10.2.: „SALOME“ – mit viel Energie und Zielstrebigkeit
Auf IHN und SIE kommt es an, ob der geniale Strauss-Einakter als solcher das Publikum packt. Damit meine ich natürlich einerseits den Dirigenten, andererseits die Titelrollensängerin. Beide Instanzen waren an diesem Abend voll präsent.
Andris Nelsons hat nicht nur die hochgesteckten Erwartungen nicht enttäuscht, sondern mit einer ganz persönlichen Interpretation für nie abreißende dramatische Spannung, bemerkenswerte Klangtransparenz und geschickte Unterstützung der Sänger gesorgt. Es ging ihm hörbar nicht primär um Entfesselung eines Klangrausches, sondern um die Glaubhaftmachung der verrückten Geschichte der Prinzessin von Judäa, die in den Propheten verknallt ist und den sie Abweisenden tot oder lebendig küssen zu müssen glaubt. Nelsons ebenso wie Gun-Brit Barkmin vermochten diese Besessenheit der jungen Frau, die sie in den Wahnsinn treibt, durch geballte Energie sowohl orchestral wie gesanglich zu vermitteln. Die dabei oft unvermeidliche Lautstärke hat mich in dieser Wiedergabe überhaupt nicht gestört, denn es war alles zielgerichtet auf das Bühnengeschehen, wurde nie zum bloß effektvollen Orchesterkonzert bzw. seitens der Sopranistin zur Demonstration ihrer Stimmkraft. Wenn sie nach sehr kultiviertem Vokaleinsatz mit wohlüberlegter, sehr wortdeutlicher Phrasierung in allen vorhergehenden Szenen dann im Schlussgesang ihre ekstatischen Höhenaufschwünge mit Metallklang präsentiert, so entspricht das dem Seelenzustand der Salome, die ihre Emotionen nicht mehr bändigen kann. Mit viel Energie ist Frau Barkmin auch körperlich im Einsatz. Mag der Schleiertanz auch nicht professionellem Ballettstandard genügen, so kam doch zumindest deutlich herüber, wem dieser Tanz zugedacht ist und dass sie den Stiefvater nur so ganz nebenbei einzuwickeln gedenkt, um ihr Endziel zu erreichen. Auf jeden Fall ist Gun-Brit Barkin eine beachtliche Bühnenpersönlichkeit, auch wenn sie mit dieser Partie an ihre stimmlichen Grenzen gehen muss. Und der junge Balte am Pult bringt zudem die nötige Sensiblität mit, um neben den großen Spannungsbögen die Straussischen Instrumentalfinessen nicht zu vernachlässigen. Ein Hauptkriterium für das Können eines Dirigenten ist für mich die Realisierung der schwierigen Judenszene, wo stringente Ensembleführung angesagt ist, aber zusätzlich der Glaubensfanatismus dieser fünf Männer der Lächerlichkeit preisgegeben werden muss. Unter der kräftigen Führung von Norbert Ernst als 1.Jude gelang es auch den vier anderen, Michael Roider, James Kryshak, Thomas Ebenstein und Walter Fink, sich mit ihren verschiedenen Stimmtimbres individuell hervorzutun, weil Nelsons mit dem starr durchgepaukten Tempo und wohlgebündeltem Orchesterklang sie in ihrem Rechthaber-Wahn so trefflich unterstützte. Dass Salome von solchen „Gläubigen“ nichts mehr wissen will, ist die nur zu logische Folge. (Warum man Richard Strauss und Oscar Wilde aufgrund dieser Szene nicht zu Antisemiten gestempelt hat, wie man es bei diversen Wagner-Figuren so gern tut, die mit Juden-Karikaturen überhaupt nichts zu tun haben, bleibt mir sowieso unerfindlich.)
Der kraftvolle, stimmmächtige Prophet von Falk Struckmann hatte diesmal das Pech, dass ihm bei so viel fanatischem Einsatz dreimal in der Höhe die Stimme fast wegblieb. Seine Bühnenpräsenz entschädigte jedoch für die nicht optimale Abendverfassung. Dass der Herodes auf Anhieb Herwig Pecoraro derart prächtig in der Kehle liegt, ist eine erfreuliche Überraschung. Da brauchen wir nun keine Gäste mehr – dieses wertvolle Ensemblemitgleid hat nach dem Mime wieder eine absolute Glanzrolle gefunden. Wie er seine inzwischen zu heldentenoralem Volumen angewachsene Stimme mit einer geradezu plastischen Worttongestaltung in den Dienst dieses einerseits persönlichkeitsstarken, andererseits verunsicherten Tetrarchen stellt, verdient Bewunderung. Mit mächtigem Tiefenpotential und zynischem Gelächter profiliert sich seine Bühnengattin in Gestalt von Iris Vermillion.
Die einzige Stimme, die für die Straussischen Anforderungen an diesem Abend noch nicht ganz ausreichte, gehörte Carlos Osuna. Sein hübsches Timbre allein genügt nicht, um dem von orientalischem Orchesterkolorit begleiteten schwärmerischen Hauptmann Narraboth starkes Profil zu verleihen. Das gelang hingegen dem Pagen von Ulrike Helzel, die ihren aparten Mezzo farbreich erklingen ließ, um den Tenor von Salome abzulenken. Mit Adam Plachetka und Marcus Pelz kamen die beiden Nazarener kräftig zu Ton und mit Dan Paul Dumitrescu und Il Hong die beiden Soldaten. Die Chorsolisten Johannes Gisser und Gerhard Reiterer ergänzten als Cappadocier und Sklave.
Alles in allem ein würdiger Auftakt zum Strauss-Jahr.
Sieglinde Pfabigan