Familienoper in Bonn: „Pinocchios Abenteuer“ von Jonathan Dove (Vorstellung: 11. 1. 2014)
Star der Vorstellung war Susanne Blattert als Pinocchio (Foto: Thilo Beu)
Mit einer sehenswerten und sehr aufwendigen Produktion einer Familienoper bewies das Opernhaus Bonn seine hohen künstlerischen Qualitäten: „Pinocchios Abenteuer“ von Jonathan Dove. Die Uraufführung der internationalen Koproduktion des zweiaktigen Werks, dessen Libretto Alasdair Middleton nach Carlo Collodi verfasste, fand 2007 in der Opera North in Leeds statt, die deutschsprachige Erstaufführung in Chemnitz.
„Meiner Meinung nach kann Oper etwas für jedermann sein – es ist doch ein Ort der Schönheit und des Staunens und der Freude und der Verzauberung.“ Dieser Satz des britischen Komponisten darf durchaus als künstlerisches Credo und ästhetisches Programm verstanden werden. Er machte sich 2002 mit seinem Librettisten auf den Weg nach Italien, um sich im Ort Collodi auf die Spuren des Autors zu begeben und die Inspiration für die Oper zu holen. Der italienische Dichter (1826 – 1890) hieß mit bürgerlichem Namen Carlo Lorenzini und wählte als Pseudonym den Geburtsort seiner Mutter in der Gegend von Lucca.
Inzwischen gibt es in Collodi einen Parco di Pinocchio, in dem alle Figuren als Metall-Statuen zu bewundern sind.
Die Oper erzählt in knapp drei Stunden die Geschichte von Pinocchio, den Meister Geppetto aus einem sprechenden Stück Holz schnitzte und der sich nichts sehnlicher wünschte, als ein richtiger Bub aus Fleisch und Blut zu werden. Doch bevor es soweit ist, bringen Neugier und kaum zu bändigende Energie den kleinen Kerl aus Holz von einer Gefahr in die nächste, lassen ihn an die falschen Freunde Fuchs und Kater geraten, verführen ihn in ein Puppentheater, in dem er mutig Arlecchino vor dem Feuerfresser rettet, lassen ihn zum geschundenen Esel im vermeintlichen Paradies der Schulfreiheit und Faulheit werden und bringen ihn schließlich zu seinem „Vater“ ins Maul des Riesenfisches.
Regisseur Martin Duncan , der bereits die Uraufführung in Leeds inszenierte, schuf für das Bonner Opernhaus eine phantasievolle, märchenhafte Inszenierung, die voller Bühnenzauber ist und in der er mit exzellenter Personenführung trotz der Länge des Werks die Spannung hochhält und das Publikum, ob jung, ob alt, immer wieder zu überraschen weiß. Man spürt an diesem Abend, mit welcher Liebe und Hingebung der Regisseur mit seinem Ausstatter Francis O’Connor, der für die aus Holzbrettern bestehende Einheitsbühne und für die phantasievollen Kostüme verantwortlich zeichnet, zu Werke ging.
Man bekam im Lauf der Vorstellung das Gefühl, dass neben dem stark besetzten Chor, dessen Solisten auch als Besucher des Puppentheaters, als Phantasiefiguren und Dorfbewohner fungierten, die gesamte Statisterie des Theaters Bonn im Einsatz war. Und dazu noch einige Tänzerinnen und Tänzer.
Star der Produktion ist die Mezzosopranistin Susanne Blattert, die in der Titelrolle eine faszinierende Leistung bot. Fast die gesamte Zeit auf der Bühne stehend, bewältigte sie ihren durchgängigen Sprechgesang in großer Wortdeutlichkeit und spielte dazu die Rolle des Pinocchio mit hölzernen Gesten, als wäre sie eben von Meister Geppetto, den der russische Bass Boris Beletskiy auf rührend-humorvolle Weise gab, geschnitzt worden. Beeindruckend!
Die gute (Blaue) Fee, die ihrem Namen alle Ehre machte, wurde von der Sopranistin Judith Kuhn in blauem Glitzerkleid gleichfalls eindrucksvoll gegeben. Sympathisch zeichnete der ungarische Tenor Tamás Tarjányi Pinocchios Schulfreund Lampwick, der ihn zum Schulschwänzen animiert und ins „Spaßland“ entführt. Gleich fünf Rollen hatte der Bassist Alexey Smirnov zu spielen: den Feuerschlucker, den Affenrichter, den großen grünen Fischersmann, den Zirkusdirektor und einen Bauern. Er bewältigte das Mammutprogramm mit viel Humor. Urkomisch gaben im „Duett“ der Countertenor Jakob Huppmann den Fuchs und der Tenor Taras Ivaniv den Kater. Die für die beiden Rollen der Taube und der Schnecke vorgesehene Sängerin musste wegen Krankheit passen. Ihr Ersatz war die Mezzosopranistin Hilke Andersen, die seitlich auf der Bühne oberhalb des Orchesters sang, während Sara Blasco Gutiérrez die Rollen spielte und dabei als Schnecke besonders brillierte.
Auch die kleinste Rolle der zahlreichen Figuren, die auf der Bühne mit viel Komik agierten, war glänzend besetzt und erfreute mit ihrem ausdrucksvollen Spiel das Publikum. Stellvertretend für sie seien Jana Büchner als Grille und Papagei sowie Christian Specht als Puppe Arlecchino und Asta Zubaite als Doktor Käfer genannt.
Der schon erwähnte Chor des Theaters Bonn, dessen Solisten sich in vielen kleinen Rollen zu bewähren hatten, war besonders eindrucksvoll in der Strandszene am Meer, als er den Kampf Geppettos gegen die Meereswellen singend und betend beobachtet (Choreographie: Nick Winston, Einstudierung: Volkmar Gibrich). Das Beethoven-Orchester Bonn spielte unter der Leitung von Johannes Pell die mit vielen Zitaten (Britten, Adams, Wagner etc.) gespickte, melodische Partitur des Komponisten mit Verve und enormer Lautstärke, die manche Zuschauerin sogar erschreckte.
Das Publikum feierte am Schluss alle Mitwirkenden mit lang anhaltendem Beifall und den Pinocchio Susanne Blattert mit vielen Bravo-Rufen.
Udo Pacolt