“La Traviata” als Wiederaufnahme in der Staatsoper Stuttgart

Copyright: A.T. Schaefer
Ein starker Moment gelingt Ruth Berghaus bei jener Szene, wo Alfredo tief verletzt Violetta demütigt, in dem er sie öffentlich ausbezahlt. Hier springt ein elektrisierender Funke von der Bühnenrampe auf das Publikum über. Als die wahren Zusammenhänge ans Licht treten, liegt Violetta bereits im Sterben. Bei dieser Sterbeszene wächst Ana Durlovski über sich selbst hinaus, erreicht ein wunderbar schlankes Timbre, das sich schon bei der absteigenden Linie von Violettas Koloratur in ihrem ersten Duett mit Alfredo zeigt. Bei den chromatischen Phrasen der Arie “Non sapete” machen sich die Besonderheiten einer von Krankheit brüchigen Stimme glaubwürdig bemerkbar. Verdi selbst bestand übrigens darauf, dass Violetta von einer noch jungen Sängerin mit leidenschaftlicher Stimme verkörpert werden muss. Da hätte er an Ana Durlovski auf jeden Fall seine Freude gehabt. Der Inszenierung hätte allerdings zuweilen etwas mehr Poesie und lyrischer Empfindungsreichtum gut getan. Das Schneetreiben im zweiten Akt kann die Schroffheit des Bühnenbildes nicht vertreiben. Besser ist der Eindruck bei der Personenführung – vor allem das leidenschaftliche Zusammenspiel von Violetta und Alfredo fällt positiv auf. Kadenzen empfindet Ana Durlovski als willkommende Entspannung, ihr Parlante-Gesang prägt sich immer wieder tief ein, vor allem in der ergreifenden Sterbeszene. Delikatesse kennzeichnet ebenso ihren Part in dem Duett “”Un di felice” mit leichten Staccati und einem seufzenden Nachhall, der aber nicht sentimental wirkt. Das bedrückende Moment trügerischer Heiterkeit ist dabei ebenfalls deutlich herauszuhören: “Oh come dolce mi suona il vostro accento…” Unter der glutvollen Leitung von Giuliano Carella bietet das Staatsorchester Stuttgart eine insgesamt fantastische Leistung. Dies gilt jedenfalls für das von Sängern und Musik verlangte Rubato und Rallentando. Sehr schön gelingt Giulinao Carella auch die gebrechliche Linie von Violettas Solo im Ensemble der Ballszene. Und auch sonst merkt man, dass ein feuriger Italiener am Pult ist. Dies zeigt sich insbesondere bei der packenden Begegnung von Violetta mit Alfredos Vater Giorgio, wo das Unisono-Zusammenspiel total unter die Haut geht. Furios geballte Dramatik dominiert bei dieser Passage in ungewöhnlich eindringlicher Weise. Impressionistisch zart wirken die intimen Begegnungen zwischen Violetta und Alfredo. Das Verlangen des Rückzugs und der gleichzeitigen atmosphärischen Gefangenschaft trifft Ruth Berghaus in ihrer Inszenierung in perfekter Weise.
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Der umsichtige Dirigent Giuliano Carella achtet dabei auf Gleichmaß und Ausgewogenheit des harmonischen Formwillens. Violettas Schicksalsmotiv und Alfredos Liebesmelodie ergänzen sich fabelhaft als wichtige thematische Bindungen, die den harmonischen Fluss zusammenhalten. Da entstehen keinerlei Brüche, sondern innerlich brodelnde Spannungen im Orchestergraben. Das Leiden Violetta kostet das Staatsorchester so bis zur Schmerzgrenze aus. Und der Dirigent Giuliano Carella hat alles fest im Griff, übersieht nichts, bannt das leidenschaftliche Geschehen in einen endlos wirkenden Zusammenklang zwischen Wort- und Tonseele. Gerade die Parlandoszenen gewinnen so eine immer größere, ja gewaltige Intensität. In weiteren Rollen fesseln Stuart Jackson als Gastone, Ronan Collett als Barone Douphol (der Alfredo zum Duell auffordert). Kai Preußker als Marchese D’Obigny, Mark Munkittrick als Dottore Grenvil, Peter Schaufelberger als Violettas Diener Giuseppe , Kenneth John Lewis als ein Diener Floras und Sebastian Bollacher als ein Bediensteter.
Der Staatsopernchor in der bewegenden Einstudierung von Christoph Heil begeistert wieder mit strahlkräftiger Intonationsreinheit. Da besitzen selbst die Staccato-Attacken eine geradezu federnde Wucht, die alle mitreisst. So tobte das ganze Haus zuletzt in enthusiastischem Taumel. Man kann sich kaum vorstellen, dass die “Traviata” bei ihrer Uraufführung 1853 in Venedig ein solches Fiasko war.