Foto: Armin Bardel
WIEN / Theater an der Wien in der Kammeroper:
MARE NOSTRUM von Mauricio Kagel
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 11. Februar 2014
Hat ja nur 39 Jahre gedauert, bis man auch hierzulande das Werk „Mare Nostrum“ von Mauricio Kagel kennenlernt. Allgemeines Gesumse vor der Vorstellung, weil viele der versammelten Kritiker eingestehen mussten, dass ihnen diese schwer definierbare „Kammeroper“ (?) noch nie untergekommen ist. Große Neugierde und Erwartung allerorten. Und das richtige Gefühl, dass dies der tiefere Sinn einer zweiten kleinen Bühne ist, wie sie sich das Theater an der Wien nun mit der Kammeroper „hält“. Klassiker klein und alternativ auf die Bretter zu bringen, wird ohnedies allerorten unternommen. Den riesigen Nachholbedarf an Werken des 20. Jahrhunderts (oder auch andere Raritäten) aufzuarbeiten, erscheint da dringlicher.
Auch wenn vielleicht nicht alles ein kleines Juwel ist wie jenes „Mare Nostrum“, das Kagel mit der umständlichen Bezeichnung beschwert: „Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien für 2 Sänger und 6 Instrumentalisten“. Eine Satire, die brennend ins Schwarze trifft. „Instrumentales Theater“, wie man es auch genannt hat, denn so richtig „Oper“ ist es ja wohl nicht. Witzig, böse, brillant und nur mit ein paar kleinen Längen behaftet, damit es nicht zu perfekt sei. Eine große Idee.
Man hält Mauricio Kagel gern für einen Deutschen, aber der 1931 als Sohn europäischer Eltern in Argentinien Geborene kam erst 1957 nach Deutschland, wo er sich allerdings eine so herausragende Stellung in der Musikwelt erwarb, völlig integriert in die europäische Welt der Neuen Musik, dass man seine Wurzeln vergessen hat. Er jedoch kannte aus seinen frühen Jahren die Auseinandersetzung, die Südamerika mit seiner Geschichte unternahm, die eine doppelte ist, jene der Ureinwohner und jene der kolonialen Eroberung, und nur deren Verschmelzung macht das heutige Südamerika aus.
In „Mare Nostrum“ (Ort der Handlung ist das Mittelmeer, das die Römer solcherart benannt haben) dreht Kagel nun in einem brillanten Coup die Sache um – da erzählt uns der „Amazonier“ mit stolzem Selbstbewusstsein, wie er sich aufgemacht hat, die „wilden Weißen“ Europas zu erobern und zu „zivilisieren“. Der Witz dabei ist, dass Kagel, der sich auch sein Libretto schrieb, hier eine Kunstsprache erfunden hat, die zwar verständlich ist, aber doch Worte und Grammatik gewaltig verdreht und damit das Irre, Wirre der ganzen Situation versinnbildlicht. Der Ernst dabei ist, dass man angesichts des selbstgefälligen Geplapperes des Amazoniers weit stärker als sonst wahrnimmt, wie ungeheuerlich ein solcher „Überfall“ und die „Zwangszivilisierung“ anderer Menschen eigentlich ist (weil man die Sache in der klassischen Konstellation „Weiße gegen Wilde“ einfach schon zu oft dargestellt fand). Dort sind es dann die Schamanen, die den „wilden Weißen“ ihren Glauben, ihre Denkweise und ihre „Werte“ aufzuzwingen suchen…
Der Amazonier bleibt im Lauf des Abends immer derselbe, der Europäer ist es, der sich auch kostümlich wandelt, wenn die Eroberungsreise fortschreitet, in Frankreich bekommt er eine Allongeperücke, zwischendurch wird er in den Käfig gezwängt, am Ende ist er dann in ein arabisches Schleiergewand gekleidet, und da endet die Sache nach eineinhalb pausenlosen Stunden ziemlich abrupt und heftig mit einem Mord, nachdem Kagel bis dahin durchaus zynisches Lachen zugelassen hat.
Fotos: Barbara Zeininger
Regisseur Christoph Zauner hat das in eine Ausstattung von Nikolaus Webern gestellt, die ein bisschen à la Südsee wirkt und die sechs Musiker auf und vor der Bühne verteilt. Hier bewegen sich Ben Connor mit mächtigem Bariton als überheblicher, grober Wilder und Rupert Enticknap mit seinem schon bekannten prächtigen Countertenor als gequälter, eroberter Europäer, wobei die Reise von Portugal bis in die Türkei führt, wo Mozarts „Erst geköpft, dann gehangen“ eine schaurige Paraphrase erfährt.
Überhaupt ist die Musik, oder sagen wir besser die Collage aus Tönen und Geräuschen, die das Geschehen meist auf den Punkt pointiert, ein echtes Vergnügen, angereichert auch mit gewaltigem Gewitter und anderen Spielereien. Sechs Musiker des Wiener KammerOrchesters erfüllen das unter der Leitung von Gelsomino Rocco.
Wie gesagt, manchmal hängt die Reise etwas durch, der Witz der oft haarsträubenden Amazonischen Behauptungen über die Eroberten lässt ein bisschen nach, aber gegen Ende ballt sich das Unternehmen, das so vergnüglich wie nachdenklich machend ist, noch einmal höchst effektvoll. Schade, dass die Premiere alles andere als ausverkauft war. Vielleicht überlegen es sich viele, die wegblieben, doch noch anders – und „schauen sich das an“!
Renate Wagner