Theater an der Wien: I DUE FOSCARI – 25.1.2014:
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Verdis sechste Oper wurde am 3. November 1844 im Teatro Argentina in Rom uraufgeführt. Schauplatz der Handlung ist, wie später bei Otello, Venedig. Das Libretto von Francesco Maria Piave, mit dem Verdi zuvor schon für seinen „Ernani“ zusammen gearbeitet hatte, basiert auf dem Schauspiel „The Two Foscari“ (1821) von George Gordon Noel Byron, 6. Baron of Rochdale (1788-1824), der literarischen Nachwelt besser bekannt als Lord Byron. Dem Librettisten Piave erschien der Stoff ungeeignet, weshalb er die Handlung beträchtlich erweiterte. Das Geschehen kulminiert um die letzten Tage des 65. Dogen von Venedig, Francesco Foscari (1373-1457), und dessen Absetzung am 23. Oktober 1457.
Diesem Frühwerk Verdis blieb kein dauerhafter Erfolg beschieden, zu sperrig war die Handlung, die sich im Wesentlichen darum dreht, dass der seit 34 Jahren Venedig regierende Doge Francesco Foscari seinen einzigen noch lebenden Sohn Jacopo, der vom Rat der Zehn zu Unrecht, wie sich erst nach seinem Tod herausstellen soll, zu einer Exilsstrafe verurteilt wurde, nicht begnadigen kann, ohne sein Amt zu missbrauchen.
Bei genauem Hinhören erkennt man in diesem Frühwerk einige Melodien, die Verdi später u.a. für seinen Don Carlo wieder verwertet hat, etwa die große Arie des Dogen „Eccomi solo alfine. Solo!… e il sono io forse?“ im ersten Akt, die an den großen Monolog von König Philipp „Ella giammai m‘amò…!“ im vierten Akt erinnert.
Insgesamt fünf Mal sollte Plácido Domingo die Partie des Dogen Francesco Foscari verkörpern, lediglich in der vom Rezensenten bewusst gewählten Vorstellung, die Louis Otey bestreiten sollte, war der Sänger grippal indisponiert, weshalb man kurzfristig Ersatz in dem aus Zürich eingeflogenen Paolo Gavanelli fand.
Ich kann nun keinen Vergleich mit den Leistungen Domingos in dieser Rolle treffen, aber Gavaneli war ein mehr als würdiger Ersatz. Er erhielt vom Publikum auch minutenlangen Applaus nach seiner großen Arie im ersten Akt und die bei weitem stärksten Akklamationen am Ende des Abends. Geradezu ideal führte er die seelische Zerrissenheit des liebenden Vaters und des Vertreters der Republik Venedig, der peinlich genau auf die Einhaltung und Vollstreckung ihrer Gesetze und Urteile achtet, vor Augen. Besonders ergreifend war dann auch die Schlussszene, wo er über der Nachricht des Todes seines einzigen noch lebenden Sohnes Jacopo zusammenbricht und in dieser hilflosen Situation halb wahnsinnig noch schmachvoll seines Amtes enthoben und aller Insignien der Macht entkleidet wird.
Für den kurzfristig eingesprungenen Sänger musste natürlich noch am Vormittag eine Durchlaufprobe angesetzt werden. Ich vermute, dass dies mit ein Grund war, dass die Stimmen seiner Partner daher zu Beginn des Abends etwas angestrengt klangen.
Das traf zunächst auf Arturo Chacón-Cruz in der Rolle des Sohnes Jacopo Foscari zu. Für mich hatte es, obwohl ich außer zwei Mitschnitten aus Mailand 1988 und Neapel 2001 keinerlei Vergleichsmöglichkeiten habe, den Eindruck, dass der Sänger die hohen Töne bei seiner Auftrittskavatine „Ah sì, ch’io senta ancora,ch’io respiri aura non mista a gemiti e sospiri“ jeweils um einen Ton zu tief und mit wenig Italianità im Schmelz sang. Im zweiten Akt wirkte der sympathische Sänger aber wie ausgewechselt und trug seine große Auftrittsarie „Notte! Perpetua notte che qui regni!“ mit Verve vor, wofür er auch spontan und völlig berechtigt Szenenapplaus erhielt.
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Ähnlich verhielt es sich bei der aus Las Palmas stammenden Sopranistin Davinia Rodriguez in der Rolle der Lucrezia Contarini. Mit weinerlichem Ausdruck bei schriller Höhe geriet ihre große Auftrittsarie „La clemenza?… s’aggiunge lo scherno!…“ zwar äußerst expressiv, aber nicht wirklich angenehm anzuhören. Ich musste da spontan an so manche Aufnahmen von Maria Callas denken, die eine einzigartige, ausdrucksvolle Stimme besaß, die aber eigentlich nicht wirklich schön war. Im Verlauf des Abends legte sich aber diese Unruhe in der Stimme und nun erklangen mit einem Male die wunderbarsten Bögen mit fast lupenreiner Höhe.
Der aus Parma stammende Bassist Roberto Tagliavini gab mit der Rolle des Bösewichts Jacopo Loredano, der davon besessen ist, die Familie Foscari auszurotten, sein gelungenes stimmgewaltiges Debüt am Theater an der Wien.
In den kleineren Rollen reüssierten zu vollster Zufriedenheit der aus Philadelphia stammende US-amerikanische Tenor Andrew Owens als Senatore Barbarigo, die Mezzosopranistin Gaia Petrone als Pisana, Freundin und Vertraute von Lucrezia, der rumänische Tenor Ioan Hotea als Fante del Consiglio dei Dieci sowie der ungarische Bassist Marcell Attila Krokovay, Mitglied des Arnold Schoenberg Chors, als Diener des Dogen. Während der Carnevalsszene im dritten Akt trat noch Erwin Reichel als Feuerspucker auf.
James Conlon präsentierte diese Rarität als wahrhafte tour de force und trieb das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, die Sänger und den von Erwin Ortner einmal mehr bestens einstudierten Arnold Schoenberg Chor zu musikalischen Höchstleistungen.
Der US-Amerikaner Thaddeus Strassberger hat seine Inszenierung von der Los Angeles Opera mit nach Wien gebracht. Während der Ouvertüre lässt er die Vorgeschichte auf den Bühnenvorhang projizieren, auf dem die Wellen der Adria sichtbar sind. Seine geschickte und äußerst sensible Personenregie ermöglichte es den Sängern darstellerisch das Bestmögliche aus ihren Rollen hervor zu holen, ohne ihren Stimmen einen Abbruch zuzufügen. Warum jedoch Lucrezia während der Sterbeszene des Dogen noch ihren Sohn in einer Wasserlache ertränken muss, kann höchstens mit ihrem ausbrechenden Wahnsinn einigermaßen nachvollziehbar erklärt werden.
Der Brite Kevin Knight entwarf ein von einer Brücke überspanntes düsteres Einheitsbühnenbild, in welches fallweise Versatzstücke, wie etwa das Zimmer des Dogen als schiefe Ebene, hineingeschoben werden. Zu Beginn der Oper wird Jacopo Foscari in einem Käfig wie ein wildes Tier eingesperrt auf beklemmende Weise von der Bühnendecke herabgelassen.
Die US-Amerikanerin Mattie Ullrich steuerte dazu historisierende düstere Kostüme bei. Bruno Poet kreierte dazu eine eher zurückhaltende und unauffällige Lichtstimmung.
Die vier Protagonisten erhielten stürmischen Applaus, wobei der „Einspringer“ Paolo Gavanelli den stärksten Beifall für sich verbuchen durfte. Bravo!
Harald Lacina