Seefestspiele Mörbisch:
DER BETTELSTUDENT von Carl Millöcker
Besucht wurde die Generalprobe am 9. Juli 2013
Eine Generalprobenkarte, die man von einem Freund geschenkt bekommt, verpflichtet zu keiner Rezension. Umso weniger, wenn man sicher sein kann, dass es für diese Art von Ereignissen „übliche Verdächtige“ gibt, die den Online Merker mit Berichten überschwemmen. Da kann man seine Meinung ruhig hinunterschlucken.
Aber überraschenderweise kam keine Kritik (was Toni Cupak gar nicht mag, wenn er keinen Originalbericht hat!), dafür einige seltsame Lobeshymnen in der gedruckten Presse, die viele Wiener Operetten-Kenner, die die Vorstellung gesehen haben, nur verwundern können. Also ein paar klärende Worte über ein Ereignis, das eigentlich am Geschmack und den Bedürfnissen des Publikums vorbei produziert hat – egal, was man Schön-Geschriebenes lesen mag.
Der Vorwand der Intendantin, der „Bettelstudent“ spiele in Sachsen-Polen, also sei eine Besetzung aus diesen Breiten gerechtfertigt, ist natürlich schlichter Blödsinn. Jeder Wiener Komiker von Format kann besser sächseln (und vor allem präsenter komisch sein) als der für den Enterich aufgebotene Herr, und wenn man den Oberst Ollendorf nicht mit einer Mordspersönlichkeit aus den Wiener Beständen besetzt, liegt man falsch.
Das ist sicher eine Crux dieser Aufführung – man liest sich durch den Besetzungszettel und kennt keinen einzigen Namen. Nein, niemand vermisst Serafin persönlich – aber das Wohlgefühl, zumindest einige „Lieblinge“ auf der Bühne zu finden. Wenn Dagmar Schellenberger (sicher nicht klug – aber der ORF kann froh sein) die Fernsehübertragung absetzte, mit der Begründung, „dass die Tante Elfriede, die in Linz auf der Couch sitzt und die Produktion im TV gesehen hat, nicht kommt. Warum sollte sie“, so kann man nur sagen, wenn die Tante Elfriede wissen will, „wer mitspielt“ und niemanden kennt, wird sie sich die Kosten für Fahrt und Karte und Nebenkosten (man soll ja in den zahllosen Restaurants auch noch essen, essen, essen und trinken, trinken, trinken, das war der Intendantin ja bei jedem ihrer Interviews vordringlich wichtig) auch sparen.
Rolf Langenfass ist tot, Ehre seinem Andenken und seinem Talent, diesen Raum geschickt, ästhetisch und herrlich spektakulös auszustatten – Yadegar Asisi verbaut die Bühne erst mit einer Mauer, wenn er dann barocke Häuser hinstellt, darf der See auch nicht mitspielen, und erst am Ende, wenn er scheußlich stilisierte „Bäume“ hinstellt, gibt’s ein paar Bötchen. Sicher, die Weichsel spielt für Krakau keine übertriebene Rolle (etwa wie die Donau für Budapest oder die Seine für Paris) – aber der Neusiedlersee für Mörbisch, man hätte also da sinnvoll aufwerten können.
Die Kostüme von Susanne Thomasberger sind so ironisch, dass sie hässlich und auch dumm sind (Damen, die mit solch grotesken Reifröcken herumstaksen müssen, wirken bloß lächerlich), und die Regie von Ralf Nürnberger lässt spüren, dass sein Aktionsradius sich zwischen Dresden, Leipzig und Chemnitz abspielt (was um Gottes Willen keine Abwertung sein soll) – der zackige, für unsere Begriffe humorfreie DDR-Stil entfaltet sich voll.
Sicher, es wird ordentlich gesungen (wobei man natürlich nicht weiß, wie viel die technische Anlage beiträgt), Cornelia Zink und Mirko Roschkowski sind das stimmkräftige Liebespaar, der Rest der Herrschaften leidet unter Persönlichkeitsmanko, wenn man denkt, wer hier schon aller auf der Bühne gestanden ist und das Publikum eingefangen hat. (Noch einmal: Niemand vermisst Serafin persönlich, wenngleich Frau Schellenberger bei der Rede, die sie für das Generalprobenpublikum hielt, doch eher unsouverän war.)
Also, ehrlich – hätte ich für die Karte bezahlt und die Mühe der Autofahrt selbst auf mich nehmen müssen, ich hätte geflucht. So war’s einfach ein Abend, der es nicht wert war. Was haben denn nur die Kritiker-Kollegen bei der Premiere Tolles gesehen, wenn man ihre freundlichen Zeilen liest?
Nächstes Jahr gibt es, groß angekündigt, „Anatevka“, was an sich keine überwältigende Idee scheint. Aber in Wiens Schauspielerkreisen wird geflüstert, dass Erwin Steinhauer den Tewje verkörpern wird. Und damit ist das Unternehmen gerettet – ein hervorragender Schauspieler, der ausgezeichnet singt und den Vorzug hat, ein Publikumsliebling zu sein, den jeder kennt (Kabarett, Theater und Fernsehen haben seine Popularität in Österreich in den Spitzenrang gehievt).
Sollte also der „Bettelstudent“ heuer nicht der so heftig programmierte Erfolg werden, weil sich herumspricht, dass eigentlich nichts dran ist – mit Steinhauer kann man nächstes Jahr „Anatevka“ mit Sicherheit vor brechend vollen Tribünen spielen.
Renate Wagner