DIE VIOLINE ALS DÄMONISCHES SPIEL
“Doppelgänger” nach E.T.A. Hoffmann im Kammertheater als Uraufführung am 11. Januar 2014
Foto: Christian Friedländer
Der Regisseur David Marton ist ein Spezialist für die Überschreitung von Gattungsgrenzen im Musiktheater. So ist es auch bei der neuen Produktion “Doppelgänger” – einem subtilen Musiktheater nach Texten von E.T.A. Hoffmann. Das unheimliche Phänomen des Doppelgängers steht hier im Mittelpunkt, einem der zentralen Motive der deutschen Romantik. Der Doppelgänger steht auch in diesem Stück sinnbildlich für die Angst vor der inneren Spaltung, den Abgründen der eigenen Persönlichkeit. Und dies gelingt David Marton in seiner Regiearbeit stellenweise eindrucksvoll. Dabei helfen ihm die teilweise vorzüglichen Darstellerinnen und Darsteller Thorbjörn Björnsson, Paul Brody, Marie Goyette, Nurit Stark, Holger Stockhaus, Lea Trommenschlager und Stefan Schreiber (Klavier und musikalische Leitung).
Das Ganze verdichtet sich allmählich zu einem dramaturgisch ungeheuer dichten Gewebe, in dem Musik und Dichtung zusammenwachsen. “Ich bin das, was ich scheine, und scheine das nicht, was ich bin, mir selbst ein unerklärlich Rätsel, bin ich entzweit mit meinem Ich!” Diese Worte stehen im Zentrum des Romans “Die Elixiere des Teufels” von E.T.A. Hoffmann, von dessen Motiven Marton inspiriert wurde. Aus diesem Roman zitieren die Schauspieler in diesem Musiktheater auch eifrig. Grell beleuchtet wird zuletzt die grausige Begegnung des Mönchs Medardus mit seinem Doppelgänger – und die ihn umgebenden Frauen Euphemie und Aurelie erscheinen als unerreichbare Geisterwesen. Ein weiterer greller literarischer Höhepunkt ist die Schilderung der Figur des Christus, der dem Verdammten erscheint. Hierbei erreicht auch das musikalische Geschehen seinen dramatischen Höhepunkt. Zuweilen kommt es auf der Bühne auch zu gespenstischen Verwandlungs- und Lichteffekten. Wort und Musik verhalten sich wie diffuse Parallelwelten. Der schreibende Hoffmann lässt sich immer wieder von seiner Frau begutachten, er versteckt vor der Gesellschaft ein Messer unter dem Teppich. Schließlich lässt er sogar das Tonband laufen – und wird wieder korrigiert. Man stellt erschrocken fest, wie sich der von Alpträumen gequälte Dichter allmählich in den Mönch Medardus aus den “Elixieren des Teufels” verwandelt. Dazu erklingen Lieder von Gustav Mahler wie “Ich hab’ ein glühend Messer” und “Die zwei blauen Augen von meinem Schatz” aus den “Liedern eines fahrenden Gesellen” und sehr viele Lieder von Robert Schumann (so beispielsweise “Aus den hebräischen Gesängen”). Auch dessen “Geistervariationen” für Klavier sind passenderweise zu hören. Und selbst Mozarts c-Moll-Messe hinterlässt hier einen betont schauerlichen Eindruck. Aber auch “Das öde Haus” aus den berühmten “Nachtstücken” wird einfallsreich thematisiert. Der Autor regt sich dabei darüber auf, dass sein magischer Blick auf ein bestimmtes Fenster des Hauses von der Menge registriert wird. Und immer wieder wird man durch suggestive Lichtfetzen regelrecht geblendet und aus dem Geschehen gerissen. Denn es findet ja auch im “öden Haus” eine grauenhafte Verwandlung statt. Die begabte Sängerin Lea Trommenschlager brilliert bei “Inflammatus” aus dem “Stabat Mater” von Rossini. Die sphärenhaft-überirdische Szene gipfelt in der Suche Martons nach Doppelgängern in unserer Gegenwart. Das Verdrängte und Unheimliche unserer Zeit steht immer wieder im Zentrum des Geschehens und nimmt auch das Publikum immer mehr gefangen. Die innere Spaltung der Protagonisten nimmt von der gesamten Bühne Besitz. Klänge und Motive der Romantik werden verfremdet, vor allem im dämonischen Geigenspiel von Nurit Stark, die einen Mann fast zum Wahnsinn treibt. Er zerbricht schließlich an dieser unentrinnbaren Mauer aus unwirklich-verzerrten Tönen. Schließlich tobt er nur noch vor und hinter der Bühne wie tollwütig und wahnsinnig herum. Live-Elektronik und Sound von Daniel Dorsch sind der große Pluspunkt dieser eindrucksvollen Produktion, die beim Publikum frenetischen Applaus auslöste. Bühne und Kostüme von Christian Friedländer unterstreichen den Charakter der unwirklichen Welt Hoffmanns facettenreich. So werden die Räume durch einen durchsichtigen Vorhang abgedeckt. Es kommt so zu wundersamen Veränderungen in der Wahrnehmung.
Alexander Walther