten Personen scheint Hecker für sein geschlossen durchgezogenes Konzept in die Hände gespielt zu haben. Raimund Orfeo Voigt hat ihm ein dreigeschossiges Bühnenbild geschaffen, deren durch runde Aufzüge links und rechts verbundene Stockwerke aber ein und dieselbe Szene dreier Treppenstufen und eines Landschaftshorizonts, zuletzt auch dreifach Giuliettas Totenbett als blumengeschmückte hell erleuchtete Vitrine zeigen. Darin macht er die zeitlose Tragödie in leicht historisierten, seitens des Liebespaares sehr geschmackvollen Kostümen von Julia von Leliwa, als von Machtkämpfen bestimmtes Schicksal, das Gefangensein des Individuums in gesellschaftlichen Verhältnissen deutlich. Je nachdem, wessen Glücksbarometer gerade höher ausschlägt, bewegen sich sowohl Romeo und Julia als auch deren Vater Capellio und Cousin Tebaldo wie auch der zwischen beiden vermittelnde Lorenzo wechselnd in der unteren, mittleren oder oberen Ebene. So entsteht der Eindruck, dass sich die Personen auf unterschiedlichen Niveaus, aber letztlich doch im gleichen Raum bewegen und dort einander begegnen. Manchmal sind alle drei Etagen gleichzeitig, aber in unterschiedlichen Helligkeitsstufen beleuchtet, ein andermal bleiben ein oder zwei Geschosse im Dunkeln. Die Vorgänge spielen sich somit sehr nah am Publikum und damit auch vorteilhaft für die akustischen Belange ab. Phasenweise bleibt die Regie mit intimem Spiel und sparsamer Gestik ganz auf die musikalische Vermittlung konzentriert, dann lässt sie auch wieder die unterschiedlichen Machtpositionen bewegt gegeneinander treten. Auf Säbelgerassel und sonstigen Waffengebrauch wird weitgehend verzichtet, der kämpferische Ansatz reiner körperlicher Kraft reicht völlig aus. Letztlich sind alle in dieser symbolischen Macht-Szenerie gefangen. Erst in den letzten Atemzügen, wenn Romeo schlaff gegen das nach vorne abschließende Geländer kippt, löst sich ein Teil der Stange und lässt den Vergifteten nach draußen ins Freie kippen. Julia folgt ihm dorthin. Ein berührender, durch Bellinis im Morendo ersterbender Musik unterstützter Abgang in den befreienden Tod, der den in ein paar wenigen Takten angehängten Verweis der Montecchis auf Capellio als Verursacher fast untergehen lässt – auch weil Kapellmeister Daniele Squeo das Tempo dabei so anzieht und keine Akzente herausstreicht, um dem Tod der Liebenden ein kontrastreich wirksames Fazit folgen zu lassen. Das ist aber auch der einzige Einwand gegen das ansonsten von viel stilistischem Gefühl für Bellinis melodie lunghe und ihre vokalen Bedürfnisse, von großem Atem als auch von organisch aufgebauten Attacken bestimmte Dirigat. Die Badische Staatskapelle fühlte sich von ihm hörbar zu viel Seelenmalerei in der Kombination aus diversen Solobeiträgen von Horn, Klarinette und Cello mit den langsamen Streicher-Melismen angeregt und legte bereits in der knappen Ouvertüre mit ihrem von Trommelwirbeln getragenen melodienfreudigen Vorwärtsdrang den Grundstein für gut zwei Stunden südländisch anmutendes Temperament.

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Drei Ebenen und doch ein Bühnenbild – Yang Xu als Lorenzo (Mitte), Dilara Bastar (Romeo) und Uliana Alexyuk (Giulietta) unten. Copyright: Felix Grünschloß

Kompliment für ein Opernhaus, das ein so viel spezielle stimmliche Vorrausetzungen verlangendes Werk gleich doppelt aus dem eigenen Ensemble besetzen kann. Es war klug und der Glaubwürdigkeit des jungen Liebespaares dienend, dieses mit der jüngeren Variante zu besetzen und verdiente Kammersänger des Hauses auch mal zurück treten zu lassen.

Ein Liebespaar wie für einander bestimmt, beide von einer Sensibilität bis in die Fußspitzen, sowohl für die Darstellung ihrer Sehnsüchte und Leidensfähigkeit, als auch für die Belange ihrer musikalischen Artikulation. Wenn nun der Ukrainerin Uliana Alexyuk der Vortritt gelassen wird, vor allem deshalb, weil sie sich am Premierenabend als die Nervenstärkere zeigte und von Anfang bis Ende mit einer unerschütterlichen Sicherheit die Fäden ihrer Tongirlanden wie auch ihrer rezitativischen Ausprägung spann. Ein mädchenhaft transparenter Sopran mit leuchtender Höhe und bruchloser Verschmelzung von lyrischer und dramatisch durchsetzter Komponente sowie kunstvoller Beherrschung von Legato, Piangendo und morbider Färbung. Ihre Erscheinung in einem festlichen bodenlangen, ärmelfreien weißen mit Pailletten besetzten Kleid tat ein Übriges, von dieser Julia begeistert zu sein. In letzterer Hinsicht erregte Romeo im langen dunkelroten Samtumhang auf weißem Hemd allerdings besondere Bewunderung, denn wie die langhaarige Türkin Dilara Bastar in einen so echten Mann mit kurzem Blondhaar verwandelt wurde, gehört zu den Geheimnissen der Maskenkunst und verdient eine extra Erwähnung. Mit einschmeichelnd warmem Timbre, gut tragender Tiefe, gleichmäßiger Mittellage und noch ausbaufähiger Höhe ist ihr Mezzosopran dem umfangreichen Register der Rolle gut gewachsen und musste nur gegen Ende der Debut-Nervosität Tribut zollen, wenn ihr in der emotionalen Intensität die Stimme in zarten Höhen etwas den Dienst versagte. Beim Belcanto ist das zwar ein nicht unerheblicher Makel, aber in der Gesamtheit ihrer engagierten und bewegenden Rollenzeichnung des Montecchi-Anführers letztlich nicht gravierend.

Eleazar Rodriguez gehört zu den seltenen Vertretern des Baritenors, die über eine ebenso fundierte Tiefe und mittlere Lage wie auch über ein sattes Spitzenregister verfügen. Für die viel Agilità wie auch Cantabile-Qualitäten verlangende Partie des hass- wie später auch schmerzerfüllten Tebaldo, bringt er die idealen Vorrausetzungen mit, um seiner Soloszene und auch im Duett mit Romeo viel Kapital und Zündkraft zu schlagen und um keinen Extremton einen Bogen machen zu müssen. Die Stimme mag manchmal etwas zur Härte neigen, verleiht ihr dafür aber umso mehr männliche Potenz.

Die Bariton-Sängerin Lucia Lucas verkörperte einen herrischen Capellio mit weichlichen Zügen und kraftvoller Substanz, der junge Chinese Yang Xu einen erstaunlich reifen Lorenzo mit noch etwas starrem, aber dennoch ausdrucksvoll kernigem Bass.

Ulrich Wagner hatte die Herren des Badischen Staatsopernchors zuverlässig auf die Anhänger Capellios in nachtblau glänzenden Gewändern vorbereitet, der Gesamtklang dürfte sich hinsichtlich Präzision und Betonung unter Wegfall des Premierendrucks noch optimieren.

Nicht ein einziger negativer Publikumseinwand trübte diesen rundum gelungenen Werk-Einstand am Badischen Staatstheater – heller Jubel für die drei Protagonisten schon während der Aufführung intensivierte noch dieses Opernglück!

Udo Klebes

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